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im Sinne edelster (also feinster) Bestandteile des Weingeistes stammt von keinem geringeren als dem Arzt und Naturforscher Theophrast Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493-1541).
     Alkohol ist keine Erfindung der Neuzeit. Babylonier vergoren bereits vor über 4 000 Jahren Datteln. Der Spanier Raimundus Lullus, der 1234 bis 1315 lebte und Chemiker war, sagte vom gebrannten Wein, daß dieser nicht nur ein vorzügliches Heilmittel sei, sondern auch des »siechen Mannes letzter Trost«. Sein Landsmann und Arzt Arnoldus Villanova (1235-1313) prägte den Begriff »Aqua vitae« - Lebenswasser. 1)
     In seinem Buch »Erhaltung der Gesundheit« faßte der Kardinal und Arzt Vitalis de Furno (1247-1327) alle damals gebräuchlichen Elogen und Wunschvorstellungen zusammen: »Der gebrannte Wein schützt vor Fäulnis, entzieht den Pflanzen Säfte, heilt innerlich und äußerlich zahlreiche Krankheiten, erhält jung und löst die Geister.« 2)
     Es nimmt nicht wunder, daß Alkohol im Jahre 1348, als der »schwarze Tod« ganz Europa heimsuchte, als wirksamer Schutz gegen die Pest betrachtet wurde. Die Weinbauern der Region Modena in Italien schlugen aus der überreichen Ernte des Jahres 1347 viel Kapital, da sie ihre ungewöhnlich großen Weinvorräte durch die Notmaßnahme »Weinbrennen« im darauffolgenden Pestjahr gut vermarkten konnten. Eine solche Chancenverwertung regte natürlich zur
Willi Glaser
Gute Einnahmequelle der Ratsapotheker

Von den Anfängen des Berliner Branntweingewerbes

Das Branntweingewerbe hat in Berlin eine lange Tradition. 1953 feierte der Verband der Berliner Weingroßhändler und Spirituosenhersteller e. V. seine 600 Jahre währenden Branchenaktivitäten. Bis in die jüngste Zeit hinein sind Namen wie Gilka, Kahlbaum, Mampe oder Schilkin auf das engste mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt verbunden und stehen - stellvertretend für viele andere Unternehmen dieses Industriezweiges - für Markenerfolg mit hohem Beliebtheitsgrad. Trinkbranntweine oder Liköre, egal, welche Gattungsbegriffe man auch wählt, Alkohol ist immer dabei.
     Alkohol ist ein Wort, das der arabischen Sprache entlehnt ist, wobei »Kohol« ursprünglich »Schminke« bedeutete. Kohol - in Verbindung mit dem Geschlechtswort »al« - Alkohol benutzten die Beduinen als Sonnenschutzmittel. Dieser Begriffsinhalt findet sich später dann ebenfalls in der lateinischen Bezeichnung für Eisenpulver hohen Feinheitsgrades - Ferrum alcoholisatum.
     Die erste Anwendung des Wortes Alkohol


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Nachahmung an. Den fürstlichen Hofapothekern und den Ratsapothekern der Städte gelang es sehr schnell, die Herstellung und den Vertrieb von Heilmitteln zum Vorrecht ihres Berufsstandes zu machen. Das wurde dann allerorts offiziell sanktioniert. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts durfte sich im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation kein Berufsstand außer den genannten erdreisten, das »Heilmittel« in den Verkehr zu bringen. 3)
     Diese Regel galt natürlich auch im mittelalterlichen Berlin. Am 10. November 1351 wurde der aus Nürnberg stammende Arzt und Arzneikundige Hieronymus Burkhard vom brandenburgischen Markgrafen Ludwig dem Römer (1330-1365) zum »Apotheker« der Schwesterstädte Cölln und Berlin bestellt. Das hier abgebildete Schriftstück mit der markgräflichen Bestallungsbestätigung ist nicht nur das älteste nachgewiesene Apothekerprivileg Berlins, sondern gleichzeitig sozusagen der Geburtsschein des Berliner Branntweingewerbes. 4)
     Anläßlich kriegerischer Handlungen, die Ludwig der Bayer anno 1328 führte, hatte Burkhard als Feldscher des Heeres in Italien das Herstellungsverfahren für Branntwein kennengelernt. Leider konnte sich der Ratsapotheker nur zwei Jahre an seinem so gewinnbringenden Privileg »Weinbrennerei« erfreuen, weil er dann einem Schlaganfall erlag.
     Sein Nachfolger im Amt wurde der aus Er
langen stammende Wolf Dietrich, der sich standesgemäß »Meister Thidericus« nannte und bereits seit 1324 über das Ratsapotheker-Privileg in Prenzlau in der Uckermark verfügte. Seine finanzielle Lage erlaubte ihm großzügige Unterstützung seines stets in Geldnöten befindlichen Landesvaters Ludwig der Römer, der sich mit der Übertragung der Burkhardschen Rechte auf ihn am 30. November 1353 revanchierte. Schnell als guter »Aquavitmacher« bekannt und beliebt geworden, hatte »Meister Thidericus« erneut beste Gelegenheit zu reichlichem Geldscheffeln. Die Rohstoffe für seine Produkte lagen nahezu vor der Tür. In Gestalt der Weingärten auf dem Kreuzberg - der damals »Runder Weinberg« hieß - und den »Tempelhofer Bergen« sowie in der Gegend des heutigen Friedrichshains.
     Herstellung und Verkauf bzw. direkter Ausschank alkoholischer Getränke waren mehr als zwei Jahrhunderte die Haupteinnahmequelle der Berliner Ratsapotheker. Das lag im wesentlichen darin begründet, daß die Bürger zu den ansonsten im Angebot befindlichen (sogenannten) Medikamenten - vielleicht nicht ganz unbegründet - recht wenig Vertrauen hatten.
     Die erste Berliner Ratsapotheke befand sich etwa an der Stelle der jetzigen Spandauer Straße, wo vor der Neubebauung des Nikolaiviertels die Einmündung der Probststraße war. Der mit Schindeln gedeckte Fachwerkbau enthielt im Erdgeschoß die

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Privileg des Berliner Ratsapothekers Meister Burkhard vom 10. Dezember 1351


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von der Straße zugängliche Offizin und die getäfelte Trinkstube, die jedoch nur über den Hausflur betreten werden konnte. Der gesamte Hof war unterkellert und diente zur Faßlagerung von Süßwein und Lebenswasser. Der Brand, der am 13. August 1380 so verheerend in der Stadt gewütet hatte, legte auch das Apothekengebäude samt Wein- und Spirituosenlager vollständig in Schutt und Asche.
     Am 14. Oktober 1481 wurde das alte Burkhardsche Privileg, das bislang immer fortvererbt worden war, neu gefaßt. Im Auftrag seines Vaters, des Kurfürsten Albrecht Achilles (1414-1486), stellte es Kurfürst Johann Cicero (1455-1499) dem Meister Tempelhoff aus. 5) Dieser hatte 40 Jahre im »Apothekenflügel« des Schlosses als kurfürstlicher Hofapotheker gewirkt. Der Passus des Privilegs, der sich auf Herstellung und Vertrieb von Branntwein bezieht, hat fast den gleichen Wortlaut, wie das von Ludwig dem Römer ausgestellte Dokument: »Ook wolen wir nicht gestaden, daß en nich Cramere, er sey Inwohners oder Gast, ennich confect odergeprant Wein, noch keynerley, das zur Apotheken gehoret vnt dynet, veyle sol haben, noch verkoffen.«
1484 ereignete sich in Berlin ein weiterer Großbrand. Auch dieses Mal wurde die Ratsapotheke ein Raub der Flammen. Der 73jährige Tempelhoff war schlagartig verarmt, aber - Glück im Unglück - die Pest,
der im folgenden Jahr mehr als ein Drittel der Einwohner Berlins zum Opfer fielen, rettete ihn aus der Not, da ihm von allen Seiten Geld aufgedrängt wurde zum schnellen Wiederaufbau von Ratsapotheke und der dazugehörigen Weinbrennerei. Die Nachfrage nach dem Aqua vitae, mit dem man dem schwarzen Tod zu entrinnen hoffte, war größer denn je.
     Johannes Tempelhoff übte sich auch in der Erzeugnisentwicklung. Für seinen fürstlichen Gönner, der nicht selten an Magenschmerzen litt, kreierte er den inzwischen zwar etwas aus der Mode gekommenen, aber immer noch auf dem Berliner Markt befindlichen »Sauern mit Persico«. Eine andere beliebte Spirituose dieser Zeit war ein sehr süffiger Kräuterlikör, den die Nonnen des Spandauer Klosters nach dem Rezept ihrer Ordensbrüder aus dem Ettal in Bayern herstellten. Dieser Likör hatte bei den Berlinern den Spitznamen »Jungferntrost«. Ob die frommen Frauen über ein spezielles Herstellungsprivileg verfügten, konnte nicht ermittelt werden.
     Nachfolger von Tempelhoff, der 1488 verstorben und in der Nikolaikirche begraben worden war, wurde mit Bestallung durch Kurfürst Johann Cicero der Bamberger Johannes Zehender. Auch er kam - man schrieb das Jahr 1500 - zu ansehnlichem Reichtum, erneut durch die Angst der Menschen vor der Pest. Aber die Verhältnisse hatten sich schon beachtlich verän-

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   11   Probleme/Projekte/Prozesse Berliner Branntweingewerbe  Voriges BlattArtikelanfang
dert. Es war eine bedeutende Konkurrenz entstanden. Acht »Budensassen« mißachteten sein Privileg und betätigten sich illegal als »Winkelbrenner«. Zehender wurde durch diese Leute sehr viel Kundschaft los. Auch, weil ihre Preise unter den »Apothekerpreisen« lagen.
     Kilian Hohenzweig, seines Zeichens Ratsapotheker und damit auch Branntweinhersteller, mußte sich 1556 damit abfinden, daß er von höchster Stelle veranlaßte Konkurrenz bekam. Der Leibarzt des Kurfürsten Joachim II. (1505-1571), Augustin Steel, erhielt als Entgelt für fünfjährige Tätigkeit zwei Apothekerkonzessionen. Eine Apotheke wurde an der Langen Brücke, die andere am Molkenmarkt errichtet.
     Aber das war nur ein Grund für den Niedergang der Blütezeit der frühen Weinbrennerei in Berlin. Ein weiterer wesentlicher Einflußfaktor war der Zustrom flämischer Emigranten in die Mark Brandenburg. Unter diesen befanden sich auch erfahrene Kornbrenner, denen das Recht zugebilligt worden war, an ihrem neuen Wohnort ihr angestammtes Gewerbe ausüben zu dürfen.
     Das Aufkommen der Kornbrennerei hatte de facto das Branntweinprivileg der Berliner Ratsapotheker aufgehoben.
     Von den eingewanderten Kornbrennern hatte sich zwar keiner in Berlin etabliert, aber es gab genug geschäftstüchtige Einheimische, die dem Beispiel der Niederländer folgten und damit begannen, Kornbrände
aus Roggen oder Weizen zu brennen. Dazu gehörten besonders die Berufsgruppe der Bierbrauer und die Krämer. Einer der ersten war Krämer Lamprecht Bornicke. Er betrieb sein Gewerbe in der Rosengasse im Marienviertel und stellte mit recht primitivem Brenngerät einen hochprozentigen Kornbranntwein her, dessen Originalrezeptur vor einigen Jahren in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. 6)
     Doch auch für diesen scheinbaren Knick in einer nahezu kontinuierlichen Entwicklungslinie galt das schöne alte Sprichwort von der Eule, die dem anderen Nachtigall ist. Die aufkommende Kornbrennerei brachte neue Produkte, die für die Berliner Handwerks- und Industriebetriebe für lange Zeit hinsichtlich Vielfalt, Menge und Qualität profilbestimmend werden sollten.

Quellen:
1 Wüstenfeld, H./Haeseler, G.: Trinkbranntweine und Liköre, Verlag Paul Paray, Berlin 1964
2 600 Jahre Berliner Branntweingewerbe 1353-1953, hrsg. vom Berliner Weingroßhandel und Spirituosenhersteller e. V., Berlin 1953
3 Ebenda
4 Weber, K. v.: Mitteilungen aus vier Jahrhunderten, Bd. 3, Verlag Bernhard Tauchnitz, Leipzig 1859
5 600 Jahre Berliner Branntweingewerbe, a. a. O.
6 Die Alkoholindustrie, 64. Jg. (1951), Nr. 11


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
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