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Eines Tages verirrte sich ein Gott treu ergebener Mönch an den See. Der alte, gebrechliche Priester nahm ihn freundlich auf und deutete sein Erscheinen als ein Zeichen von Hel, daß er bald sterben werde. Als er den Tod nahen fühlte, sprach er zum Mönch: »Ich werde nun zur Helle fahren, und du wirst fortan die Opferstätte hüten.« Der Mönch aber weigerte sich, versuchte immer wieder zu entkommen und vernachlässigte nach dem Tode des Priesters das Heiligtum. Als schließlich alle Vorräte aufgebraucht waren, flehte der Mönch, den Hungertod vor Augen, Gott um ein gnädiges Ende an. »Kaum hatte er das ausgesprochen, so schäumte das Wasser auf einmal hoch auf, und aus dem weißen Strudel stiegen die Stiere, sie sprangen von selbst in das Joch und pflügten brüllend das ganze Ufer ab, immer am Waldsee entlang. Als sie die Furche geschlossen hatten, begann der Boden, der in dem Kreise lag, sich zu senken. Ein unergründliches Loch tat sich auf, aus dem Wasser ohne Aufhören hervorquoll, und die Wirbel verschlangen Stiere und Mönch, Hütte und Opferstein ...« Noch heute zürne Hel den Menschen, heißt es. Jedes Jahr hole sich der Hellpfuhl sein Opfer - schon mancher ist in dem scheinbar harmlosen Gewässer ertrunken. »Auf der Grenze zwischen Tempelhof und Schöneberg liegt er, nur ein kleiner Tümpel noch; aber die Leute fürchten ihn und nennen ihn die Blanke Hölle.« 1)
Hainer Weißpflug
Die »Blanke Helle« - ein sagenumwobener Tümpel

Über ein »Blanke Helle« genanntes Gewässer in Schöneberg, in den Grünanlagen des Alboinplatzes, wird folgende Sage erzählt.
     In grauer Vorzeit lag um den See herum ein dichter Wald. An den Ufern des Sees befand sich das Heiligtum einer heidnischen Göttin, der »Waltenden, gütig Vollendenden, ewig Bergenden, schweigenden Hel«. Dort lebte ein alter Priester. Wenn er ans Wasser trat, die Arme hob und über den See winkte, »hub es in der Tiefe zu kochen an, das Wasser stieg und rauschte empor, und aus dem Wasser stiegen langsam zwei schwarze Stiere heraus. Die spannte der Priester vor den Pflug, der neben dem Opfersteine lag, und zog damit ein paar Furchen über den schmalen Uferstreifen bis zum Walde hinauf. Dann sperrte er die Stiere wieder aus dem Joch und ließ sie ins Wasser zurück.
     Aus den Furchen aber sproßte alsbald die grüne Saat empor, die wuchs und blühte noch am selbigen Tage. Am Abend brachte er die Ernte ein. Eine Handvoll Garben legte der Priester auf den Opferstein, entzündete ein Feuer und dankte.«


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Der Name »Blanke Helle« soll aber nicht aus dem Begriff Hölle entstanden sein, sondern aus der überlieferten Bezeichnung »Hel-See« oder »Hel-Pfuhl«. Am Rande der »Blanken Helle« steht seit den 20er Jahren eine große Steinplastik, die nach dem Ersten Weltkrieg von arbeitslosen Berliner Bildhauern nach einem Entwurf von Mersmann geschaffen wurde. Sie stellt einen mächtigen Stier mit gesenkten Hörnern dar, der offenbar auf die Sage verweist. Die Berliner nennen ihn den »größten Ochsen von Berlin«.
     Soweit die Sage. Der 2 500 Quadratmeter große Pfuhl »Blanke Helle« liegt in einer vermutlich während der letzten Eiszeit entstandenen Senke, inmitten eines ca. 4,6 Hektar großen Parkes. Diese grüne Insel inmitten dichter Wohnbebauung und verkehrsreicher Straßen wird von den Anwohnern zur Erholung genutzt und häufig auch, um die Hunde auszuführen. Aus dem ursprünglich
von Wiesen umgebenen lichtdurchfluteten Kleinstgewässer ist »dank« menschlichem Zutun ein von Bäumen und Sträuchern umgebener Tümpel geworden. Noch in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts soll der Teich erheblich größer gewesen sein und

»Blanke Helle« auf dem Alboinplatz


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sich inmitten von Wiesen und Feldern befunden haben. Es wird berichtet, daß man damals in seinem Wasser noch Sumpfschildkröten gefangen haben soll. 2) Schon als um die Jahrhundertwende die bäuerliche Wiesennutzung eingestellt und die Böschung des Pfuhls nicht mehr zweimal im Jahr gemäht wurde, veränderte sich die ursprüngliche Vegetation. Bäume und Sträucher, die sonst schon in der Phase des Heranwachsens der Sense zum Opfer fielen, konnten sich nun ungehindert ausbreiten. Untersuchungen der Bodenverhältnisse und der Vegetation verweisen außerdem darauf, daß die Hänge mit einer starken Schicht aufgeschütteten Materials belegt sind, Trümmer- und Bauschutt, Sande und umgelagerter Geschiebemergel wurden bei Bohrungen festgestellt. Offenbar wurde das Gelände in der Zeit des Baus der Wohnsiedlungen und befestigten Straßen stark verändert und danach teilweise mit Bäumen bepflanzt.
     Aber noch existiert der Pfuhl im Gegensatz zu vielen anderen seiner Art und bietet so mancher Tier- und Pflanzenart Lebensraum. Wasserpflanzen, verschiedene Röhrichtarten im Uferbereich, halbruderale Wiesengesellschaften auf den Hangbereichen und überwiegend angepflanzte Gehölze bilden die Vegetation des seit dem 18. Dezember 1952 als Flächennaturdenkmal unter Schutz gestellten Pfuhls und seiner Umgebung. Immerhin wiesen Forschungsgruppen
1988/89 165 verschiedene Farn- und Blütenpflanzen nach, wovon 12 als gefährdet in den Berliner Roten Listen stehen.
     Der Boden des flachen Gewässers ist nach Untersuchung von Experten mit einer starken Schlammschicht bedeckt. Wie viele andere Gewässer dieser Art weist die »Blanke Helle« einen schon stark eingeschränkten Artenbestand auf. Zwei Fischarten nur wurden beispielsweise nachgewiesen, Moderlieschen und Karausche. Von den Wasservögeln wurde bei einer entsprechenden Erhebung nur ein Brutpaar der Teichralle mit drei Jungvögeln angetroffen. Teich- und Bleßhühner, Zwergtaucher oder Drosselrohrsänger, die normalerweise an solchen Kleinstgewässern brüten, fehlen hier. In dem alten Baumbestand haben sich Blaumeise, Kleiber, Star und Feldsperling eingenistet. Eine große Zahl von Nistkästen unterstützt den recht guten Besatz des Gebiets mit diesen Höhlenbrütern. Bodenbrütende Vögel, die eigentlich Pfuhle mit ihrer Umgebung bevorzugen, wurden nicht festgestellt. Was sicherlich auf häufige Spaziergänger, Hunde und die Pflegemaßnahmen seitens der Grünflächenämter zurückzuführen ist. Alles in allem ist die als Flächennaturdenkmal geschützte »Blanke Helle« ein relativ intaktes und gepflegtes Stückchen Grün. Leider hat sie nicht mehr jene artenreiche Vegetation und Tierwelt, die für Kleinstgewässer dieser Art typisch ist. Und es ist auch nicht möglich, durch Rückbebauung (wie anderen

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orts) den ursprünglichen Zustand wieder herstellen zu wollen. Dazu ist das Gebiet zu klein, der Pfuhl zu sehr verstädtert.
     Aber natürlich kann man diesen Eiszeitzeugen und seine unmittelbare Umgebung so erhalten, wie er jetzt ist. Die faunistische Arbeitsgruppe Berlin hat im Ergebnis einer Untersuchung 1990 empfohlen, die »Blanke Helle« als Parkgewässer mit den angrenzenden Wiesenbereichen zu erhalten, z. B. durch zweischürige Mahd der Hochstauden und ruderalen Wiesengesellschaften (Juni/Juli und September/Oktober), Rodung eines Teils der angepflanzten Bäume und Sträucher, um bessere Belichtung und Belüftung zu gewährleisten, Verzicht auf Chemikalien am Pfuhl und in der Umgebung und Einstellung der Trinkwassereinleitung zur Regulierung des Wasserstandes. Pfuhle sind in der Regel ab- und zuflußlose Wasserbecken, deren Wasserstand von der Niederschlagstätigkeit, von Sonneneinstrahlung und Temperaturen abhängt. Manche von ihnen werden im Sommer ganz trocken oder weisen, wie die »Blanke Helle«, starke Schwankungen auf. Die Arbeitsgruppe empfiehlt deshalb, wenn schon Wasser aufgefüllt werden muß, dieses nicht im Sommer, sondern im Winter zu tun. Also entsprechend dem natürlichen Prozeß zu verfahren. In einem anderen Gutachten wird empfohlen, das von den Gebäuden im Umfeld des Pfuhls abfließende Regenwasser zu sammeln und dem Pfuhl nach einer gewissen Reini
gung durch Versickerung im Uferbereich zuzuführen. Das würde für den Wasserhaushalt des Pfuhls bedeuten, den vor der Bebauung vorhandenen Zustand annähernd wieder herzustellen. Solange der Pfuhl von offenen Bodenflächen umgeben war, konnte das Regenwasser direkt oder über Versickerung in den Pfuhl gelangen und seinen Wasserstand heben.
     Von solchen Maßnahmen und von der Vernunft der Besucher hängt ab, ob die sagenumwobene »Blanke Helle« uns künftig erhalten bleibt.

Quellen:
1 G. Krügel: Berliner Sagen, Berlin 1926, S. 29
2 Paul Wollschläger: Der Bezirk Tempelhof. Eine Chronik in Geschichten und Bildern. Heimat Berlin, Kulturbuch-Verlag 1964, S. 30/31

Bildquelle:
Lage der »Blanken Helle« auf dem Alboinplatz. Kartenausschnitt aus: Grenzius/Lindner/Schacht: Schutz-, Pflege- und Entwicklungskonzept für die flächenhaften Naturdenkmale in Berlin (West). Teil Boden/Vegetation, Berlin 1990


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/1996
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