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drei bzw. sieben Betriebsjahren selbst bestimmen konnte, die Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h nicht überschritten werden durfte und die Züge in beiden Richtungen im Fünf-Minuten-Takt fahren sollten.
     Vor 100 Jahren, am 10. September 1896, konnte dann endlich der erste Spatenstich für die Berliner U-Bahn in der Gitschiner Straße/Ecke Alexandrinenstraße erfolgen. Ein knappes Jahr später begann - entlang der Straßenmitte - der Aufbau der Eisenkonstruktionen für den Viadukt.
     Zur Regelung der wirtschaftlichen Angelegenheiten dieses Projektes wurde im April 1897 unter Führung der Deutschen Bank die »Gesellschaft für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen in Berlin« gegründet, die die von Siemens & Halske erworbenen Rechte und Genehmigungen vertrat.
     Am 18. Februar 1902 fuhr die erste U-Bahn Berlins vom Bahnhof Stralauer Thor bis Potsdamer Platz (acht Stationen). 19 Fahrgäste erlebten die Eröffnungstour. »Damen mit ungeschützter Hutnadel« waren von diesem Vergnügen ausgeschlossen.
     Der befürchtete Ansturm war ausgeblieben - man hatte den dreifachen Fahrpreis erhoben.
     Die Strecke, noch im Jahre 1902 bis Warschauer Brücke (heute Warschauer Straße) und westlich bis Bahnhof Knie (heute Ernst-Reuter-Platz) verlängert, wurde zur Stammlinie des jetzigen U-Bahn-
Maria Curter
Erster Spatenstich für
die Berliner U-Bahn

Längst hatten die Londoner ihre »Underground« und die Budapester die »Földalatti«, als man in Berlin noch debattierte, ob die »Elektrische« von Siemens nun unterirdisch oder oberirdisch verkehren sollte. Wie bei manchem anderen, dauerte es auch hier etwas länger.
     Nachdem die Firma Siemens & Halske 1893 per Kabinettsorder die Genehmigung Seiner Majestät zur Anlage einer elektrischen Hochbahn erhalten hatte, schloß sie noch im selben Jahr mit der Stadtgemeinde Charlottenburg sowie 1895 mit Schöneberg und der Stadt Berlin Zustimmungsverträge für die künftige Trassenführung. Die staatliche Genehmigung zum Bau und Betrieb der geplanten Strecke von der Warschauer Brücke zunächst bis zum Nollendorfplatz und für den Abzweig Potsdamer Platz erfolgte am 15. März 1896. Sie schloß die Inanspruchnahme öffentlicher Straßen und Plätze, den notwendigen Grunderwerb sowie ein Enteignungsrecht durch die Firma Siemens & Halske für den »dem öffentlichen Wohle dienenden Bahnbau« ein. Mit dieser Genehmigung war auch geregelt, daß die Firma Fahrplan und Preise in den ersten


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Netzes. Heute die U 1, reicht sie von der Warschauer Brücke quer durch Berlin bis Krumme Lanke.
     War der Zugang an der Warschauer Brücke ebenerdig, so konnte man eine Haltestelle weiter, am Stralauer Thor, den Bahnsteig nur über einen Zugangsturm und eine Fußgängerbrücke erreichen. Den Startpunkt der Jungfernfahrt - die Station Stralauer Thor (oder Tor bzw.
     ab 1924 Osthafen) - sucht man heute vergebens im Stadtplan. Wer aber aufmerksam die inzwischen restaurierte Oberbaumbrücke von Kreuzberg nach Friedrichshain in dem kreuzgewölbeähnlichen Gang überquert, der findet noch Spuren dieses Bahnhofs. Zwischen dem Ende der backsteinernen Brücke auf Friedrichshainer Seite und der Stralauer Allee sind vier Paar mit Sandstein verkleidete Stützpfeiler vorhanden. Auf ihnen ruhte die zweigleisige Bahnsteighalle. Lin

Ein- und Ausfahrt - Bahnhof Nollendorfplatz


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ker Hand, an der Ecke Am Oberbaum und Mühlenstraße, war der Zugangsturm, von dem aus die Fußgängerbrücke quer über die Oberbaumbrücke zu den Gleisen führte.
     Architektonisch war der Bahnhof eine Mischung aus den heutigen Bahnhöfen Prinzenstraße und Görlitzer Bahnhof. Er wurde nach Entwürfen des Siemens-Baubüros errichtet und war eng mit dem Bau der Oberbaumbrücke in den Jahren 1894 bis 1896 verbunden. Die meisten bis in die 20er Jahre gebauten U-Bahn-Stationen gehen allerdings auf den schwedischen Architekten Alfred Grenander (1863-1931) zurück. Durch einen Luftangriff am 10. März 1945 total zerstört, ist der Bahnhof Stralauer Thor nach dem Zweiten Weltkrieg als einziger der beschädigten Bahnhöfe nicht wieder aufgebaut worden.
     Schon beim Bau der ersten Teilstrecke erfolgte der Übergang von der Hochzur Untergrundbahn. Zum einen empfand man eine Hochbahn als recht störend im Stadtbild, zum anderen war durch die Errichtung des Spreetunnels zwischen Stralau und Treptow (1896-1899) bewiesen worden, daß mit einer neuen Technologie - dem Schildvortrieb - auch in Berlins schwammigem Untergrund unterirdisch gebaut werden kann. Nachdem die U 1 ebenerdig gestartet war, oberirdisch durch die Gitschiner und Skalitzer Straße fuhr, verschwand sie gleich hinter dem Nollendorfplatz im Tunnel und fuhr bis Bahnhof
Knie und später noch weiter unterirdisch.
     Die Entstehungsgeschichte der Metro von Berlin reicht im übrigen bis ins Jahr 1879 zurück. Damals führte Werner von Siemens auf der Berliner Gewerbeausstellung eine elektrisch betriebene Versuchsbahn vor und beantragte 1880 den Bau einer Hochbahn vom Belle-Alliance-Platz (heute Mehringplatz) durch die Friedrichstraße zum Wedding. Mit einer Spurweite von einem Meter sollte die Bahn, nach Fahrtrichtung getrennt, rechts und links auf den Bürgersteigen auf je einer einreihigen Pfeilerreihe von 4,50 Meter Höhe angeordnet werden. Der Antrag wurde abgelehnt. Es folgten Vorschläge, eine Probestrecke in der Markgrafenstraße zu bauen und »die Leipziger Straße ganz mit einem Brückennetz zu überspannen, um die Fahrbahn für eine Hochbahn zu gewinnen ...«
Werner von Siemens, der ständig nach kostengünstigen Trassen für Hoch- und Untergrundbahnen gesucht hatte, starb 1892. Sein langjähriger Mitarbeiter, Heinrich Schwieger, der Leiter der elektrischen Bahnabteilung des Hauses Siemens & Halske, setzte die Bemühungen fort und baute zunächst eine Untergrundbahn in Budapest. Sie ging im Jahre 1896, zu jener Zeit also, da in Berlin der erste Spatenstich für die U-Bahn erfolgte, in Betrieb.

Bildquelle:
Ingenieurwerke in und um Berlin. M. Krause, Berlin 1906, S. 394


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/1996
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