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beachtete und diskutierte soziale und ökologische Alternative zum innerstädtischen Mietskasernenbau. Tausende Neugierige strömten seinerzeit nach Fertigstellung der Siedlung zu den Falkenbergen. Jahrzehntelang haben die Bewohner der »Tuschkasten-Siedlung« unter ihrer Fahne aus bunten Flicken beliebte Sommerfeste veranstaltet und auch sonst für ein reges kulturelles Eigenleben in der genossenschaftlichen Siedlung gesorgt.
     Von der linken hinteren Ecke des Akazienhofes gelangt man über einen kleinen Durchgang und einen Fußsteig am südwestlichen Ende der Bruno-Taut-Straße auf das Falkenberg-Plateau (höchste Erhebung bei 52 Metern über NN) hinauf. Der Falkenberg ist ein Teil des Geländeabfalls von der Hochfläche des Teltow zur Dahme-Niederung (Berliner Urstromtal). Die Kurfürsten von Brandenburg sind auf ihrem Weg zur Jagd nach Königs Wusterhausen vorbeigezogen und sollen hier ihre Falken für die Jagd abgerichtet haben.
     Für den nordöstlichen Teil des Höhenzuges hat sich die Bezeichnung Buntzelberg eingebürgert. Namensgeber ist der Baumschulenbesitzer Buntzel, der hier 1898 für eine halbe Million Mark das »Buntzelschloß«, seit 1924 Krankenhaus Hedwigshöhe, errichten ließ. Nunmehr wird hier oben im Anschluß an die historische »Tuschkasten-Siedlung« und die später angefügten Einfamilienhäuser eine »Neue

Von Grünau nach Rudow

Fußtouren durch Berlin

Auf der fast 13 Kilometer langen Tour durch erholsame Grünzonen der Ortsteile Altglienicke (Bezirk Treptow) und Rudow (Bezirk Neukölln) wird man selten Wandersleute treffen. Es ist eine Tour für diejenigen, die im Einfachen und in den Weiten das Schöne aufnehmen können. Das Plateau der Falkenberge, die Rudower Höhe und der »Dörferblick« sind auf dieser »Berg-Tour« zu bezwingen.
     Vom S-Bahnhof Grünau (1) aus (erreichbar mit den Linien S 6 und S 8) gelangt man durch die Bruno-Taut-Straße und die Straße Am Falkenberg bald in den als Akazienhof bekannten Teil der »Tuschkasten-Siedlung«. (2) Deren 130 Häuser wurden in den Jahren 1913/14 nach Plänen des Architekten Bruno Taut (1880-1938) errichtet. Durch eine kontrastreiche Farbgebung wurde die interessante Reihenhaus-Siedlung optisch zusätzlich stark gegliedert. Zum geplanten Bau weiterer 1 370 Häuser kam es infolge des Ersten Weltkrieges nicht mehr. Mit seinen preiswerten Kleinhäusern schuf Bruno Taut, der architektonische Vater der Britzer »Hufeisensiedlung«, im Auftrag einer Wohnungsgenossenschaft eine damals stark


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Gartenstadt« mit 1 180 Wohnungen entstehen, die sich bis zur Paradiesstraße im Ortsteil Bohnsdorf erstreckt.
     Auf dem Gartenstadtweg kann der kleine Rundgang durch die »Tuschkasten-Siedlung« beendet werden. Vom »Berg« herabgestiegen, folgen wir nun wieder der Straße Am Falkenberg durch das Altglienicker »Unterland«. Der Name »Falkenberg« geht auf eine alte Flurbezeichnung für den Höhenzug zwischen Bohnsdorf und Altglienicke zurück. Wiederholt stoßen wir auf Spuren des gründerzeitlichen Bemühens, das dem Dorf aus dem 14. Jahrhundert städtebaulich den Anschluß an das wachsende Berlin sichern sollte. Ausdruck dessen ist gewiß auch der weithin sichtbare Wasserturm (3) in der seit 1920 benannten Schirnerstraße. Der an einen Burgturm erinnernde Klinkerbau mit Stilelementen der Gotik wurde 1905/06 nach einem Entwurf von Heinrich Scheven errichtet. Allerdings ist der Turm
S-Bahnhof Grünau Ort des
»Spionagetunnels«
S-Bahnhof Grünau
Ort des
»Spionagetunnels«
Klarpfuhl
»Tuschkasten-Siedlung«
Dörferblick
Wasserturm
Altglienicke
Rudower Höhe
U-Bahnhof Rudow

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nicht, wie viele seiner innerstädtischen »Kollegen«, von hohen Mietshäusern umgeben. Er überragt - landschaftsbeherrschend - eine weitläufige Gartenstadt auf dem Falkenberg-Plateau, durch die unsere Tour nun führt.
     Über die Verlängerung der Schirnerstraße, den Bohnsdorfer Weg die lange Wegedornstraße und den Weg Am Kiesberg (links) gelangt man zur Rudower Höhe. (4) Es wird empfohlen, die Anhöhe zunächst auf einem kleinen Wanderpfad nach rechts zu umgehen und den Aufstieg vom Priesterpfuhl aus in Angriff zu nehmen. Seit einiger Zeit sind Erschließungs- und Bauarbeiten für die Verlängerung der Stadtautobahn nach Schönefeld im Gange. Nach der Fertigstellung des 1 075 Meter langen Autobahntunnels wird der »Landschaftspark Rudower Höhe« auch über Altglienicke wieder gut zu erreichen sein. Die Rudower Höhe mit ihren 70 Metern (30 Meter über dem Umland) entstand in den 50er Jahren durch die Verkippung von fast 700 000 Kubikmeter Trümmerschutt. Im Ergebnis eines aufwendigen Programms zur Begrünung und Verhinderung der Bodenerosion an der vor allem nach Südosten hin sehr steil aufgeschütteten Kippe ist hier ein wahres Kleinod von Grünanlage entstanden. Immer wieder beeindruckend: der weite Blick über die Berliner Stadtlandschaft.
     Nach dem Abstieg von der Rudower Höhe in südlicher Richtung folgt man über eine
lange Wegstrecke einem als Privatweg gekennzeichneten Asphaltsteig, der einst von der US-Armee und dem Westberliner Zollgrenzschutz als Streifenweg entlang der Grenze zur DDR genutzt wurde. Unsere Tour führt direkt an der Berliner Stadtgrenze entlang. Gegenüber dem von hohen Bäumen umstandenen Städtischen Friedhof Altglienicke führt der Weg an einem kleinen, heute aufgegebenen Militärgelände der US-Armee vorbei, das im April 1956 Welt-Schlagzeilen machte. Spezialisten der Sowjetarmee, die im Gebiet an der Schönefelder Chaussee nach den Ursachen für den rapiden Spannungsabfall in einem Nachrichtenkabel suchten, stießen am 22. April 1956 fünf Meter unter der Erde auf einen 350 Meter langen Stollen, der sie unter der Grenze hindurch in das US-Militärgelände führte. Der Stollen von zwei Meter Durchmesser war mit einem Stahlmantel umgeben und mit Abhör- und Klimatechnik geradezu gespickt. Drei Telefonleitungen der Sowjetarmee und ein DDR-Regierungskabel waren »angezapft« worden. Der »Spionagetunnel« (5) in Altglienicke gilt als ein typisches Merkmal des Kalten Krieges in und um Berlin.
     Kurz vor der Waltersdorfer Chaussee führt ein Abstecher zum Klarpfuhl (6). Derartige Kleingewässer hat die Eiszeit im Berliner Süden in größerer Anzahl hervorgebracht. Durch fortschreitende Absenkung des Grundwassers infolge menschlicher Bautä

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tigkeit - im besonderen Maße durch den Bau des Teltowkanals - sind viele dieser Pfuhle ausgetrocknet. Am Klarpfuhl, im vergangenen Jahrhundert von Hirten und Bauern noch als Schafwäsche genutzt, hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein schützenswertes Biotop herausgebildet.
     Über die Waltersdorfer Chaussee gelangt man wieder zum asphaltierten Privatweg, dem die Tour weiter folgt. Nur gelegentlich hat ein Grundstücksbesitzer, der für die Anlage dieses Postenweges einige Quadratmeter seines Anwesens westlichen Sicherheitsinteressen opfern mußte, mit einem neuen Zaun über den asphaltierten Weg hinweg den ursprünglichen Zustand wiederhergestellt. Zwischen der Waltersdorfer Chaussee und der Schönefelder Straße entstehen die Wohngebiete »Rudow Süd 1 und 2«, vom Bezirksamt Neukölln ausgeschrieben für den »hochwertigen, sozial orientierten Wohnungsbau«.
     Jenseits der Waßmannsdorfer Chaussee gilt es, den »Dörferblick« (7) - 86 Meter hoch - zu erklimmen. Diese ehemalige Müllkippe, deren Kultivierung zum »naturbegrünten« Erholungsgebiet erst Anfang der 80er Jahre in Angriff genommen wurde, ermöglicht einen guten Blick über die Gropiusstadt im Norden und die einst verträumten brandenburgischen Dörfer im »Speckgürtel« der neu entstandenen Gewerbezentren um Berlin. Von hier aus geht es nach Norden zur Grünzone am Rudower
Fließ: Ein Reiterhof hat sich hier mit seinen Koppeln über den ehemaligen (Westberliner) Postenweg hinweg unmittelbar bis zur Stadtgrenze ausgedehnt, einen Feldweg aber offen gelassen.
     Das Rudower Fließ ist einstmals als Verbindungsgraben zwischen städtischer Kanalisation und Waßmannsdorfer Rieselfeldern angelegt worden. Phantasievolle Landschaftsgestalter haben diesen vormals schnurgeraden Flutgraben mit seiner ausbetonierten Sohle in eine typisch märkische Auenlandschaft verwandelt, die den Wandersmann in vielem an das Tegeler Fließ im Norden der Stadt erinnern wird. In der Grünzone jenseits der Groß Ziethener Chaussee finden sich nahe dem Fließ noch Reste des Bahnkörpers der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn. Die Abriegelung West-Berlins ließ diese einst bei Berliner Ausflüglern beliebte Privatbahn (seit 1900 in Betrieb) zur reinen Industriebahn werden, die heute am Zwickauer Damm zum Teltowkanal hin abbiegt.
     Über die Straße 146 und die Groß Ziethener Chaussee erreichen wir den Endpunkt der Tour, den Bahnhof der U 7 Rudow (8).
     In seiner Nähe (Alt-Rudow 59) bietet der Dorfkrug aus der Zeit um 1800 beste Gelegenheit, die Tour zünftig zu beschließen.

Karte: Archiv LBV


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/1996
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