49 Porträt | Johann Jakob Baeyer |
Hans-Heinrich Müller
Ein Erdvermesser im Offiziersrang Johann Jakob Baeyer
Mit den Anfängen der Industrie im
frühen 19. Jahrhundert begann auch der große Aufschwung der Naturwissenschaften. Es setzte sich immer mehr der
Entwicklungsgedanke durch, es wurde die
mechanische Einseitigkeit des 18. Jahrhunderts
überwunden, wesentliche Zusammenhänge der
in der Natur vorhandenen Erscheinungen und Bewegungsformen und der verschiedenen Untersuchungsgebiete, wie der Mechanik, Physik, Chemie, Biologie, aufgezeigt, die empirische in eine theoretische Wissenschaft verwandelt. Die
theoretischen Fortschritte der Naturwissenschaft,
die durch die Bedürfnisse der
kapitalistischen Produktion neue und starke Anstöße
erhielt, beeinflußten zunehmend die
Weiterentwicklung der kapitalistischen Produktion
- eine entscheidende Wende in der Herrschaft des Menschen über die Natur wurde vollzogen.
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Johann Jakob Baeyer | |||||
Größe und Gestalt der Erde sowie zuverlässige Methoden der Landvermessung dienten nicht nur der Geographie, sondern waren auch zur Grundstücksvermessung (Kataster, Flurkarten) sowie für den Städtebau und die industriellen und verkehrstechnischen Anlagen erforderlich. Johann Jakob Baeyer gehört zu denen, die die Geodäsie vorantrieben und auf exakte Grundlagen stellten. | |||||
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Baeyer, geboren am 5. November 1794
in Müggelheim im heutigen Stadtbezirk
Köpenick, war der Sohn eines Landwirts und Dorfschulzen, dessen Eltern aus der
Rheinpfalz stammten und unter Friedrich II. in der Müggelheimer Pfälzerkolonie
angesiedelt worden waren. Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums
nahm Baeyer als Freiwilliger am Kampf gegen Napoleon teil, entging nur knapp dem Tode in der Schlacht bei Dennewitz nahe
Jüterbog und kämpfte in der Völkerschlacht
bei Leipzig; die Kriegswirren verschlugen ihn nach Antwerpen und Frankreich, wo er
die Kapitulation von Paris erlebte. Im August 1814 traf er wieder in Berlin ein, um
seine Gymnasialstudien fortzusetzen.
Freilich nicht für lange. Denn als die Mobilmachung des Jahres 1815 begann, wurde Baeyer, der inzwischen die Offiziersqualifikation erworben hatte, nach Aachen entsandt, um die rheinische Landwehr zu organisieren, ohne jedoch Feindberührung zu erleben. Er entschloß sich, Soldat zu bleiben, und meldete sich zur Aufnahme in die von Neidhardt von Gneisenau errichtete Kriegsschule in Koblenz. Hier wirkten hervorragende Lehrkräfte, wie der berühmte Theoretiker der Kriegskunst Karl von Clausewitz. Nach bestandener Prüfung arbeitete Baeyer im topographischen Büro der Kriegsschule, vertiefte hier sein mathematisches Wissen, erlernte das Situationszeichnen und die Schraffenmanier und | wurde in die Theorie und Praxis der
trigonometrischen Landvermessung eingeweiht, die bald Baeyers Lebenswerk werden
sollte. In Siebenbürgen und im Westerwald legte er seine ersten erfolgreichen geodätischen Proben an. 1819, als das topographische
Büro nach Erfurt verlegt wurde, begann Baeyer mit der Triangulation
(Dreiecksmessung) von Thüringen, die Grundlage für die
genaue Vermessung (Dreiecksmessung) und Kartierung des Landes wurde. 1821 kam der junge Offizier (Leutnant) zum preußischen Generalstab nach Berlin, dem die Landesaufnahme angeschlossen war, um ein Vierteljahrhundert Mathematik und Vermessungskunde zu lehren. Seine Liebe gehörte fortan der Geodäsie.
In Berlin lernte er den bedeutenden Astronomen und Mathematiker Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846) und Alexander von Humboldt (1769-1859) kennen, die Baeyers weitere Laufbahn prägten. Humboldt vor allem erkannte die naturwissenschaftlichen Fähigkeiten des jungen Offiziers. Er wählte ihn als Begleiter für seine geplante Reise nach Sibirien (1829) und ermunterte ihn zu mineralischen und chemisch-geologischen Studien. Doch Krankheit vereitelte die Teilnahme Baeyers an dieser Forschungsreise. Die chemischen Bücher aber, die zum Studium der Reise angeschafft worden waren, dienten dem jüngsten Sohne Baeyers, dem späteren Nobelpreisträger Adolf von Baeyer (1835-1917), dazu, sich mit | |||||
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den Anfangsgründen der Chemie bekannt
zu machen, die er Ende des 19. Jahrhunderts durch epochemachende
Entdeckungen (Teerfarbenchemie) bereicherte.
Neben seinen geodätischen Arbeiten befaßte sich Baeyer auch mit hygienischen und sozialpolitischen Problemen. So empfahl er, in Berlin eine Trinkwasserleitung zu legen und die Dampfkraft zum Ausspülen der »jämmerlichen Rinnsteine« zu nutzen. Um zu erkunden, wie andere Großstädte diese Probleme angehen, schickten ihn Humboldt und der Oberbaurat Eytelwein 1844 nach Paris und London. Auf Grund des ausführlichen Berichtes Baeyers befürwortete der preußische König die Anlage einer Wasserleitung und erklärte sich bereit, 200 000 Taler zur Verfügung zu stellen. Aber die Berliner Stadtverwaltung war allen Vorschlägen abgeneigt. Als dann später eine englische Gesellschaft von dem Berliner Polizeipräsidenten Carl Ludwig Friedrich von Hinckeldey (1805-1856) mit der Kanalisation beauftragt wurde, unterstützte Baeyer den Bau solcher »lebendigen Pulsadern der Reinlichkeit«. 1) Doch sein Hauptaufgabengebiet blieb die Geodäsie. Baeyer war seit 1826 mit der Tochter des bekannten Kriminalrats Eduard Hitzig verheiratet. 1827 zum Hauptmann avanciert, 1836 zum Major, 1845 zum Oberstleutnant, 1848 zum Oberst, 1852 zum Generalmajor befördert. Zusammen mit dem Königsberger Astronomen Bessel betrieb er | von 1831 bis 1834 die historische
ostpreußische Gradmessung: Beide gaben 1838 das
inhaltlich und methodisch bedeutsame Werk »Die ostpreußische Gradmessung«
heraus, das die Geodäsie entscheidend
vorantrieb. Es folgten zahlreiche Landvermessungen
in Preußen, Küstenvermessungen, er
entwarf die Triangulation Mecklenburgs, fertigte
ein Gutachten für die Kartierung des
Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen an,
nahm im Auftrag der russischen Admiralität
die Vermessung des Jadebusens vor und dehnte das trigonometrische Nivellement
(Höhenmessung) Ostsee-Berlin auf den Brocken und Inselsberg aus, wobei er sich auch
um die wissenschaftliche Meteorologie verdient machte, indem er die terrestrische
Strahlenbrechung und die atmosphärischen Bewegungen auf ihre Abhängigkeit von der
ablenkenden Tendenz der Erdumdrehung untersuchte.
Bekannt geworden ist Baeyer aber vor allem als Schöpfer der internationalen Erdmessung. In seiner 1861 vorgelegten Denkschrift »Über die Größe und Figur der Erde«, gewidmet seinem einstigen Gönner Alexander von Humboldt, erläuterte er den Grundgedanken, daß eine wirkliche Einsicht in die Gestalt und Größe der Erde nur zu gewinnen ist, wenn die geodätischen Operationen in zwei zueinander senkrechten Richtungen über einen möglichst großen Teil der Erdoberfläche erstreckt würden. Diese Denkschrift gab den Anstoß zu einer internationa | ||||
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len Konferenz, die 1864 in Berlin
stattfand. Aus der Konferenz ging im gleichen Jahr das »Zentralbüro der
mitteleuropäischen Gradmessung« hervor, das 1867 zur
»Europäischen Gradmessung« erweitert
wurde und dem fast alle europäischen Länder
angehörten. Die von Baeyer geschaffene und geleitete Organisation, die 1886 in die
»Internationale Erdmessung« umgewandelt wurde, ermittelte wertvolle Angaben über das Profil der Erdoberfläche sowie über die Verteilung der Massen in der Erdkruste Europas von Norwegen bis Sizilien.
Baeyer war ständiger Ehrenpräsident der
Generalversammlungen, auf denen die neuesten geodätischen Erkenntnisse erörtert
und künftige Richtlinien beschlossen wurden.
In dieser Eigenschaft wurde ihm von der Generalversammlung 1883 in Rom, an der er nicht teilnehmen konnte, eine goldene Medaille übersandt; seine Verdienste würden in euphorischen Worten gewürdigt. 1869 wurde auf Antrag Baeyers das Geodätische Institut gegründet, dessen Leitung er bis zu seinem Tode innehatte, nachdem er einige Jahre früher als Generalleutnant aus dem Militärdienst verabschiedet worden war. Das Institut wurde von Friedrich Robert Helmert (1843-1917) in Potsdam fortgeführt und erlangte als Zentralbüro der Internationalen Erdmessung Weltgeltung. Johann Jakob Baeyer starb am 10. September 1885 in Berlin. Ein Gedenkstein in Alt-Müggelheim, der | eine Erdmessung versinnbildlicht,
erinnert an diesen bedeutenden Geodäten, der
durch seine planvollen und vorbildlichen Arbeiten und seine große organisatorische
Begabung der deutschen Geodäsie bis zum
Ersten Weltkrieg zur internationalen Vorrangstellung verhalf.
Quelle:
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/1996
www.berlinische-monatsschrift.de