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von Verantwortlichen, bürokratischer Schlendrian, schlampige Bauausführung und Bevorzugung von politischen Renommierbauten. Neubauwohnungen, besonders an der Stalinallee, wurden vorrangig an »verdienstvolle« Bürger vergeben: an »Helden der Arbeit«, Aktivisten, »schaffende Intelligenz« u. a. Der im Zuge der Reduzierung der sowjetischen Besatzungstruppen 1950 bis 1952 in den Bezirken Pankow, Weißensee und Lichtenberg (Karlshorst) frei gewordene Wohnraum kam zumeist nicht der Allgemeinheit zugute. Private Hausbesitzer erhielten für Reparaturen oder Ausbauten weder Kredite noch Baumaterialien.
     Nachdem im Frühjahr 1949 97 private Wohnungsbau- und Grundstücksgesellschaften enteignet worden waren, übernahmen die Verwaltung und Betreuung dieses Wohn- und Gewerberaumes zunächst die volkseigene Grundstücksverwaltung »Heimstätte Berlin« und ab 1. Januar 1952 die volkseigenen Wohnungsverwaltungen in den einzelnen Stadtbezirken. Damit war auch das Berliner Bau- und Wohnungswesen voll in die zentralistische Planwirtschaft eingebunden. Was das konkret für die Ostberliner Wohnungsinhaber und Wohnungsuchenden bedeutete, lassen die Stimmungsberichte des Amtes für Information erkennen.
Gerhard Keiderling
»Es wird berichtet ...«

Wohnungsfragen sind noch immer Schwerpunkt

Was viele Ostberliner im dritten Jahr der DDR noch immer dringend benötigten, war eine Wohnung: beheizbar, trocken, hygienisch zumutbar und der Familiengrö-ße einigermaßen angemessen. Von rund 681 000 Wohnungen im Ostteil waren durch den Krieg über 184 000 total zerstört. Die Wohnungsbestandsaufnahme vom September 1949 ergab 408 176 benutzbare Wohnungen in den acht Ostberliner Verwaltungsbezirken, davon 27 764 in Lauben und sonstigen Behelfsunterkünften. Laut Rechenschaftsbericht des Magistrats vom November 1952 konnten zwar von 1949 bis 1952 durch Neubau - ohne Stalinallee - und Ruinenausbau 10 500 Wohnungen neu gewonnen und 83 000 bewohnte Wohnungen instand gesetzt werden, doch bedeutete dies nur den berühmten Tropfen auf den heißen Stein. Hinzu kam, daß über 40 000 Anträge von Wohnungsuchenden bei den Ämtern lagen. 1)
     Kein Wunder also, daß ein Großteil der Wünsche, aber auch der Klagen und Beschwerden die Wohnungsfrage betrafen.
     Heftig kritisiert wurden herzloses Verhalten


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In der Beschwerdestelle des Oberbürgermeisters sind noch immer die Wohnungsfragen der Schwerpunkt. Neuerdings kommen folgende Klagen zutage: Die Wohnungsämter haben verschiedene Dringlichkeitslisten aufgestellt, wonach den einzelnen Antragstellern mitgeteilt wird, daß sie ungefähr in der und der Zeit mit der Zuweisung einer Wohnung rechnen können. In der Praxis hat sich jetzt herausgestellt, daß die dort angegebenen Termine nicht eingehalten und erheblich überschritten werden. Die Wohnungsämter erklären, daß in letzter Zeit eine Menge neue Mieter hinzukamen, die aus einsturzgefährdeten Häusern und auch durch Sonderauflagen bevorzugt werden müssen, und diese Merkmale bei der Aufstellung der Dringlichkeitslisten noch nicht bekannt waren.
     (Stimmungsbericht vom 16. Januar 1952)

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Von der Beschwerdestelle des Oberbürgermeisters wird mitgeteilt, daß in den Eingaben der Antragsteller und in persönlichen Rücksprachen der Besucher erklärt wird, daß Wohnungs- und Grundstücksüberprüfungen der gleichen Wohnung bzw. des gleichen Grundstücks außerordentlich häufig vorgenommen werden. So wurde z. B.
     auf Grund der Mitteilung des Hausvertrauensmannes vom 21. 1. 1952 festgestellt, daß die Grundstücke Greifenhagener Str. 43 und

Rodenbergstraße 16 15 bis 20 mal überprüft wurden ohne Abstellung der Mängel. Die Bevölkerung hat für derartige Methoden kein Verständnis. [...] (Stimmungsbericht vom 4. Februar 1952)

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Die Berliner Volkseigene Wohnungsverwaltung Friedrichshain hat in den letzten 3 Wochen 35 Mieterversammlungen durchgeführt, an denen sich 1213 Mieter von 3850 geladenen Mietern beteiligt haben. An diesen Versammlungen haben Vertreter der Nationalen Front teilgenommen und zu den politischen Ereignissen gesprochen.
     Außerdem konnten 12 Hauskomitees 2) gebildet werden. Das Ziel dieser Veranstaltungen ist, ausgehend von den persönlichen Sorgen der Mieter die politischen Tagesfragen zu verbinden und möglichst in jedem Haus ein Hauskomitee zu gründen. Eine Stellungnahme der Mieter zu den politischen Referaten erfolgte in den allermeisten Fällen nur sehr wenig. In der Diskussion sprechen meist die Menschen sofort über ihre persönlichen Sorgen und über die Notwendigkeit der Instandsetzung ihrer Häuser. [...] In einigen Fällen äußerten sich eingeladene Mieter dahingehend, daß doch nur über politische Dinge gesprochen wird und daß man sich um ihre Sorgen nicht kümmert. Teilweise wurde der schwache Besuch damit begründet, daß der Weg zu


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den Versammlungsräumen (Aufklärungslokale der Nationalen Front) vielfach zu weit ist. Eine weitere Meinung tauchte darüber auf, daß es sich nicht lohne, solche Mieterversammlungen zu besuchen, da an den bestehenden Zuständen ja doch nichts geändert wird.
     In einer Versammlung wurden Beschwerden laut, daß z. B. die Mieter des Hauses Kochhannstr. 10 äußerst empört darüber sind, daß 9 Mietsparteien eine einzige Toilette benutzen müssen und daß diese Toilette, von der sich die Mieter aus den Kochstuben ebenfalls ihr Trinkwasser holen müssen, noch nicht einmal eine Tür hat. (Der Instandsetzungsauftrag für die Tür wurde inzwischen von der Wohnungsgesellschaft erteilt.)
Starke Vorwürfe werden auch gegen die Wohnungs-Baubetreuung Berlin 3) erhoben, die für die Instandsetzungsarbeiten im Jahre 1951 verantwortlich war und von ihr auch durchgeführt wurden. Es zeigt sich jetzt, daß in vielen Fällen die eingeplanten Summen nicht ausreichen und daß die Wohnungs-Baubetreuung nach Ausschöpfung der Planmittel die Arbeiten eingestellt hat, ohne die Instandsetzung zu Ende zu führen. Außerdem hat sie es in sehr vielen Fällen unterlassen, den neuen Volkseigenen Wohnungsverwaltungen Mitteilung dar-über zu machen, in welcher Höhe für das Jahr 1952 weitere Mittel für die betreffenden Grundstücke einzuplanen sind. Das hat jetzt
zur Folge, daß zahlreiche wieder zum Teil instandgesetzte Häuser als sogenannte Bauleichen da stehen, worüber die Bevölkerung mit Recht empört ist, weil die angefangenen Arbeiten nicht zu Ende geführt werden. Sehr viele Beschwerden kommen auch über vielfach schlechte Ausführung der Instandsetzungsarbeiten. Bei neu verputzten Wänden fällt vielfach - besonders um die Türeinfassung - der Mörtel bereits wieder herunter, und das zu frisch verarbeitete Holz reißt häufig beim Austrocknungsprozeß. Türen und Fenster schließen nicht. Die gelieferten Türschlösser sind vielfach mangelhaft, da Aluminiumstatt Stahlstifte verwandt wurden.
     (Stimmungsbericht vom 15. Mai 1952)

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Von der Volkseigenen Wohnungsverwaltung Friedrichshain wird mitgeteilt, daß die ihnen übergebenen Unterlagen von der Verwaltungsstelle für Sondervermögen und von der Heimstätte derartig in Unordnung waren, daß ca. 3 Monate benötigt wurden, um hier klare Verhältnisse zu schaffen. Dabei stellte sich heraus, daß ca. für 1 500 000,- DM Mietsrückstände zu verzeichnen sind. Einige Mieter haben Rückstände bis zu 2 000,- DM. Ca 1 500 Mieter mit Mietsrückständen sind bereits verzogen. Im Gegensatz dazu standen der Volkseigenen Wohnungsverwaltung Friedrichshain nur 10 000,- DM zum Aus


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bauen und Reparieren der Wohnung zur Verfügung. Diese Summe reicht bei weitem nicht aus, um die notwendigen Arbeiten in diesem Jahr auszuführen. Aus diesem Grunde mußten jetzt die Reparaturarbeiten eingestellt werden. Ein Teil der Wohnungen ist nur zum Teil instandgesetzt worden. Durch Materialschwierigkeiten in Holz, Bindemittel und Nägeln liegen zeitweilig weitere 10 bis 20 Baustellen still. Diese Zustände werden in den von der Volkseigenen Wohnungsverwaltung durchgeführten Hausversammlungen stark kritisiert.
     In 18 durchgeführten Hausversammlungen waren von 1724 eingeladenen Mietern 634 erschienen. [...] Auf persönliche Rückfragen bei den Mietern wurde in vielen Fällen erklärt, daß es sich nicht lohne, eine Mieterversammlung zu besuchen, da ja doch nichts gemacht wird. In anderen Versammlungen wurde erklärt, 4 bis 5 mal wurden unsere Wohnungen bereits besichtigt, aber gemacht wird nichts. Als am Sonntag, den 25. 5. 52 450 Einwohner aus dem Bezirk Steglitz durch die Graudenzer Str. gingen, um sich dort die neuen Wohnblöcke [an der Weberwiese und Stalinallee, d. Vf.] anzusehen, wurde aus dem Hause Graudenzer Str. 9 laut herunter gerufen: »Kommen Sie doch zu uns herauf und sehen Sie sich mal unsere Schweineställe an!« (Hier handelt es sich zum Teil um Häuser, die für den Abriß bestimmt sind, so daß nur noch die notwendigsten Arbeiten vorgenommen
werden; notwendig wäre jedoch, die Mieter darüber aufzuklären.)
(Stimmungsbericht vom 3. Juni 1952)

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Wie Koll. Meier, Direktor der Volkseigenen Wohnungsverwaltung, Warschauer Str. 43. erklärt, diskutiert die Bevölkerung sehr viel darüber, daß für die Neubauten in der Stalinallee alles, für alte Bauten aber nichts übrig sei. Die Volkseigene Wohnungsverwaltung habe vom Bauamt eine Auflage von 120 Gefahrenstellen erhalten, könne aber diese Reparaturen nicht ausführen lassen, da ihr keine Mittel zur Verfügung stehen. Koll. Perlick von der Nationalen Front hat dem Koll. Meier mitgeteilt, daß in den Häusern, für die keine Planmittel zur Verfügung stehen, keine Versammlungen mehr durchgeführt werden.
     (Stimmungsbericht vom 4. August 1952)

Anmerkungen:
1 Vgl. Rechenschaftsbericht des Oberbürgermeisters zum vierjährigen Bestehen des demokratischen Magistrats von Groß-Berlin, S. 7 f.
2 Die Nationale Front organisierte seit 1950 Hausfriedenskomitees und seit Anfang 1952 Hauskomitees für das Nationale Aufbauwerk (NAW).
3 Die »Baubetreuung Berlin« wurde im Mai 1950 gegründet.


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/1996
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