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Horst Wagner
15. Oktober 1946:
Der erste deutsche Nachkriegsfilm

Neben einer stilisierten Zeichnung der jungen Hildegard Knef die Schlagzeile »Die DEFA zeigt: Die Mörder sind unter uns«.
     So luden am Morgen des 15. Oktober 1946, eines Dienstags, Anzeigen in der »Berliner Zeitung« und anderen hauptstädtischen Blättern zur öffentlichen Uraufführung um 19.30 Uhr ins Filmtheater Friedrichshain ein. Nicht ohne den Hinweis, daß man dorthin vom Alexanderplatz mit der Straßenbahnlinie 60 gelangen könne. In dem als Staatsoper fungierenden Admiralspalast fand am gleichen Tag schon um 14.00 Uhr vor geladenen Gästen eine Festaufführung statt, bei der Erich Weinert die Premiere als »Tag der Wiedergeburt des deutschen Spielfilmes« würdigte.
     Die Dreharbeiten zum ersten DEFA-Film hatten noch vor der am 17. Mai 1946 erfolgten Gründung der »Deutschen Film-AG« begonnen. »Wie das Gerippe einer Riesenechse ragten die Reste des Stettiner Bahnhofes aus der Klamottenwüste, er war Vorder- und Hintergrund unseres ersten Drehtages für den ersten deutschen Nachkriegsfilm«, erinnert sich Hildegard Knef in ihrem

»Geschenkten Gaul«. Ein paar Tage zuvor hatte »ein Mittelgroßer mit verwaschenem Rollkragenpullover und zerknautschtem Hut« die Nachwuchsschauspielerin vor ihrer Garderobe im Schloßpark-Theater angesprochen: »Von Ihnen möchte ich Probeaufnahmen machen.« Es war der damals 40jährige Wolfgang Staudte, Drehbuchautor und Regisseur des neuen Filmprojekts.
     Die Idee für den Film beruhte auf einem persönlichen Erlebnis Staudtes während des Krieges. Er war wegen einer abfälligen politischen Äußerung von einem SS-Obersturmbannführer mit der Pistole bedroht worden und hatte sich Gedanken gemacht, wie er sich nach dem Krieg gegenüber diesem Mann verhalten würde. So entstand die Geschichte vom Kriegsheimkehrer Mertens, der im zerbombten Berlin dem Mädchen Susanne begegnet, dort aber auch seinen ehemaligen Kompaniechef Brückner trifft, der - inzwischen ehrbarer Fabrikant - 1942 den Befehl zur Erschießung polnischer Geiseln gegeben hatte. Das Exposé für seinen Film hatte Staudte den Kulturoffizieren aller vier Besatzungsmächte vorgelegt, aber nur die Sowjets, Lizenzgeber der DEFA, hatten für den Stoff Interesse gezeigt. Allerdings mit einem Einwand: Mertens sollte Brückner nicht, wie von Staudte vorgesehen, erschießen. Solche Art Selbstjustiz dürfe nicht propagiert werden. So hält Hildegard-Susanne im Film schließlich ihren Freund Borchert-Mertens vom äußersten zurück.

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»Nicht der Einzelne darf richten, sondern das ganze Volk soll Gericht halten«, bemerkte die »Berliner Zeitung« in ihrer Rezension des Filmes, der »jedem Deutschen etwas zu sagen« habe (und dessen Premiere übrigens genau zwei Wochen nach der Urteilsverkündung im Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher stattfand). »Das ist die Mahnung des Films: Seid wachsam, daß die Mörder unter euch nicht zurecht kommen«, schrieb die »Tägliche Rundschau«, Organ der sowjetischen Militärverwaltung. Sie sah Wolfgang Staudtes Verdienst darin, daß er »etwas Neues« geschaffen habe. »Es gab bisher im deutschen Film diese Mischung von unerbittlichem Realismus, höchster Gegenwartsnähe und politischer Aktualität im Spielfilm nicht.« Im amerikanisch lizenzierten »Tagesspiegel« würdigte der bekannte Kritiker Friedrich Luft, daß Staudte »den Sprung in den neuen deutschen Film begann«. Sein Werk sei »mit äußerster Sorgfalt gemacht«. Luft fand aber auch, der Film mache »als Ganzes nicht klarer und befreit uns nicht«. Wolfdietrich Schnurre kritisierte in der »Deutschen Film-Rundschau«, Staudte habe zu wenig die Gespaltenheit des Charakters seines Helden betont, der einerseits selbst den Mörder bestrafen will, selbst aber indirekt an dem Mord beteiligt war, weil er nicht den Mut aufgebracht habe, sich dem Befehl zu widersetzen. Der liberal-demokratische »Morgen«, der den Film »eine Symphonie zwischen Tod und Leben« nannte, lobte »die in ihrer herben Süße besonders glückliche Hildegard Knef«. Das »Neue Deutschland« dagegen befand, daß die Knef »sicher noch nicht ausentwickelt ist« und es nur dem Regisseur zu verdanken sei, wenn sie »nicht völlig aus dem Rahmen der übrigen ausgezeichneten Leistungen herausfällt«.
     Die so Kritisierte hatte in der Festaufführung am Nachmittag des 15. Oktober neben Staudte im Admiralspalast gesessen und sich bei dieser »ersten Lektion in Sachen Filmpremiere« gewünscht, »eineinhalb Stunden lang unter dem ausgefransten Teppich liegen zu dürfen und nie mehr hervorzukommen«. Eine Lektion, mit der für die damals noch wenig bekannte Hildegard Knef eine Filmkarriere begann, die sie schließlich nach Hollywood und von da wieder zurück nach Berlin führte. »Die Mörder sind unter uns« gelangte schon drei Tage nach der Premiere am Friedrichshain in weitere 30 Kinos. Bis 1951 hatten den ersten deutschen Nachkriegsfilm fünf Millionen Zuschauer gesehen.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/1996
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