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Jahre 1885 in Straßburg wurde Berlin als Ort für die 59. Versammlung bestimmt und die bekannten Berliner Wissenschaftler Rudolf Virchow (1821-1902) und August Wilhelm Hofmann (1818-1892) zu ihren Geschäftsführern gewählt. Berlin war damit zum zweitenmal Veranstaltungsort; die 7. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte, organisiert von Alexander von Humboldt (1769-1859), hatte im Jahre 1828 in Berlin stattgefunden.
     Die Stadt hatte sich gut vorbereitet. Sie präsentierte sich den Teilnehmern als ein Zentrum der Wissenschaft und Kunst. Es erschienen drei Festschriften, die einen Überblick über wissenschaftliche Einrichtungen Berlins gaben und ihre Anwendungsbereiche vorstellten. 86 Institutionen der Stadt luden die Teilnehmer zu Besichtigungen ein. Auch Rektor und Senat der Technischen Hochschule in Charlottenburg hatten »zu einem Tag der offenen Tür« eingeladen; im Anschluß daran kam es zu einer Veranstaltung im Zoologischen Garten, bei der Berlins Brauereien die Bewirtung übernahmen.
     Es fanden zwei Theatervorstellungen für die Mitglieder der Gesellschaft statt, eine im Opernhaus, die andere im Schauspielhaus. Das Kunstgewerbemuseum stellte im Lichthof des Museums Tierstudien japanischer Künstler aus. Das vor kurzem fertiggestellte Hygiene-Museum wurde während der Versammlung eröffnet.
Gisela Eggert
Siemens und von Bergmann hielten die Hauptreferate

59. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte 1886 in Berlin

Die »Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte«, gegründet am 18. September 1821 in Leipzig auf Bestreben des Jenenser Gelehrten Lorenz Oken (1779-1851), veranstaltete jährlich, immer am 18. September beginnend, ihre Treffen. Der Hauptzweck der Gesellschaft war es, den Naturforschern und Ärzten Deutschlands Gelegenheit zu geben, sich persönlich kennenzulernen und sich wissenschaftlich auszutauschen. Zutritt zu den Versammlungen hatte jeder, der sich wissenschaftlich mit einem Gebiet der Naturwissenschaften oder der Medizin beschäftigte; Mitglied war aber nur der, welcher sich, abgesehen von der Inauguraldissertation, noch als naturwissenschaftlicher Schriftsteller bekannt gemacht hatte (Statut der Gesellschaft). Der Versammlungsort wechselte ständig, er wurde auf jeder Versammlung, ebenso wie die Geschäftsführer, für das nächste Jahr festgelegt. Während der Zusammenkunft im


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Das wissenschaftliche Programm sah drei allgemeine Sitzungen vor, die im Circus Renz stattfanden. Für die Sitzungen der 30 Sektionen hatte die Berliner Universität Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Die Preußische Akademie der Wissenschaften, die nicht unmittelbar beteiligt war, veranstaltete im Akademie-Gebäude Unter den Linden eine Ausstellung wissenschaftlicher Apparate, Instrumente und Unterrichtsgegenstände. Jedem Mitglied wurde von der Hirschwaldschen Buchhandlung ein Exemplar eines Ausstellungskataloges zur Verfügung gestellt.
     Rudolf Virchow, erster Geschäftsführer der Versammlung, begrüßte die Teilnehmer in der ersten allgemeinen Sitzung. In seinen Ausführungen ging er davon aus, daß die Tage der deutschen Naturforscherversammlung seit langem »Festtage des Volkes« sind, deren Hauptzweck es sei, »die persönliche Annäherung derer, welche dasselbe Feld der Wissenschaften bearbeiten«, zu ermöglichen. Die allgemeinen Sitzungen waren an Zahl und Ausdehnung erweitert worden, eine Reihe von Disziplinen neu in das Programm aufgenommen. Bei allem Fortschritt zu früheren Versammlungen wünschte er, daß ihr Geist derselbe bleibe: »Der Geist empirischer, aber methodischer Forschung, der Geist praktischer Synthese, der Geist brüderlichen Zusammenwirkens in den einzelnen Zweigen unseres weiten Wissenschaftsgebiets.« Die Hauptreferate wurden
auf den allgemeinen Sitzungen vorgetragen, unter den zehn Hauptreferenten waren auch zwei Berliner Gelehrte, Werner von Siemens (1816-1892) und Ernst von Bergmann (1836-1907). Siemens sprach zum Thema »Das naturwissenschaftliche Zeitalter«, Bergmann »Über das Verhältnis der modernen Chirurgie zur inneren Medizin«. Ein weiterer Aspekt der Tagung waren Fragen der Wissenschaftsorganisation.
     In den 30 Sektionen (20 medizinische und 10 naturwissenschaftliche) wurden viele wissenschaftliche Einzelbeiträge vorgetragen und diskutiert. Den meisten der 30 Sektionen standen in Berlin ansässige Gelehrte vor.
     Zum Abschluß der Versammlung konnte Virchow mitteilen: Die Versammlung hatte
2 224 Mitglieder und 1 931 Teilnehmer, zusammen also 4 155 Gelehrte, darunter 1 444 Berliner, zusammengebracht. Es wurden 1 496 Damenkarten beansprucht, so viele, wie sonst nur Teilnehmer anwesend waren. An den Veranstaltungen hatten 429 ausländische Gelehrte teilgenommen. Virchow hob hervor: »Die Naturwissenschaften und die Naturforschung befinden sich wieder einmal im starken Vorrücken. Jeder einzelne Zweig derselben ist so festgeworden in seinen Methoden, daß er mit einem gewissen Gefühl der Sicherheit seinen Weg verfolgt.«

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/1996
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