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auf dem Grundstück Weinbergsweg 15 eine Villa, die ein großer Garten umgab.
     Im letzten Weltkrieg wurden in dieser Gegend die Häuser und auch der Garten zerstört. Auf dem nach Süden abfallenden Gelände entstand mit dem Areal des alten Gartens als Kern ab 1954 der Volkspark nach Plänen des Gartenbauarchitekten Helmut Kruse. 1957 wurden an seiner Nordseite ein Plateau und ein Terrassencafé gebaut. Seit 1958 befindet sich an der westlichen Parkspitze ein von Waldemar Grzimek gestaltetes Parkbild von Heinrich Heine in Bronze. 1988 wurde in Nähe des Weinbergsweges zur besonderen Freude der Kinder eine Wasserspielanlage geschaffen. Für den heutigen Park bezeichnend sind die großen Liegewiesen, umgeben von Rosen-, Stauden- und Gehölzanpflanzungen mit umlaufenden oder auch querenden Wegen, an denen Bänke aufgestellt sind.
     Begeben wir uns weiter in die Invalidenstraße (seit etwa 1800), so gelangen wir bei der Nummer 158 zur »Ackerhalle« (2) (Ecke Ackerstraße 23/26). Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts wurden in Berlin 14 Großmarkthallen errichtet - die Markthalle VI entstand 1886 in zweijähriger Bauzeit nach einem Entwurf des Architekten Hermann Blankenstein. Eröffnet wurde sie am 2. Februar 1888 (im sogenannten »Drei-Kaiser-Jahr«). Die Gestaltung des Innenraums ist einer fünfschiffigen Basilika mit einer Gesamtfläche von 7 800 Quadrat

Vom Weinbergsweg zum Humboldthain

Fußtouren durch Berlin

Zwischen der reizvollen kleinen Grünanlage am Weinbergsweg im Bezirk Mitte und dem Humboldthain im Bezirk Wedding liegt ein Gebiet, in dem Kontrapunkte der Berliner Geschichte lebendig werden: In den rund 200 Jahren seiner Entwicklung gab es Pionierleistungen der industriellen Revolution und schwerste Kriegszerstörungen, beachtliche Aufbauleistungen und fast 30 Jahre die Mauer. Hier wurde eine Kirche mitten im Frieden gesprengt, ist ein interessantes Museum gerade im Entstehen. Die Wanderung führt über sieben Kilometer und dauert etwa drei Stunden.
     Wir starten im Volkspark am Weinberg. (1) Das etwa vier Hektar umfassende Parkgelände liegt im nördlichen Teil des Bezirks Mitte. Begrenzt wird er in der Hauptsache vom Weinbergsweg (Name seit 1845) im Südosten, von der Veteranenstraße (seit 1875) im Norden und der Rosenthaler Straße (seit etwa 1723) im Südwesten. Der Name des Parks deutet auf seinen Ursprung hin. Bis 1740 wurde das Areal für den Weinbau genutzt. Häufig wechselte Grund und Boden den Besitzer. 1894 ging das Anwesen in eine Familienstiftung über. Deren Wohnsitz war


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metern nachempfunden. Ein modernisierender Umbau zur Lebensmittel-Kaufhalle erfolgte 1969/70. Mit dem erneuten Umbau von 1990/91 wurde zwar die bauliche Originalidee wieder stärker betont, genutzt wird die Ackerhalle jedoch jetzt als normaler Supermarkt.
     Gegenüber erblicken wir die Ruine der Elisabethkirche. (3) Karl Friedrich Schinkel projektierte 1828 vier Pfarrkirchen für die nördliche Vorstadt. Eine davon entstand 1830 bis 1834 an dieser Stelle - die turmlose Elisabethkirche als schlichter einschiffiger Putzbau mit feiner klassizistischer Fassade. Um Geld zu sparen, mußten die Entwürfe Schinkels noch während des Baus (1832) vereinfacht werden. Nach einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg brannte die Kirche bis auf die Umfassungsmauern aus. Seit einiger Zeit werden Sicherungsarbeiten durchgeführt.
     In der Invalidenstraße führt der Weg am Pappelplatz mit dem Geldzählerbrunnen von Ernst Wenck (1912) vorbei zum Friedhof der Sophienkirchgemeinde. (4) Eingerichtet wurde er 1827 als Erweiterung des alten Friedhofs an der Sophienkirche. In unmittelbarer Nähe der früheren Mauer gelegen, wurde er vom Grenzregime besonders beeinträchtigt. Zwischen 1963 und 1968 sind im Zuge des Ausbaus zahlreiche Gräber verlegt worden. Die Begräbnisstätte trägt den Beinamen »Musikerfriedhof«. Beigesetzt sind hier u. a. die Komponisten Albert
Lortzing und Walter Kollo. Hier ruhen aber auch Friedrich Waesemann, der Baumeister des Berliner (»Roten«) Rathauses, und James Hobrecht, der Schöpfer des Berliner Bebauungsplanes von 1861 sowie der Maler Theodor Hosemann.
     Am Ende des Friedhofs gelangen wir in die legendäre Bernauer Straße (seit 1862) mit ihren Mauerresten. (5) Die Straßenmitte markiert die Grenze zwischen den Bezirken Mitte und Wedding, bis 1989 zugleich die Grenze zwischen Ost- und Westberlin. In den Tagen nach dem 13. August 1961 spielten sich hier tragische Fluchtszenen von einer Straßenseite zur anderen, von Ost nach West, von der DDR in die Bundesrepublik ab. Auf östlicher Seite wurden bis 1966 alle Häuser auf einer Strecke von 700 Metern zunächst zugemauert und schließlich abgerissen. Bis Oktober 1961 waren bereits 2 000 Menschen ausgesiedelt worden. Am 3. und 4. Oktober 1964 konnten 57 Ostberliner durch den längsten Tunnel der Mauergeschichte fliehen. Der Eingang lag in einem Toilettenhaus eines Hinterhofes im Osten, der Ausgang in einer Bäckerei der Bernauer Straße (bei Sanierung des Viertels abgerissen).
     Heute stehen hier Reste der ehemaligen Mauer. Als Gedenkstätte bleiben 70 Meter der Originalbefestigung von der Ackerstraße in Richtung Bergstraße. Der Grenzstreifen mit Wachturm, Signalzaun, Bogenlampen, Kolonnenweg der Grenztruppen und Hinter

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landmauer werden als »Mauermuseum« erhalten. In der Bernauer Straße, Höhe Hussitenstraße (seit 1863), stand auf Ostberliner Seite die Versöhnungskirche. Das Gotteshaus befand sich im unmittelbaren Grenzstreifen und wurde - trotz massiver Proteste seitens der evangelischen Versöhnungsgemeinde und der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg - 24 Jahre nach der Errichtung der Mauer im Januar 1985 gesprengt. Erbaut von 1892 bis 1894 im neugotischen Backsteinstil vom Architekten Baurat Möckel, wurde sie im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Sie konnte erst ab 1950 wieder genutzt werden. Der letzte Gottesdienst fand in der Kirche im Oktober 1961 statt.
     Wieder zurück zur Ackerstraße (seit 1801), sehen wir einen Neubaukomplex - die Ernst-Reuter-Siedlung und das Lazarus Kranken- und Diakonissenhaus. (6) Es wurde ab 1864 auf Initiative von Pastor Boegehold begonnen und 1866 mit Spendenmitteln fertiggestellt. 1967 erfolgte die Grundsteinlegung für den heutigen Bau. Das Haus wurde in den letzten Jahren zur Pflegestation mit 200 Betten umgewandelt. Im hinteren Teil des Grundstücks befindet sich ein Schwesternwohnheim, das ehemalige Mutterhaus.
     Biegen wir nun in die Bergstraße (seit 1801) ein, so gelangen wir zur Gartenstraße (seit 1801) mit dem Gartenplatz. (7) Seit 1749 war es der Galgen- und Gerichtsplatt; die letzte öffentliche Hinrichtung fand hier 1837
statt. Er trägt seinen Namen erst seit 1861, obwohl auf Befehl König Friedrichs II. dort bereits 1770 ausländische Gärtnerfamilien angesiedelt wurden. Sie erhielten gemäß Grundbrief von 1772 je ein Haus und vier Morgen Land mit der Verpflichtung, Kräuter anzubauen. Auf dem Gartenplatz befindet sich die Sebastianskirche, die erste katholische Kirche des Berliner Nordens. Im frühgotischen Stil von Max Hasak erbaut, erhielt sie ihre Weihe im Juni 1893.
     Gegenüber der Sebastianskirche ist ein riesiger roter Backsteinbau unübersehbar - das Stammhaus der AEG (8) früherer Jahre. Franz von Schwechten schuf es in historisierender Form. Die Großmaschinenhalle in der Hussitenstraße und die Kleinmotorenfabrik in der Voltastraße (seit 1896) entwarf Peter Behrens in repräsentativfunktionellen Bauformen. Die heute sichtbaren Gebäude entstanden hier zwischen 1909 und 1931. 1889 entwickelte Michael von Dolivo-Dobrowolsky in den Vorgängergebäuden den ersten Drehmotor. Heute hat die AEG ihre gesamten Produktionsanlagen im Wedding aufgegeben. Die Gebäude in der Ackerstraße werden von Instituten der Technischen Universität Berlin genutzt. Interessenten finden hier das Franz-Neumann-Archiv zur Geschichte der Berliner Nachkriegs-SPD.
     Um die Ecke herum erstreckt sich in der Hussitenstraße 4/5 die Versöhnungs-Privatstraße. (9) Diese Wohnanlage umschloß

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bei ihrer Erbauung sechs Höfe, deren Gebäude den verschiedenen Stilen der Berliner Baugeschichte nachempfunden waren. Die Einweihung vollzog sich 1904, der Architekt war Georg Schwartzkopf. Heute existieren von der Hussitenstraße aus gesehen noch eine Zeile des »Romanischen Hofes« (die Figur des aus einem anderen Hof stammenden Petrus über der Toreinfahrt ersetzt den Roland, der hier ursprünglich stand) sowie der Altmärkische (gotische) und der Altdeutsche Hof (Spiegelbild des 16. Jahrhunderts). Für die rund 1 000 Bewohner der Anlage wurden bereits soziale Einrichtungen eingeplant.

Verlauf der Tour


ehemalige Mauer

WEDDING

1 Volkspark am Weibergsweg
2 Ackerhalle
3 Ruine Elisabethkirche
4 Friedhof der Sophiengemeinde
5 Rest der ehemaligen Mauer
6 Lazarus Kranken- und Diakonissenhaus
7 Gartenplatz
8 AEG-Fabrik
9 Versöhnungs-Privatstraße
10 Gedenkstein für Maueropfer, Mauerpark
11 Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, Gleimtunnel
12 Wohngebiet Graunstraße, Swinemünder Straße,
Swinemünder Brücke
13 Humboldthain

MITTE


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Wieder eingebogen in die Bernauer Straße und die Brunnenstraße (seit 1801) überquert, entdecken wir an der Wolliner Straße (seit 1874) einen Gedenkstein für Maueropfer. (10) Bei Schließung der Grenze im August 1961 spielten sich besonders in der Bernauer Straße unglaubliche Szenen ab. Während die Volkspolizei in den unteren Etagen der Häuser auf der östlichen Seite die Wohnungen räumte, sprangen einen Stock höher Menschen aus den Fenstern in die Planen der eilends herbeigerufenen Westberliner Feuerwehr. Eine 75jährige Frau wurde hier vermutlich das erste Opfer der Mauer. Sie verstarb am 22. August 1961 an den Folgen ihres Fluchtsprunges. Fotos von diesen Fluchtversuchen gingen seinerzeit um die Welt. Es sind in der Bernauer Straße mindestens fünf Menschen bei der Flucht ums Leben gekommen. In drei Stufen soll zwischen Bernauer und Gleimstraße bis zum Jahr 2000 ein Mauerpark entstehen.
     Entlang der ehemaligen Mauer erstreckt sich im Bezirk Prenzlauer Berg das Areal des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks. (11) Auf dem Gelände eines ehemaligen Exerzierplatzes, schon in den 30/40er Jahren als Sportplatz genutzt (»Exer«), entstand 1951 ein komplexes Sportzentrum. Dazu gehören zwei Stadien, eines mit 30 000 Sitzplätzen. Kurz vor der Vollendung steht der Neubau der repräsentativen Max-Schmeling-Halle, ursprünglich für die Olympischen Spiele 2000 gedacht. Wir stoßen auf den Gleimtun
nel, der zu Beginn des Jahrhunderts mit doppelter Funktion angelegt wurde: Über die Brücke verlief der Güterverkehr der Nordbahn, durch den Tunnel selbst gelangten die Arbeiter aus dem Prenzlauer Berg in die großen Fabriken des Wedding.
     Nach dem Passieren des Tunnels gelangen wir in das Wohngebiet Graun(seit 1894), Ramler(seit 1892) und Swinemünder Straße (1874). Als beispielhaftes Sanierungsgebiet wurde es 1983/84 mit einer Goldplakette im Bundeswettbewerb »Bürger, es geht um deine Gemeinde« ausgezeichnet. Neben sanierten Altbauten finden sich gelungene Lückenbauten. Bemerkenswert z. B. Innenhöfe - ein Zugang zu ihnen neben der St.-Afra-Kirche (1889 für die »Grauen Schwestern« gebaut, die heute Senioren betreuen).
     Vorbei an der Swinemünder Brücke, im Volksmund »Millionenbrücke« genannt, da ihr Bau eine Million Goldmark gekostet haben soll. Eventuell leitete sich der Name aber auch aus der Anzahl der Nieten in der Konstruktion her. Die Stahlhängebrücke von 1905 (Architekten: Bruno Möhrung und Friedrich Krause) überspannte den einst 20 Gleise breiten Bahnkörper der Ring- und Fernbahn. Gegenwärtig wird an der Wiederherstellung der Ringbahn und eines Reise- und Güterzugknotenpunktes zügig gearbeitet.
     Am Ende der Ramlerstraße schiebt sich dann der Endpunkt unserer Wanderung ins

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Blickfeld, der Volkspark Humboldthain. (13) Der 29 Hektar umfassende Humboldthain liegt am Gesundbrunnen zwischen Brunnenstraße und Hussitenstraße. Der Park entstand zwischen 1869 und 1872 als dritte der großen Berliner Volksparkanlagen nach Entwürfen von Gustav Meyer. Anläßlich des 100. Geburtstages von Alexander von Humboldt erhielten die Bewohner der lichtlosen Weddinger Mietskasernen einen Park mit vielen fremdländischen
Gewächsen, wodurch dieser den Charakter eines kleinen botanischen Gartens annahm. Er erhielt den Namen Humboldthain im Andenken an den großen Naturforscher. Auch die Geologische Wand, 1893 durch Dr. Eduard Zache im Park errichtet, erinnerte an ihn. Später wurde sie nach Blankenfelde versetzt, wo sie noch heute in der Botanischen Anlage zu betrachten ist.
     Während der Nazizeit standen hier zwei Flakbunker des Verteidigungsringes um das Regierungszentrum (1941/42 von Fremdarbeitern erbaut). Bei Luftangriffen fanden bis zu 10 000 Menschen Unterkunft. 1948 gab es mehrere Versuche, die Bunker zu sprengen, was mißlang. Bis 1951 erfolgte die Neugestaltung des Humboldthains bei Einbeziehung der unter Trümmerschutt verschwundenen Bunker unter Leitung des Gartenamtsvorstehers Günter Rieck.
     So besteht der Park heute im wesentlichen aus zwei Bergen, einer locker mit Bäumen bestandenen großen Liegewiese, einem
sehenswerten Rosengarten mit Pergola und dem Sommerbad.
     Vom 85 Meter hohen Plateau des »Großen Bunkerberges«, der Humboldthöhe, bietet sich ein weiter Rundblick über die Innenstadt zum Alexanderplatz hin und über Berlins grünen Norden bis zu den Bauten des Märkischen Viertels und dem Frohnauer Funkturm. Granittafeln erklären die markanten Punkte des Panoramas. Ein Anziehungspunkt ist auch das westlich der Humboldthöhe gelegene Freibad, Nachfolger des Meyerschen Hippodrom-Spielplatzes. Im Süden des Parks befindet sich nahe der Gustav-Meyer-Allee ein Kinderspielplatz und die vom »Kleinen Bunkerberg« herabführende Rodelbahn.
     Zur künstlerischen Ausgestaltung des Hains gehören der Gedenkstein für Alexander von Humboldt von Karl Wenke (1952), die Jagende Nymphe von Walter Schott (1926) und das von Arnold Schatz geschaffene Denkmal für die Wiedervereinigung (1967).
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/1996
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