85 Geschichte und Geschichten | Ein »gefährlicher« Film ... |
weil Madame immer im
entscheidenden Moment einen Mordfall aufzuklären hat.
Antoine hat schließlich die Nase voll, verläßt Paris und macht allein Urlaub. Lise wird nach dem dritten Mord der Fall entzogen, weil ihre Ermittlungen keinen Erfolg bringen. Kurzentschlossen reist sie Antoine nach. Ausgeruht und entspannt, fällt ihr plötzlich ein, wer denn der Mörder der drei Männer sein könnte. Zurück nach Paris im Eiltempo, und Antoine jagt den Missetäter per Auto. Die langsamste Verfolgungsjagd, die je gedreht wurde. Happy-End. So weit die Geschichte. »Ein verrücktes Huhn« lief bereits erfolgreich in den Kinos der DDR, bevor der Film am Samstag, dem 4. Juni 1988 um 20.00 Uhr, im I. Programm des DFF gesendet wurde - einem Hauptsendeplatz am Wochenende. Am Montag, dem 6. Juni, begann in der Chefredaktion Spielfilm und in der Bereichsleitung des Bereiches Internationaler Programmaustausch eine seltsame, unheilschwangere Betriebsamkeit. Die Sendeunterlagen zum Film, die dazugehörige Filmakte, eine Video-Kassette wurden abgefordert - ohne Erklärung zunächst. Später: Es habe einen Anruf einer bedeutenden Persönlichkeit gegeben, die sich über die Ausstrahlung des Films beschwert hat. Verunsicherung, Rätselraten nach dem Grund machte sich unter den Mitarbeitern breit. Der Dienstag - allwöchentlich fanden an diesem Tag die Sitzungen des Staatlichen Komitees für Fernsehen | |||||
Christa Grimm
»Ein verrücktes Huhn« wurde ein »Fall« ... Dieser der Überschrift innewohnende Vorgang ist sicher ein unglaublicher, aber
doch so geschehen - im Deutschen Fernsehfunk 1988.
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statt - brachte etwas Aufhellung. Der
Anrufer hatte sich darüber beklagt, daß der
DFF am Vorabend der Parlamentswahlen in Frankreich einen Film ausstrahlt, in
dem drei Abgeordnete umgebracht werden und damit die französische Gesellschaft
diskriminiert würde. Das Außenministerium
der DDR rechnete stündlich mit einem Protest des französischen Botschafters und
entsprechenden Konsequenzen.
Die Chefredaktion Spielfilm mußte mehrere Stellungnahmen schreiben. Ihr wurde vorgeworfen, den Inhalt des Films in den erforderlichen Sendeunterlagen bewußt falsch beschrieben zu haben. Peinlichst untersucht wurde, wie der Film überhaupt ins Programm gekommen ist. Man vermutete die Absicht der Chefredaktion Spielfilm, die Beziehungen zu Frankreich bewußt zu stören. Der Film kam aber auf Wunsch der Chefredaktion Sendeplanung als Austausch gegen einen amerikanischen Film zur Ausstrahlung. Noch am gleichen Tag wurde eine Ansicht des Films mit allen Redakteuren und der Leitung der Chefredaktion beim Bereichsleiter organisiert. Die Mitarbeiter wurden mehrstündig belehrt, daß sie Filme zuallererst politisch zu bewerten und erst danach über ihren künstlerischen Wert nachzudenken haben. »Eine politische Mordserie bis ins Parlament gehört nicht auf unseren Sender.« Die Leitung der Chefredaktion Spielfilm und die Redakteure wurden mas | siv gerügt und ermahnt, endlich
einen »schärferen politischen Blick«
anzuwenden. Selbstverständlich war daraufhin die
Ausstrahlung des Films eine »unbefriedigende Programmleistung«.
Solcherart zurechtgewiesen, harrten die Mitarbeiter voller innerer Unruhe der Schritte seitens des französischen Botschafters. Eine Woche, zwei Wochen - es passierte nichts. Kein Protest. Kein Abbruch diplomatischer Beziehungen. Keine Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen. Die französischen Diplomaten in der DDR hatten am Samstag offensichtlich besseres zu tun, als sich über das Programm des DFF zu beschweren. Aber wer der Anrufer war, das ist nie herausgekommen. | |||||
© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/1996
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