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gespielt haben: Als der reiche Seifenhändler Etienne du Titre um Mademoiselle George anhalten wollte, traf er sie in der Küche beim Petersilienhacken, es sollte »Grünfisch« zu Mittag geben. Mit echtem Berliner Charme fragte er sie: »Mamsellken, möchten Sie denn auch einst in meine Küche jrine Petersilie hacken?« 1)
     Herr du Titre hinterließ Wirkung. Nach der Hochzeit zog er mit seiner jungen Frau in das Haus Poststraße 26.
     Die Vermögenslage ihres Mannes und dann - in späteren Jahren - der auserlesene Kreis ihres Schwiegersohnes, des Bankiers Beneke von Gröditzburg, erlaubten es Madame Dutitre, ein Leben in Saus und Braus zu führen. Sie pflegte Beziehungen bis in die höchsten Spitzen der Gesellschaft.
     Neben der Stadtwohnung in der Poststraße besaß Madame du Titre (die sich später Dutitre schreiben ließ) auch eine Sommerwohnung in der Berliner Straße 54 in Charlottenburg, wo sie König Friedrich Wilhelm III., der ihre urwüchsige Art sehr gern hatte, mehrmals besucht haben soll.
     Unter den Linden haben die du Titres, wie oft zu lesen ist, nie gewohnt. Das Haus Nr. 71 gehörte dem Schwager, dem Wollfabrikanten du Titre.
     Marie Anne du Titre soll vorzüglich französisch gesprochen haben. Wenn sie deutsch sprach, berlinerte sie kräftig und kümmerte sich dabei um keinerlei Grammatik. Unzählige Bonmots sagt man
Wolfgang Schäfer
Madame Dutitre - Geschichten um ein Alt-Berliner Original

Auf dem Friedhof der französischen Gemeinde in der Chausseestraße, einst für die verstorbenen französischen Emigranten angelegt, liegt in den Reihen links vom Eingang das Grabmal der Madame Dutitre, einem Berliner Original, das zur Geschichte der Stadt gehört. Auf ihrem Grabmal, einem eisernen Kreuz, steht:
Marie Anne Dutitre, née George, fille de Benjamin George et de Sarah Robert, né le 27 Janvier 1748, mort 22 Juillet 1827.
     Um die Person der Dutitre ranken sich viele Geschichten und Anekdoten. Nach allem, was aus Überlieferungen bekannt ist, war sie die Tochter des vermögenden Braumeisters Benjamin George, der einer französischen Emigrantenfamilie angehörte, die nach Berlin ausgewandert war. Er besaß große Ländereien an der Spree, in der Gegend der Weidendammer Brücke, nach ihm ist die heutige Georgenstraße benannt.
     Leider ist über die Kindheit und die Jugendzeit der Marie Anne Dutitre nichts bekannt. Das Werben um ihre Hand soll sich so ab-


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ihr nach, riesengroß ist die Zahl der Geschichten, die über sie erzählt werden.
     Den König, den sie sehr verehrte, soll sie stets mit folgenden Worten begrüßt haben: »Ju'n Morjen seine Majestät, König Friedrich der Dritte!« 2)
     Als sie ihm wieder einmal bei einem Spaziergang Unter den Linden begegnete, trat sie voller Ehrfurcht zur Seite und begrüßte ihn mit einem tiefen Hofknicks, soweit es ihre Körperfülle zuließ. Der König, abgelenkt, übersah Madame du Titre und erwiderte nicht ihren Gruß. Das war zuviel. Mit wenigen Schritten war sie beim König, zog ihn am Rockärmel und sagte: »Na, wat is'n det, Majestätken, man nich so stolz, Steuern nehmen kann er, aber die reiche Dutitren grüßen, is nich!« Der König schluckte ob dieser respektlosen Worte, lachte dann aber und gab der Beleidigten freundlich die Hand.
     Den Handschuh, mit dem sie den königlichen Händedruck empfangen hatte, legte Madame du Titre unter Glas und schrieb dazu die erklärenden Worte: »An diesem Handschuh faßte mir mein Keenich!« 3)
     Der König ritt an Sommertagen gerne aus. Gewöhnlich kam er auch am Sommerhaus der Madame Dutitre in Charlottenburg vorbei. Die pflegte dann aus dem Fenster zu schauen, und der König grüßte sie. Stolz und glücklich über die Gunstbezeigung erwiderte Madame du Titre den Gruß. Einmal aber war der König so in Gedanken versun
ken, daß er die erwartungsvoll aus dem Fenster schauende Madame du Titre übersah. Die war auf das tiefste gekränkt. Als dem König später seine Unterlassungssünde bewußt wurde, wollte er Madame du Titre besonders freundlich auf dem Heimritt grüßen. Als er an ihrem Fenster vorbeikam, sah er die alte Dame hinter dem Spion am Fenster sitzen. Er grüßte und winkte huldvoll lächelnd hinauf. Aber es kam kein Gegengruß. Und nicht der König, wohl aber die im Zimmer Anwesenden bekamen zu hören: »Vorhin maulte er - jetzt maule icke!« 4)
     Ihrem alten Hausarzt Heim, dem das Treppensteigen schon schwer fiel, hat sie auf originelle Art und Weise diese Tortur erspart. Vom Fenster aus streckte sie ihm die Zunge entgegen, um zu bekunden, daß sie gesund, froh und munter sei. 5)
     Auf dem Französischen Friedhof, auf dem sie ihre letzte Ruhe fand, liegt unweit ihrer Grabstätte die Stele des Schauspielers Ludwig Devrient. Ihm galt ihre große Bewunderung. Als sie einmal im Schauspielhaus den Künstler auf der Bühne sah, war auch der Hof zugegen. Der König erkundigte sich nach dem Befinden ihrer Kinder, die sich schon längere Zeit in Rom aufhielten.
     »Ach«, erwiderte Madame du Titre, glücklich über die Nachfrage, »ich danke, Majestäken, die jehet jut; mien Schwiegersohn war schon zweemal bei'n Papst, und der is so freundlich zu ihn, wie Majestäteken zu mir, un meine Dochter war ooch bei der

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Frau Päpstin zum Tee jebeten!« - Madame du Titre war so erfreut über das Ansprechen des Königs, daß sie am Schluß der Vorstellung Ludwig Devrient zum Essen einlud. Devrient, der gewöhnlich seine Abende im Weinkeller Lutter & Wegner verbrachte, folgte der Einladung, und kam in lustiger Stimmung kurz vor Mitternacht ins Haus der alten Dame. Sie empfing ihn mit den Worten: »Na sagen Se mal, Devrientchen, warum sind Se denn, wie Se noch kleen warn, Ihrem Vater fortjeloofen un unter de Lumpenkomedianten jejangen?« Schlagartig war dem Schauspieler die gute Laune vergangen. Er sollte sich erst im Weinkeller von Lutter & Wegner von dieser »netten« Frage erholen. 6)
     Als ihr Mann im Sterben lag, wünschte er seine Frau noch einmal zu sehen. Madame du Titre weigerte sich standhaft, ihrem Mann diesen letzten Wunsch zu erfüllen. Selbst der »alte Heim« schaffte es nicht. Immerhin ging sie an die Tür des Krankenzimmers, öffnete sie zaghaft und rief ihrem Mann zu: »Jott Vater, wat soll denn das! Du weest doch, ick kann keene Dodten nich sehen!« 7)
     Madame Dutrite starb 1827.
     In ihr Testament schrieb sie: »Wenn ick mir so denke, wer von meine Verwandten all det scheene Jeld erben dut, mechte ick am liebsten jarnich sterben!« 8)

Quellen:
1 Emil Dominik: Quer durch und ringsum Berlin. Eine Fahrt auf der Berliner Stadt- und Ringbahn, Berlin, Verlag der Gebrüder Paetel 1883, araniReprint, 1988, S. 3 ff.
2 Ebenda
3 »Berlin am Morgen«, 28. Dezember 1930
4 Ebenda
5 Ebenda
6 Ebenda
7 Emil Dominik: Quer durch und ringsum Berlin. Eine Fahrt auf der Berliner Stadt- und Ringbahn, a. a. O. S. 6
8 »Berlin am Morgen«, 28. Oktober 1930


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/1996
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