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Vom November 1904 bis zum 20. Oktober 1905 wurde das Warenhaus gebaut. Schon während dieser Zeit wurde allen Beteiligten klar, daß der Bau viel zu klein ausfallen würde. Deshalb entschloß man sich sofort für einen Erweiterungsbau. Dafür kaufte Tietz insgesamt 14 Grundstücke auf, die den Block der Straßenzüge Alexanderplatz, Alexanderstraße und Am Königsgraben umfaßten.
     Als der Erweiterungsbau 1911 fertig war, hieß es in einer von Tietz herausgegebenen Festschrift, am Alexanderplatz »steht das größte Warenhaus der Welt, das des Abends
Joachim Methlow
Ein Fabelschloß am Alexanderplatz

Kaufhaus Hertie

Ungefähr dort, wo sich heute das Kaufhof-Warenhaus am Alexanderplatz erhebt, befand sich bis zu seiner Zerstörung in den Bombennächten des Zweiten Weltkrieges das Warenhaus Hermann Tietz, kurz Hertie genannt.

Hertie

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Lebensmittelhalle, Verkaufsraum für Obst und Gemüse
mit seinen tausend Lichtern wie ein Fabelschloß aus dem Märchen wirkt«. Geschaffen hatten dieses Wunderhaus die königlichen Bauräte Cremer und Wolfenstein, für die Innenausstattung zeichnete der Architekt Rehfisch vom Tietz-Baubüro verantwortlich.
     Der Bau war für die damalige Zeit gigantisch. Allein die Schaufensterfront an der Alexanderstraße war 250 Meter lang und damit, wie in der Festschrift mitgeteilt wurde, die längste Schaufensterfront der
Welt. »Selbst Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, hat kein gleiches aufzuweisen.«
Die Berliner waren begeistert über das neue Gebäude, das sie durch vier Haupteingänge betreten konnten. Vom Keller bis zum Dach hatte das Warenhaus sieben Etagen, in die man bequem mit Fahrstühlen oder Paternostern gelangen konnte. Es gab sechs Personenaufzüge, acht Personen- und Lastenaufzüge, einen Lastenaufzug für die

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Paketbeförderung und zwei Paternoster.
     Wer alle Verkaufsräume durchwanderte, hatte eine Strecke von 1 250 Metern hinter sich gebracht. Dabei sorgten Treppenhäuser und Lichthöfe für angenehme optische Unterbrechungen. So bot der große Lichthof einen grandiosen Eindruck. »Er ist überdeckt von einer 600 qm großen gewölbten Decke in Drahtglas, die nach einem besonderen Verfahren in einem warmen gelben Tone, der sich dem Marmor vorzüglich anpaßt, absolut wetterfest bemalt ist«, heißt es in der anläßlich der Einweihung des Erweiterungsbaus von Tietz herausgegebenen Schrift mit vielen anschaulichen Fotos. »Wie ein leuchtendes Gewebe schließt diese Decke den Raum nach oben ab. In der Apsis sitzen sieben zweiteilige zehn Meter hohe Fenster aus gewischtem Antikglase mit reicher Goldverglasung, teilweise buntfarbig ausgeführt, die die große Fläche wohltuend aufteilen.«
Das erweiterte Warenhaus glänzte auch mit einer Reihe von technischen Neuerungen. So wurde die für das Haus benötigte gesamte Energie in einer eigenen Zentrale erzeugt, die sich im Keller befand. Hingewiesen wurde besonders auf die gute Belüftung und den hohen Sicherheitsstandard.
     Hertie bot alles, was die Kunden wünschten, dazu noch manche Annehmlichkeit. So wird in der Festschrift betont: »Im zweiten Stock sind neu eingerichtet: Schreibzimmer, Lesezimmer und Ruheraum. Hier kann man
seine Korrespondenz erledigen, telephonische Verabredungen treffen oder sich aus den ausliegenden Zeitungen und Zeitschriften über das Neueste auf dem Gebiete der Tagesereignisse, des Sports, der Mode unterrichten. Die Leihbibliothek, die Abteilung für Bücher und Musikalien, die Theaterkasse und das Reisebureau sind hier angegliedert.« Der Geschäftsmann Hermann Tietz hatte aber auch Sinn für Stadtgeschichte. Deshalb ließ er Gedenktafeln für Lessing und den Rechtsgelehrten Carmer an seinem Warenhaus anbringen. Lessing wohnte eine Zeitlang in einem Haus am Königsgraben. Auf der Contrescarpe Nr. 70, später Alexanderstraße, ließ Friedrich II. ein Haus für den Seidenfabrikanten Treitsche errichten, das etwa 30 Jahre später zum Preußischen Justizministerium wurde. Hier wohnten und arbeiteten die Rechtsgelehrten Carmer und Svarez, die das »Corpus juris fridericianum« zum Preußischen Landrecht ausbauten.

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/1996
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