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Hainer Weißpflug
Er machte das Dorf Steglitz weltbekannt

Johann Adolph Heese
(1783-1862)

In der Periode nach 1830 erlebte die Seidenraupenzucht in Preußen einen neuen Aufschwung. Wieder waren es Pfarrer und Lehrer, die sich dem Seidenbau widmeten. Auch in den Forsten wurden Maulbeerplantagen angelegt. Es wurden vor allem bessere Lösungen für das Abhaspeln der Seidenkokons gefunden, schon bald entstanden weitere Haspelanstalten, so die Seidenbaulehranstalt des Lehrers Ramelow in Berlin und die Seidenfabrik von Heese in Steglitz. Letzterer war es dann auch, der das Dorf Steglitz mit seinem Unternehmen in Europa und noch darüber hinaus bekannt gemacht hat.
     Johann Adolph Heese wurde am 11. Juni 1783 in Berlin geboren. Über seine Kindheit und Jugend oder sein Elternhaus ist kaum etwas bekannt. Alle biographischen Versuche beginnen mit dem Hinweis auf eine abgebrochene Lehre als Drechsler. Danach absolvierte der junge Heese eine 5jährige Lehre als Seidenwirker beim Samt- und Seidenwirkermeister Johann Carl Wrede, die er am 30. März 1801 erfolgreich abschloß. 1807

Johann Adolph Heese
wurde er Werkleiter in der Seidenwarenfabrik Gabain. Weitere sechs Jahre später bestand Heese seine Meisterprüfung. Mit dem Kaufmann Herrmann gründete er dann die Samt- und Seidenwarenfabrik »Herrmann und Heese« in Berlin.
     Schließlich eröffnete er am 8. Oktober 1827 in einem Gebäude in »Raules Hof«/Ecke Alte Leipziger Straße 1, seine Firma »J. A. Heese«. Es gehörte zu den Gebäuden auf dem Frie-

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drich-Werderschen Triangel, die erstmals zwischen 1650 und 1660 errichtet wurden und seither mehrmals um- und ausgebaut worden sind. Der Name »Raules Hof« rührt vom Generaldirektor der kurfürstlich-brandenburgischen Marine Benjamin Raule, dem der Große Kurfürst 1678 für seine Verdienste um den Aufbau einer eigenen brandenburgischen Flotte das frühere Ballhaus geschenkt hatte. In ihm befanden sich die Geschäftsräume der Marine sowie der afrikanisch-brandenburgischen Handelsgesellschaft, die Raule 1682 gründete. Nach Raules Tod wurde der stattliche Gebäudekomplex mehrfach verändert, blieb jedoch relativ unbedeutend. Seine Blütezeit erlebte das weitläufige Anwesen unter dem Seidenfabrikanten Johann Adolph Heese. Schon nach kurzer Zeit war Heeses Seidenwarenhandlung die erste Adresse der begüterten Berlinerinnen, die hier ihren Bedarf an Seidenwaren aller Art decken konnten.
     Heese wurde rasch als Experte für die Seidenfabrikation bekannt und 1832 auch zum Sachverständigen der Seidenbranche beim Berliner Fabrikengericht bestellt. Als Seidenfachmann hatte er die eingangs geschilderte neue Seidenbauentwicklung aufmerksam verfolgt und widmete sich schon bald selbst dem Seidenbau. 1840 kaufte er in Steglitz an der Ecke Schloßstraße/Grunewaldstraße zwei Morgen Land und pflanzte die ersten Maulbeerbäume. Hier begann er mit der Seidenzucht, wobei er zunächst Maulbeer
laub von auswärts beschaffen mußte, um den Bedarf der Raupen zu decken. Für seine ersten Zuchtversuche gewann er den italienischen Seidenzüchter Bolzani.
     In den folgenden Jahren erwarb Heese in unmittelbarer Umgebung 74 Morgen Sandboden, die er mit aus besten italienischen Samen gezogenen Maulbeerbäumchen bepflanzen ließ. 1844 wurde diese Pflanzung, auf der inzwischen ca. 35 000 Maulbeerbäumchen standen, vom Wild kahl gefressen. Heese war jedoch nicht zu entmutigen. Er ließ 44 Morgen Land einzäunen und mit Maulbeerbäumen bepflanzen. Dort, wo heute das Rathaus Steglitz mit seiner roten Klinkerfassade steht, baute er seine Seidenfabrik. In dem Gebäude vereinte Heese Raupenzucht, Kokonhaspelei und Rohseidenveredelung unter einem Dach und bewirkte so manche Einsparung an Zeit und Kosten. Den Seidenbau als Unternehmer betreibend, verbesserte er Haspelmaschinen, konzentrierte sie in einem Haspelsaal, ließ sie von Dampfmaschinen antreiben, mit deren Dampf er zugleich das Wasser für die Stauch- und Haspelbecken erwärmte. Zwischen 1851 und 1861 ließ Heese in seinen Anlagen über 100 000 Pfund Kokons zu 8 000 Pfund Rohseide verarbeiten. An seine »Filanda« genannte Fabrik erinnert heute noch die Filandastraße.
     Nach einer weiteren Plantage, die Heese in der Gegend Berg- und Albrechtstraße anlegte, wurde die Plantagenstraße in der

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Nähe des Althoffplatzes benannt. Von dieser Plantage hat ein Maulbeerbaum alle Widrigkeiten der anderthalb Jahrhunderte überlebt. Es ist jener Baum, der am Althoffplatz steht und nach Schätzungen ein Alter von 150 Jahren hat. Er ist seit 1961 als Naturdenkmal geschützt.
     Heeses Unternehmen entwickelte sich bald zu einem bedeutenden europäischen Seidenbauzentrum. Insbesondere seine technischen Lösungen zogen ausländische Besucher an. Seine Haspelmaschine wurde nach Ungarn, Schweden und Südafrika exportiert. Auch in den traditionellen Seidenbauländern Italien und Frankreich interessierte man sich für Heeses Fabrik. Eine seit 1845 dort grassierende Raupenkrankheit bewirkte, daß bei ihm Seidenraupeneier (Grains) gekauft wurden, die nicht infiziert waren. Von 1856 bis 1865 hat sein Unternehmen jährlich bis zu 260 Pfund Grains im Werte von 10 000 Reichstalern exportiert. Um 1860 setzte die nun europaweit grassierende Seidenraupenseuche auch dem Heeseschen Seidenbau ein Ende. Das Unternehmen überlebte diese Krise mit hohen Verlusten, aber 1889 wurde es geschlossen. Noch heute erinnert die Heesestraße an den Seidenbauer in Steglitz.
     Am 25. März 1862 war Johann Adolph Heese an einem Nierenleiden gestorben.
     Seine Söhne, Adolf und Julius, die schon zu Heeses Lebzeiten sein Berliner Geschäft in der Alten Leipziger Straße und später in der
Leipziger Straße 87 führten, hatten auch das Steglitzer Unternehmen bis zu seiner Schließung betrieben.
     Ein paar Straßennamen, ein Grabstein auf dem alten Friedhof an der Schloßstraße, eine kleine Ausstellung im Heimatmuseum Steglitz und nicht zuletzt der genannte Maulbeerbaum am Althoffplatz erinnern heute noch an den Steglitzer Seidenbauer, dem der Bezirk viel zu danken hat.

Bildquelle:
Porträt Heeses aus: C. Brecht: Johann Adolph Heese, In vermischte Schriften im Anschluß an die Berlinische Chronik und an das Urkundenbuch, Bd. 1, Berlin 1888, S. 165 ff.


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/1996
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