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Berliner Philosophen und Ökonomen.
Seine besten Jahre. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre stand Dühring kurz vor den
Pforten des Ruhms. Es sah so aus, als ob seine
»Wirklichkeitsphilosophie«, wie er sie selbst
nannte, das angemessene Programm für all
diese Zeittendenzen sein könnte. Bereits jetzt
erschien er als der philosophische Prophet der neuen Ära von Stahl und
Elektrizität. Buch für Buch erschien. Wer genau war dieser Eugen Dühring?
Ein hoffnungsvoller Akademiker Eugen Karl Dühring wurde am 12. Januar 1833 in Berlin als Sohn eines recht freisinnigen Beamten geboren. Von seinem Vater hatte er einen realistischen Wirklichkeitssinn geerbt. Er nahm ein Jurastudium auf, aber wegen einer Verschlechterung der Sehkraft, die schon im frühen Erwachsenenalter zur völligen Erblindung führen sollte, wechselte er die Studienrichtung. Er nahm an, auf naturwissenschaftlichem oder philosophischem Gebiet trotz seiner Erblindung eher eine Anstellung finden zu können. Seine Dissertation von 1861 handelte zum Beispiel von Problemen der Infenitesimallogik. Erst einmal promoviert, sollte sich Dührung auch bald habilitieren. Seit Mitte der 60er Jahre hielt er unter beständiger öffentlicher Aufmerksamkeit an der Berliner Universität Kollegs zu Nationalökonomie, Staatswissenschaften und zu Philo- | ||||||
Olaf Briese
Eugen Dühring - Ein Riese an Leidenschaft »Es geht ein Zug zum Materialismus durch unsere moderne Cultur, welcher jeden,
der nicht irgendwo einen festeren Anker gefunden hat, mit sich fortreißt. Philosophen
und Volkswirtschaftler, Staatsmänner und Gewerbetreibende begegnen sich im Lob
der Gegenwart und ihrer Errungenschaften.
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sophie. Er war jung, seine scharfe Logik und sein polemisches Talent brachten ihm nicht wenige Sympathien ein. Auch
persönlich hatte er sein Glück gemacht, war
eine Ehe eingegangen und hatte mehrere Söhne, die ihn bald als Lesehilfe oder als
Begleiter unterstützten.
Vor allem fesselte Dührings Zuhörer seine Abneigung gegen jede Metaphysik. Scharf ging er mit allen vermeintlich abstrakten Spekulationen ins Gericht. Natürlich war das seit 20 Jahren, seit Feuerbachs Kritiken, in Deutschland nichts Neues. Auch andere philosophierende Naturwissenschaftler wie Vogt, Büchner und Moleschott hatten jegliche Metaphysik verabschiedet und den philosophischen Materialismus für das einzig akzeptable Programm erklärt. Aber das Unerhörte an Dühring war: Er trug seine Thesen an der Universität von Preußens Hauptstadt vor! War es noch vor gar nicht allzu vielen Jahren üblich, daß man wegen des Verdachts pantheistischer Allüren von den Universitäten verwiesen wurde, und war bisher für den Materialismus an akademischen Einrichtungen kein Platz gewesen, so war er es, der zum ersten Male in Deutschland das Lehrpult für solche Anschauungen nutzte. Das war aber nicht die einzige Besonderheit, die Dühring auszeichnete. Auch wenn er als offizieller Privatdozent lehrte und mit seiner »Kritischen Geschichte der allgemeinen Prinzipien der Mechanik« von 1873 | die ersehnte Anerkennung bei
Physikern und bei Philosophen gleichermaßen
fand, hatte er sich zunehmend sozialistischen Ideen zugewandt. Seine Beschäftigung mit ökonomischen Problemen hatte ihn auf dieses Gebiet gelenkt. So war er einer der wenigen, die 1867 Marx' »Kapital« zur
Kenntnis genommen und rezensiert hatten. Dühring erkannte zunehmend die
gravierenden Mängel der kapitalistischen
Produktion und registrierte die Folgen für
die Mehrheit der Produzierenden. Er warb für genossenschaftliche
Produktionsverhältnisse, die den Arbeitern den tatsächlichen
Anteil an ihren Produkten zukommen ließen.
Dührings »Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Socialismus« von 1871 war, den Worten Bernsteins zufolge, die erste geschlossene sozialistische Programmschrift seit dem »Manifest der Kommunistischen Partei« von Engels und Marx. Und vielleicht nicht zu Unrecht war Bebels Artikel im Leipziger »Volksstaat« 1872 mit »Ein neuer Kommunist« übertitelt. Was genau aber faszinierte die Spitzen der Sozialdemokratie an Dühring? Was war das Besondere an seinen Vorstellungen? Gesetze der Gesellschaft Entsprechend seiner Wirklichkeitsphilosophie versuchte Dühring, auch die scheinbar so chaotische soziale Welt auf Gesetze hin zu | ||||
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untersuchen. Auch hier müßte es
regelhafte Abläufe geben. Die Kraft der
menschlichen Erfahrung könne das durch enge Bindung an die tatsächlichen Verhältnisse
empirisch entschlüsseln. Diese Idee war
natürlich ebenfalls nicht neu. Die Annahme, daß
auch der Gang der Geschichte bestimmten Gesetzmäßigkeiten folge, war zum
Beispiel schon Gedankengut der Aufklärung. Dühring aber suchte mit geradezu
naturwissenschaftlichem Blick nach solchen Zusammenhängen. Er nahm an, daß so, wie es unumstößliche Regeln in der Natur
gäbe, auch die Geschichte bestimmten
einfachsten Prinzipien folge. Es war fast, als hoffte er, die letzten Grundformeln für die soziale Entwicklung zu finden. Einige dieser
sogenannten Naturgesetze der Gesellschaft hießen bei ihm: »Gesetz der Differenz«, »Gesetz der bestimmten Anzahl«,
»Grundgesetz der Bewaffnung der natürlich
gegebenen Wirkungskraft des Menschen« durch Arbeit und Industrie.
Das faszinierte die aufstrebenden Sozialdemokraten. Denn diese erkannten natürlich ebenso die Zeichen dieses wissenschaftlichen Zeitalters. Sie erwarteten eine wissenschaftliche Gesellschaftstheorie. Dühring kam gerade recht. Zumal er zu beweisen versuchte, daß nach solchen feststellbaren Gesetzen der Sozialismus im Sinne von Eigentumsgenossenschaften, sogenannten »Wirtschaftskommunen«, das unmittelbare Resultat der bisherigen Welt | geschichte sei. Die Zeit arbeitete für ihn.
Es schien, als wäre Dühring Großes
beschieden: Ein zukünftiger Professor,
gleichermaßen in Physik, Mathematik, Ökonomie
und Philosophie bewandert. Verfechter einer neuen Wirklichkeitsphilosophie,
philosophischer Kopf einer machtvollen
politischen Bewegung, die schon bald die Geschicke
in Deutschland lenken würde ...
Absturz in die Polemik Aber es kam anders. Dührings Erwartungen erfüllten sich nicht. Zunehmend
gestalteten sich die Umstände für ihn schwieriger.
Seine sozialdemokratischen Ansichten ließ
man ihm an der Universität vielleicht noch durchgehen. Bismarck wartete vorerst
ab, wie es um diese politische Bewegung stand. Er wollte nicht von vornherein alle
Fronten verhärten.
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Energieerhaltung zu
verschweigen. Das war zuviel. So ein Querulant mußte eliminiert werden.
1877 wurde Dühring die Lehrerlaubnis an der Berliner Universität entzogen. Es war ein geradezu tragisches Zusammentreffen, daß genau zu dieser Zeit auch von sozialdemokratischer Seite scharfe Kritik an Dühring laut wurde. Mit Hilfe Liebknechts, der wohl als einziger führender Sozialdemokrat Dühring gegenüber skeptisch geblieben war, veröffentlichte Engels 1877/78 im »Vorwärts« eine Artikelfolge, die Dührings Ansehen als Naturwissenschaftler und Philosoph untergraben sollte. Natürlich konnten Engels' naturwissenschaftliche Ausführungen Dühring in keiner Weise das Wasser reichen, aber zumindest philosophisch war er ein ebenbürtiger Kontrahent. Es ist Dührings Verdienst, daß mit dem Anti-Dühring eine erste systematische Darstellung der materialistischen Geschichtsauffassung erfolgt, die nicht zuletzt auch Bernsteins und Kautskys Bild vom Marxismus prägten. | |||||
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Auch wenn diese Polemik Engels
offenbar nicht in allen Punkten gelungen war -
allein deren Veröffentlichung mit Billigung der sozialdemokratischen Autoritäten bedeutete eine Zurücksetzung Dührings. Engels
unternahm keine vermittelnde Kritik, sondern lieferte, darin dem Vorgehen Dührings übrigens nur ähnlich, einen Verriß.
Dieser Hieb saß. Auch von dieser Seite fühlte
sich Dühring nun also verraten.
Seine geballten Polemiken gegen alles und jeden verschärften sich nunmehr. Gnadenlos hielt er Gericht. Fast 50 Jahre lang bis zum Tod. Das war der Inhalt seiner zweiten Lebenshälfte, in der er seine bisherigen Errungenschaften zunichte machte und sein eigenes Ansehen zerstörte. Er galt so sehr als krankhafter Eiferer, daß selbst seine ernsthaften mathematischen Lösungsansätze zum Beweis des sogenannten zweiten Fermatschen Satzes - ein Beweis, der heute noch immer aussteht - kaum zur Kenntnis genommen wurden. Es schien, als würde er nur noch von der Polemik leben, von unbändiger Leidenschaft, von Wut und Haß. Egal, wem es den Garaus zu machen galt: den Zierden der deutschen Dichtung und Philosophie oder den politischen Bewegungen aller Art oder der jüdischen Bedrohung. Letzterer vor allem: 1879 hielt Dühring, obwohl solche Tendenzen vorher schon bei ihm hervortraten, seinen ersten antisemitischen Vortrag über die Judenfrage. Un | zählige Bücher, Broschüren und Artikel zu diesem Thema sollten folgen. Seinen Lebensunterhalt konnte er davon bestreiten. Auch eine eigene Halbmonatsschrift »Personalist und Emancipator« gab der
»große Meister von Zehlendorf«, wie ihn seine wenigen, aber verbissenen Anhänger respektvoll nannten, seit 1899 unermüdlich bis zu seinem Tode heraus. Nicht nur, daß er alle gängigen antisemitischen
Vorurteile wiederholte und in Staat, Parteien und Wissenschaft jüdische Verschwörer am Werk sah. Vielmehr bezeichnete er die ganze jüdische Rasse als physische Bedrohung. Schon um 1900 erklärte er dieses Problem für existentiell und forderte zu radikalen Lösungen auf. Nunmehr hingen nicht nur junge Edelanarchisten seinem Individualismus und »Personalismus«
an, den Dühring in seiner letzten Lebensphase vertrat. Auch Nationalisten und
Rassisten übelster Art konnten sich zu Recht auf
ihn stützen. Nicht von ungefähr erschienen 1934 und 1935 die Schriften eines sogenannten »Dühringbundes«. Inzwischen aber war er gestorben. Noch bis zu seinem Tode am 21. September 1921 in Nowawes bei Potsdam hatte er, ein blinder verbitterter Seher, mit der Welt und seinen einstigen Widersachern Gericht gehalten.
Was bleibt dennoch von Dühring? Erschreckendes und Barbarisches fand, wie zu sehen war, seine Nachfolger. Aber auch Produktives aus seiner ersten Lebenshälfte | |||||
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blieb nicht ohne Wirkung. Zu
erwähnen wäre etwa der Einfluß seiner
Philosophiegeschichte von 1869 auf die Kompendien der Neukantianer, überhaupt seine materialistischen Sozialtheorien der 60er und
70er Jahre, die in die neuentstehende Disziplin Soziologie eingingen. Und offenbar
beeinflußte eines seiner sogenannten Grundgesetze - das der unausweichlichen
Wiederkehr von bestimmten Wirklichkeitsgestaltungen bei endlichem Raum und bei unendlicher Zeit - sehr direkt Nietzsches Mythos der ewigen Wiederkehr. So sahen es jedenfalls Dühring und seine Anhänger.
Vor allem aber bleibt die skeptische Erinnerung an eine Periode, die offenbar Riesen brauchte und Riesen zeugte - Riesen zumindest an Leidenschaft. Denkanstöße: Ein Grundzug derjenigen Zeit, in deren Entwicklung wir leben, ist der wachsende Einfluss der naturwissenschaftlichen Denkweise. Wie wenig jedoch diese Strömung bisher auf die Gestaltung umfassender philosophischer Formulirungen zurückgewirkt hat, mögen wir aus der Thatsache ermessen, dass eine nur irgend befriedigende Theorie der Induction noch nicht zu Stande gebracht ist. Innerhalb der positiven Naturwissenschaften und besonders ihrer strengeren, an Mathematik und Mechanik | anknüpfenden Theile, giebt es allerdings verhältnissmässig klare Ideen über die Methode und auch fruchtbare Formulierungen von grosser Tragweite. In der letzteren Beziehung ist z. B. zu dem Satze von der Unzerstörlichkeit der Materie als hochwichtige Ergänzung die Idee von der unveränderten Erhaltung derselben Menge mechanischer Kraft hinzugekommen. Doch hat grade die erwähnte neue Wahrheit sogar innerhalb des positiven Betriebs der Naturforschung zu den wüstesten Vorstellungsarten Veranlassung gegeben. (...) Anstatt die neue Idee scharf zu begrenzen und sich bewusst zu werden, dass dieselbe Menge mechanischer Kraft die in den Phänomenen wiedererscheint, noch nicht den weiteren Begriff der Kraft repräsentirt, hat man bisweilen die verschiedenen Naturkräfte in ihrer Specialität verleugnet und sich einer haltungslosen Verwandlungsidee überliefert. Die solideren positiven Forscher höchsten Ranges sind hierbei freilich am wenigsten betheiligt gewesen; aber die Allgemeinheit der angedeuteten Erörterungen und der Glaube, den sie gefunden haben, war sicherlich ein Zeugnis für die verhältnissmässige Schwäche des metaphysischen Denkens und für den Mangel befriedigender Orientirungen. Die Einheit der Kraft oder, wie man stets ausdrücklich sagen sollte, der mechanischen Kraft, hat für die Gesammtheit der Phänomene nicht mehr zu bedeuten, als die Einheit der Materie. | ||||
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/1996
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