69   Novitäten Caruso singt in der Oper  
Horst Fliegel
9. Oktober 1906:
Caruso singt in der Oper

Es ist schon ein besonderer Tag im Leben der Königlichen Hofoper Unter den Linden, jener 9. Oktober 1906. Kein Geringerer als Enrico Caruso, der weltberühmte Tenor, singt erstmals im damals renommiertesten Musiktheater des deutschen Kaiserreiches. An jenem Mittwoch singt er den Herzog in Giuseppe Verdis »Rigoletto«, eine seiner Traumrollen. Am 11. Oktober ist er der José in Georges Bizets »Carmen«.
     Enrico Caruso wurde am 25. Februar 1873 in Neapel geboren. Er entstammt einer armen Familie. Die Mutter hatte bereits 17 Totgeburten hinter sich, als Enrico geboren wurde. Der Arzt, der die Mutter wegen ihrer schlechten Gesundheit häufig besuchte, Dr. Nicola, hatte eine Schwester, deren Passion das Klavierspiel und der Gesang waren. Die Arztrechnung mußte mangels baren Geldes in Naturalien bezahlt werden, und zwar mit Mozarella, den der kleine Enrico in der Küche der Schwester ablieferte. Die gab auch Gesangsunterricht, und so kam es, daß er oft an der Tür lauschte und heimlich die Tonleitern und Übungen nachsang. Einmal hörte ihn Signorina Nicola, staunte

nicht schlecht und gab ihm kostenlos Stunden. Später verdiente er sich ein paar Lire damit, daß er im Auftrag verliebter junger Männer ein Ständchen unter den Fenstern ihrer Angebeteten sang.
     1887 stand er erstmals auf der Bühne. 1889, nach seinem Stimmbruch, sang er neapolitanische canconi im Musikcafé. Ab 1891 studierte er intensiv Gesang bei Guglielmo Vergine. Schließlich begann 1895 eine Karriere, die ihresgleichen sucht. Der Meister des Belcanto, jenes unverwechselbaren italienischen Stils, errang dank seiner Stimme und seines Talents den ersten Platz unter den Operntenören seiner Zeit. Er war ständig auf Reisen und pendelte zwischen den Metropolen Europas und Amerikas. Allein an der MET, dem Metropolitan Opera House New York, sang er 600 Vorstellungen.
     Caruso beherrschte 67 Opernrollen. Seine Stimme, die sich von lyrischen Anfängen zu einer bis heute gerühmten technischen und künstlerischen Vollendung entwickelte, wurde ab 1901 auf über 500 Schallplatten festgehalten. Enrico Caruso starb am 2. August 1921 in Neapel an einer Infektion, die vor allem seine Lunge befallen hatte. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof von Santa Maria del Piano. Bis in die 30er Jahre war der einbalsamierte Körper in einem Jugendstilsarg aus Kristall und Silber ausgestellt. Später umkleidete man den Sarg mit Holz.

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/1996
www.berlinische-monatsschrift.de