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mender Kugelform, aufsteigen. Sie waren schon lange vor der verabredeten Zeit von drei Uhr am Nachmittag startbereit. Die »National-Zeitung« schildert am 15. Oktober das Geschehen: »Für die Mitglieder des Berliner Vereins der Luftschiffahrt und solche, welche 5 Mk. Entrée nicht gescheut hatten, bot der Platz in der Gasanstalt Gelegenheit, dem Füllen der Ballons und ihrem Aufstieg aus nächster Nähe zuzuschauen. Unmittelbar außerhalb des Platzes war eine Tribüne erbaut, welche eine bequeme Sitzgelegenheit bot und ebenfalls einen guten Überblick über den Platz der Gasanstalt gestattete.
     Außerdem war das ganze freie Gelände bei Tegel, die Rehberge usw. dicht von neugierigem Publikum besetzt, das sich tadellos hielt, in stundenlangem Warten sich zum Teil biwaksmäßig eingerichtet hatte und gespannt auf die Entwickelung der Dinge wartete, welche der Hof der Gasanstalt in sich barg.«
Als geradezu ideal für den Aufstieg der Ballons erweist sich das dafür auserkorene Terrain in der Nähe der Gasfabrik und der Luftschifferkaserne: eine öde, fast baumlose Heide; an der Seite der Luftschifferkaserne etwas dürftiges Gestrüpp; am Horizont eine Reihe nicht allzu hoher Kiefern. Kaum auf Hindernisse stoßen die aufsteigenden Ballons, deren Flug meilenweit verfolgt werden kann, bis sie zu einem ganz kleinen Pünktchen zusammenschrumpfen und sich schließlich ganz verlieren.
     Ein Ballon nach dem anderen wird, je
Hans Aschenbrenner
14. Oktober 1906:
Erste internationale
Ballonwettfahrt

Die festlichen aeronautischen Tage vom 10. bis 15. Oktober 1906, veranstaltet vom »Berliner Verein für Luftschiffahrt« aus Anlaß seines 25jährigen Bestehens, bieten neben vielen anderen Höhepunkten als ganz besondere Attraktion eine Ballonwettfahrt mit Teilnehmern aus verschiedenen Ländern. Einen Wettkampf dieser Art hat es in Berlin bislang noch nicht gegeben. Deshalb pilgern die Hauptstädter an jenem 14. Oktober, einem Sonntag, in Scharen zum Ort des Geschehens: der Ballonstation Tegel. Unter ihnen sind nicht wenige, die am 10. Oktober schon einmal hier waren, um bei herrlichem Herbstwetter eine gleichfalls zum Jubiläumsprogramm gehörende Wettfahrt zwischen vier Ballons und 17 Automobilen mitzuerleben.
     Diesmal ist die Anziehungskraft auf die Berliner noch größer. Nach Tegel hinausfahrende Straßenbahnwagen werden »vom Publikum im wilden Sturme genommen«. Alle Mühen sind belohnt, als über den Mauern der Tegeler Gasanstalt allmählich 17 Ballons verschiedener Größe, aber in übereinstim

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Titelkopf der ersten in Deutschland herausgegebenen Zeitschrift für Luftschiffahrt, Berlin 1881
nach Größe, von 20 bis 30 Soldaten der Luftschifferabteilung herangeschleppt und auf das Kommando »Los!« unter dem Jubel der Zuschauer in Freiheit gesetzt. Trotz Verbots der Gendarmen sammelt sich um die Ballons jeweils eine große Menschenmenge; das Publikum harrt aus, bis auch vom letzten Ballon nichts mehr zu sehen ist. »Es will für seine 10 Pfennig Fahrgeld auch etwas sehen und denkt im stillen, daß sich doch noch vielleicht etwas Besonderes ereignen wird, daß etwa ein Ballon mit lautem Knall platzt oder in Brand gerät, oder daß jemand herausfällt, oder welche Gedanken ihm sonst noch die Nächstenliebe eingibt«, mutmaßt Autor Nicolaus Hubert in einer in der »National-Zeitung« vom 20. Oktober veröffentlichten Nachbetrachtung, und er fährt fort: »Es hatte dann auch die Genugtuung, von einem Ballon aus, der nicht gleich glatt hochkam und Ballast auswerfen mußte, mit Sand überschüttet zu werden. Sonst ging im allgemeinen alles wie am Schnürchen ...«
Bei schwachem West-Nord-West schlagen die Ballons sämtlich eine ostsüdöstliche Richtung ein und fliegen zunächst über den

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Norden Berlins. In der Luft befinden sich - zwei Ballonteams aus Frankreich und Spanien haben die Anreise nicht rechtzeitig geschafft - je ein Ballon aus Österreich und der Schweiz, zwei Ballons aus Belgien sowie 13 aus Deutschland. Die Zeitungen geben sich aufgrund des lebhaften öffentlichen Interesses alle Mühe, über Zeit und Ort der Landung der Ballons möglichst exakt zu informieren. Am 17. Oktober erfahren die Leser der »Vossischen Zeitung«, daß das Ergebnis noch aussteht, »da von zwei der gestarteten 17 Ballons noch keine Landungsnachrichten vorliegen. Die Nachzügler sind der österreichische Ballon >Helios< mit Dr. A. Schleim und der süddeutsche Ballon >Franken< mit Reg.-Baumeister Hackstetter und zwei Mitfahrern. Beide dürften nach Rußland getrieben und an Stellen gelandet sein, von wo eine sofortige telegraphische Nachricht über die Landung nicht abgesandt werden konnte. Die übrigen 15 Ballons landeten sämtlich glatt in Rußland, Böhmen, Schlesien oder Sachsen.« Am 23. Oktober veröffentlicht die »National-Zeitung« das offizielle Resultat: Den Ehrenpreis des Kaisers erhält Ballon »Ernst« (Führer Dr. Bröckelmann), während der Ehrenpreis des »Berliner Vereins für Luftschiffahrt« dem Ballon »Sohnke« (Führer Dr. Emden) zuerkannt wird.
     Zum Jubiläumsprogramm des »Berliner Vereins für Luftschiffahrt« - er war 1881 mit eigener Zeitschrift unter dem Namen »Deutscher Verein zur Förderung der Luftschiff
fahrt« gegründet worden - gehört auch eine Festsitzung der »Fédération Aeronautique Internationale«, die in der Aula der Technischen Hochschule Charlottenburg stattfindet. Referiert wird dabei über »Die Erforschung der Atmosphäre über dem Meere«, »Die Farbenphotographie vom Ballon aus, sowie im Dienste der Meteorologie« und »Die Entwicklung der Motor-Luftschiffahrt im 20. Jahrhundert«. Nach der ersten internationalen Ballonwettfahrt in Berlin werden von hier aus in den nächsten Jahren ähnliche Wettfahrten durchgeführt.
     Am 21. November 1783 hatte die Geschichte der Fahrten mit dem Freiballon, dem ältesten brauchbaren Luftfahrzeug, begonnen. An diesem Tag glückte den Brüdern Joseph Michael und Jacques Etienne Montgolfier in Paris die erste bemannte Fahrt mit einem Heißluftballon. Knappe fünf Jahre später, am 27. September 1788, unternahm dann Jean Pierre Blanchard, gleichfalls ein Franzose, im Tiergarten vom Exerzierplatz vor dem Brandenburger Tor aus den ersten bemannten Ballonflug über Berlin. Seit über 200 Jahren geht vom Ballonfahren Faszination aus. Kein Wunder, daß das internationale Ballonfahrertreffen vor wenigen Wochen auf der Trabrennbahn Berlin-Karlshorst gut besucht war.

Bildquelle:
»Ballon & Kultur. Mitteilungsblatt der Kulturgesellschaft Freiballon im Museum für Verkehr und Technik Berlin«, 3/1992 (Sonderausgabe)


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/1996
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