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kann, ohne daß sie darin stecken bleibt, lagert bereits am Platze und harrt auf die Erhärtung des Mauerwerks.« Am 23. Juli ist von einer Vorbesichtigung die Rede, am 26. Juli wird mitgeteilt, daß sich das Fernrohr nun ohne Gerüst zeigt. Am 9. August wird von einer kleinen Betriebsstörung gesprochen, ehe es am 16. September, vier Wochen vor dem Ende der Gewerbeausstellung, heißt: »Das Riesenfernrohr fungiert endlich.« (Daß die Freigabe des Fernrohrs für Besucher am 27. September 1896 erfolgte, wie im historischen Berlin-Kalender vermerkt, läßt sich nicht bestätigen.)
Für den jungen Astronomen Friedrich Simon Archenhold (1861-1939, siehe BM 7/92) kam die nicht termingemäße Fertigstellung einem finanziellen Desaster gleich. Hatte er doch jahrelang für die Verwirklichung seines Traums von einem leistungsfähigen Fernrohr gewirkt und im Vorab finanzielle Mittel zusammengeborgt, die mit den Einnahmen aus der Gewerbeausstellung zurückgezahlt werden sollten. Sein Plan, für die Finanzierung dieses Wunderwerkes der Technik den Berliner Magistrat und auch den Kaiser zu gewinnen, war nämlich gescheitert. Für eine solche Finanzierung standen die Chancen auch deshalb schlecht, weil der Direktor des 1874 gegründeten Astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam, Hermann Karl Vogel (1841-1907), seit 1890 ebenfalls den Bau eines großen Refraktors anstrebte und auf Mittel vom Kaiser hoffte.
Jutta Arnold
Die Himmelskanone
geht in Betrieb

Eigentlich ist es kein Wunder, daß die vollständige Inbetriebnahme des längsten Linsenfernrohrs der Welt auf der Treptower Gewerbeausstellung im September 1896 sang- und klanglos vor sich ging. Seit der Ausstellungseröffnung am 1. Mai pilgerten Scharen von Besuchern vergebens zum Standort des Teleskops - die vorher angekündigte Attraktion war noch nicht fertig. Statt durch das Fernrohr hindurch schauen zu können, mußten sich die Neugierigen mehrere Wochen damit begnügen, den Montagearbeiten zuzusehen.
     Die täglich erscheinenden »Offiziellen Ausstellungsnachrichten, Organ der Berliner Gewerbeausstellung 1896«, nahmen regen Anteil am Fortgang der Arbeiten. So vermelden sie am 21. Mai: »Das Riesenfernrohr, dessen Fertigstellung für die Pfingstfesttage in Aussicht genommen war, kann, wie sich jetzt herausgestellt hat, erst in etwa drei Wochen dem Gebrauch übergeben werden.« Am 26. Juni heißt es: »Das Riesenfernrohr geht seiner Montierung nun mit angemessenen Riesenschritten entgegen. Das Rohr selbst, durch welches, wie der Volksmund sagt, der Bäcker seine Frau hindurchjagen


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In einem Schreiben an den Chef des Geheimen Zivilkabinetts des Kaisers, in dem er die Verzögerung des Potsdamer Projekts beklagt, teilt Vogel mit, daß die Verwirklichung des Treptower Riesenfernrohrs einem Fehlschlag für das Potsdamer Teleskop gleichkäme. Unverhohlen schreibt er, daß Archenholds Plan nur zuzustimmen wäre, »wenn eine Garantie dafür geboten wäre, daß ein Instrument hergestellt würde, welches den wissenschaftlichen Ansprüchen der Jetztzeit in jeder Weise genügte und somit Deutschland zur Ehre gereichen könnte. Das ist aber im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Nach dem, was bisher über die Konstruktion des Instruments bekannt geworden ist, würde dasselbe wohl geeignet sein, ein interessantes Ausstellungsobjekt abzugeben und dem Laien durch seine Größe und eigenartige Einrichtung zu imponieren, wissenschaftlich würde es ohne Bedeutung bleiben. Es darf das auch nicht wundernehmen, da ein für die Wissenschaft brauchbares Instrument nur durch das Zusammenwirken der bedeutendsten Fachleute zustandekommen kann, hier aber an der Spitze des Unternehmens von astronomischer Seite her ein junger Mann steht, der einige Semester Astronomie gehört hat und seitdem auf einer kleinen Sternwarte

Ehrenkarte zur Besichtigung des Riesenfernrohrs


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in Halensee sich mit astronomischen Forschungen ganz untergeordneter Art beschäftigt, ein anscheinend durchaus von Eifer für sein Fach erfüllter Mann, dem jedoch weder gründlich Erfahrungen in astronomischer Technik noch zureichende Kenntnis von den astronomischen Aufgaben der Gegenwart und Ziele der Zukunft zugesprochen werden kann.« 1)
     Ein vernichtendes Urteil des hochangesehenen Wissenschaftlers Vogel, der den ersten Sternspektrographen konstruierte, über den jungen Astronomen Archenhold, der 1891 durch die Anwendung der Fotografie einen ausgedehnten Nebel im Sternbild Perseus entdeckt hatte. Diese Entdeckung aber wollte die Fachwelt nicht anerkennen. Die Bestätigung für Archenholds Entdeckung kam aus den USA, die optischen Instrumente in Deutschland reichten dafür nicht aus. »Zweifellos hat diese Kontroverse jedoch dazu beigetragen, in Archenhold den Wunsch nach einem großen Fernrohr in Deutschland aufkeimen zu lassen. Ihm mag es zwingend erschienen sein, im Land einer traditionsreichen astronomischen Forschung und optischen Industrie ein leistungsfähiges Instrument zur Verfügung zu haben, mit dem sich zeitgemäße Fragen der Forschung beantworten ließen.« 2)
     1893 nahm Archenhold Kontakt mit Ernst Abbe (1840-1905) und Friedrich Otto Schott (1851-1935) auf, den führenden Experten der Optik in Jena. Sein ursprünglicher Plan,
ein Objektiv mit einer Öffnung von 125 cm herstellen zu lassen, scheiterte an der Kapazität der Jenaer Schmelzanlagen. 1895 wurde in Jena mit der Herstellung von zwei Glasblöcken für ein Objektiv mit etwa 70 cm Öffnung begonnen. Gleichzeitig verhandelte Archenhold wegen des Schliffs der Glasscheiben mit der Firma Steinheil in München. Mit dem Bau der schweren Fernrohrmontierung wurde die Maschinenbauanstalt Hoppe in Berlin beauftragt. Siemens und Halske lieferten die elektrischen Anlagen. Bis heute stellt das Archenholdsche Riesenfernrohr eine Ausnahme dar, denn Hoppe »hatte die Kühnheit, ein Fernrohr von 21 m Brennweite ... so zu montieren, daß sich das Okular am Schnittpunkt der Stunden- und Deklinationsachse befand und das riesenlange Rohr um das Okular am Drehpunkt bewegt werden konnte«. 3)
     Verständlich also, wenn die Himmelskanone von Treptow die Gemüter bewegte und die Besucher der Gewerbeausstellung sie nun endlich in Funktion erleben wollten. Obwohl schon die Montagearbeiten des 130 Tonnen schweren Fernrohrs spektakulär waren. »Es ruhte auf einem aus etwa 60 000 Ziegelsteinen errichteten Fundament und war von einem Holzbau umgeben. Um die hohen Kosten für den Bau einer Drehschutzkuppel einsparen zu können, mußten bei der Konstruktion der Montierung völlig neue Wege gegangen werden. Das 21 m lange Fernrohr war deshalb an einem schweren

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Riesenfernrohr die Besucher anlockte. Zu ihnen gehörte auch Kurt Tucholsky. »Manchmal«, so schrieb er im Jahre 1929, wenn an lauen Sommerabenden in den Bierlokalen an der Spree die Militärmusik randaliert, »sind wir die kleinen Eisentreppen hinaufgeklettert, manchmal war es sehr voll, dann mußten wir auf dem Treppchen warten, bis wir an den Mars kamen oder an den Saturn. Ja, da standen wir. Bis die Milchstraße frei war, hatte man Muße, sich im Stehen einen kleinen zu denken.« 5)

Quellen:
1 D. Wattenberg: Beiträge zur Geschichte der Archenhold-Sternwarte. 1. Idee und Bau des Großen Refraktors (1892-1896), Veröffentlichungen der Archenhold-Sternwarte Nr. 1, 1966, S. 62
2 D. B. Herrmann: Blick in das Weltall, paetec Gesellschaft für Bildung und Technik mbH, Berlin 1994, S. 11
3 F. Meyer: Über die Entwicklung der astronomischen Instrumente im Zeisswerk Jena, In: Zeitschrift für Instrumentenkunde 50 (1930)
4 W. Schmidt/W. Theile: Denkmale der Produktions- und Verkehrsgeschichte, Teil 2, Verlag für Bauwesen, 1991
5 K. Tucholsky: Deutschland Deutschland über alles, Neuer Deutscher Verlag, Berlin 1929, S. 180

Bildquelle: Archenhold-Sternwarte

Querträger befestigt, der gabelartige Blöcke trug, mit denen er in den kugelförmigen Zapfen der großen Gabel ruhte. Zwei Gegengewichte von 16 t balancierten die Massen der Konstruktion so aus, daß nur relativ leistungsschwache Antriebsmotoren notwendig waren.« 4)
     Bis September hat Archenhold die Zeit in dem das Fernrohr umgebenden Holzbau mit Vorträgen überbrückt. Die Tage bis zum 15. Oktober, dem Ende der Gewerbeausstellung, konnten dann natürlich nicht die erhofften Mittel zur Rückzahlung der Schulden einbringen. Deshalb erging an den Magistrat die Bitte, das Fernrohr - entgegen Archenholds ursprünglichen Absichten - weiter im Treptower Park belassen zu dürfen. Mit der Genehmigung schlug die Geburtsstunde der Treptower Volkssternwarte. 1958 stillgelegt, begann 1977 eine umfassende Reparatur des unter Denkmalschutz stehenden Refraktors, der ab 1983 wieder voll funktionstüchtig war.
     Als die Himmelskanone vor 100 Jahren aufgestellt wurde, war die 84 Hektar große Anlage des Treptower Parks noch nicht einmal zehn Jahre alt. Der Gartenarchitekt Gustav Meyer (1816-1877), ein Mitarbeiter von Peter Joseph Lenné (1789-1866), hatte am Ufer der Spree 70 000 Gehölze anpflanzen und auf 300 000 Quadratmetern Rasen anlegen lassen. Sehr schnell wurde dieser Park im englischen Landschaftsstil zum beliebten Ausflugsziel. Erst recht, seit das

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/1996
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