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Kurt Wernicke
Stralauer Fischzug zwischen Sage und Wissenschaft

Wie grundsätzlich, so hatte die Romantische Schule auch in ihrem Berliner Zweig kräftig an Bildern vom Mittelalter als der »guten alten Zeit« gestrickt und raunendes Gewisper vom Ursprung dieses oder jenes Ortsnamens, Festes oder Brauches in literarische Form gegossen. Dabei spielte der Sieg des christlich identifizierten Deutschtums über das slawische Heidentum zumeist eine tragende Rolle. Der erste Markgraf Brandenburgs, der Askanier Albrecht der Bär (ca. 1100-1170), geriet dabei als symbolische Lichtgestalt des zivilisationsbesessenen Christentums in das Zentrum von Vorgängen, die unter dem Aspekt historischer Forschung wahrlich nichts mit ihm zu tun haben. Immerhin geht die bekannte Sage über den Namensursprung der in die Havel ragenden Halbinsel Schildhorn im Kern auf einen historischen Vorgang zurück, nämlich auf die überlieferten militärischen Auseinandersetzungen zwischen Albrecht dem Bären und dem Slawenfürsten Jaxa von Köpenick. Es ging um den Besitz von Stadt und Feste Brandenburg in den 50er Jahren des 12. Jahrhunderts. Auch mit der Unterwerfung der in die Spree ragenden Halbinsel Stralau

unter die askanische Herrschaft kann Albrecht nicht in Verbindung gebracht werden, denn als der »Bär« 1170 starb, endete das noch ziemlich verstreute askanische Herrschaftsgebiet östlich der Elbe etwa auf der Linie Havel-Nuthe. Es war damit noch meilenweit von der Stralauer Halbinsel entfernt. Den Anfängen der Berlin-Geschichtsschreibung war das aber noch unbekannt, denn bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein bezog man sich meist auf ein 1584 im Turmknopf der Nikolaikirche deponiertes Schriftstück des damaligen Berliner Stadtsyndikus Joachim Hartmann (Georg Gottfried Küster hatte es 1737 im ersten Teil seines Kompendiums »Altes und Neues Berlin« der Öffentlichkeit mitgeteilt). Ihm zufolge soll Albrecht der Bär 1139/40 die Stadt Berlin um die Bebauung östlich des Molkenmarkts erweitert haben. Hierbei handelt es sich um eine durch die Jahrhunderte getragene, offenbar mündliche Überlieferung, der die Stadtarchäologie unseres Jahrhunderts jedoch jede historische Grundlage entzog.
     Die Verklärungen der Romantik hielten allerdings noch ziemlich lange vor. Noch im Jahre 1863 wurde einem breiten Publikum im deutschen Bildungs- und Beamtenbürgertum die legendenhafte Verknüpfung des weithin bekannten Berliner Volksfestes Stralauer Fischzug mit der Heldenfigur Albrecht der Bär, der deutschen Landnahme in den Gebieten slawischer Stammesverbände und der zivilisierenden Mission des Christentums offeriert.
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Das tat der Berliner Zeichner und Feuilletonist Ludwig Löffler (1819-1876) in der erfolgreichen Konkurrentin der Leipziger »Illustrierten Zeitung« - dem 1859 in Stuttgart begründeten illustrierten Wochenblatt »Über Land und Meer«. Dort berichtet er im Rahmen einer im 5. Jahrgang (1862/63) publizierten Serie »Volksfeste der Deutschen« auf S. 822 explizit über das Berliner Volksvergnügen: »Das berliner Volksfest, das weit und breit dem Namen nach bekannt ist, dürfte doch nur Wenigen der Entstehung nach bekannt sein. Das Fest wird zur Erinnerung an den Fischzug gefeiert, welchen der Wendenfürst von Stralow alljährlich als Tribut entrichten mußte. Albrecht der Bär soll nämlich zu jenem Wendenfürsten gesprochen haben: >Hier, wo Deine Brüder Menschenopfer bringen, soll mir über's Jahr eine christliche Kirche erstehen, Dich aber will ich zu meinem Vasallen machen.< Und nachdem der Markgraf die Wenden besiegt hatte, ließ er die Kirche bauen, nannte den Ort nach seinem Vasallen Stralow und forderte seinen jährlichen Tribut. Dieser Tribut wurde später dem Prediger geleistet und zu dem Ende zogen die Fischer des Dorfes am St. Bartholomäustag um fünf Uhr morgens mit Musik hinaus und taten fünf große Züge mit dem Garn, dessen Inhalt dem Pfarrer abgeliefert wurde. Ehedem bekam dieser jedes Jahr noch einen Stiefel, damit er, wie es hieß, den zwischen Kirche und Dorf gelegenen Graben überschreiten konnte. Stiefel und Fischzug wurden neuerdings mit Geld abgekauft.«
     Die Verbreitung der romantischen Verquickung von christlicher Zivilisationsaufgabe gegenüber heidnisch-slawischer Blutrünstigkeit (die slawischen »Menschenopfer« sind reine Erfindung!) und askanischem Recken war zu dieser Zeit wissenschaftlich schon nicht mehr vertretbar. Wer mit aufklärerischer Sicht auf die Berliner Geschichte blickte, konnte auch den wirklichen Ursprung des in Stralau gefeierten Fischzuges benennen. Immerhin war in zahlreichen Amtsstuben und allen seriösen Bibliotheken das voluminöse Werk des Hallenser Rechtsprofessors Otto Mylius »Corpus Constitutionum Marchicarum« vorhanden, das in ursprünglich sechs, später aber noch in vielen weiteren Bänden brandenburgische Edikte und Ordnungen im Wortlaut publizierte. Schon im 4. Band (Berlin und Halle 1738) war in der II. Abteilung, Spalte 191-196, jene »Fischer-Ordnung, wie es im Kurfürstentum der Mark Brandenburg auf der Havel, Spree und anderen Wassern mit der Fischerei, Fischzeug und Fischmärkten allenthalben soll gehalten werden« vom 23. Februar 1574 abgedruckt worden, die zwischen dem Donnerstag vor Ostern und dem Bartholomäustag (24. August), »damit die Fischerey zu schäde des Leichs und jungen Fischs nicht zu unzeiten gebraucht werde«, das Fischen mit großen Netzen untersagte.
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Wer also kritisch-aufklärerisch an den Ursprung des Stralauer Fischzugs heranging, der mußte die Übereinstimmung zwischen der Fischer-Ordnung von 1574 mit ihrer Festlegung des 24. August als Wiederbeginn des Fischens mit dem großen Netz (zwischen jeweils zwei Booten) und dem Tag der traditionellen Begehung des Fischzugs in Stralau zur verständlichen Erklärung heranziehen.

Der Stralower Fischzug 1863
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     Das tat schon ein Jahr nach Ludwig Löffler der einst als »Achtundvierziger« exponierte Berliner Schriftsteller Adolph Streckfuß (1823-1895). In der Erstauflage seines späteren Standardwerks »Vom Fischerdorf zur Weltstadt« mit dem Untertitel »Berlin seit 500 Jahren. Geschichte und Sage«, die er 1864 vorlegte (und in der er eine ganze Reihe Berliner Legenden ins rechte Licht rückte), äußerte er sich in Teil 1 auf S. 327/328 unter Verzicht auf alle sagenhaften Elemente auch nach dem seinerzeitigen wissenschaftlichen Stand zum Ursprung des Stralauer Fischzugs: »Ein anderes Volksfest, welches noch heute von den Berlinern gefeiert wird, verdankt wahrscheinlich seinen Ursprung ebenfalls jener Zeit (dem 16. Jh.; d. V.) - der Stralauer Fischzug.
     Im Jahre 1574 setzte eine kurfürstliche Verordnung fest, daß die Gewässer bis zum Bartholomäustage (24. August) mit dem großen Garne verschont werden sollten, damit der Fortpflanzung der Fische nicht durch übermäßige Ausdehnung des Fischfangs geschadet werde.
     Der erste Tag der wiedereröffneten Fischerei war natürlich ein Festtag für die Fischer, und daher schreibt sich wahrscheinlich der Ursprung des Volksfestes, zu dem die stets schaulustigen und vergnügungssüchtigen Berliner aus der Stadt nach dem nahen Fischerdorf Stralau wanderten.
Ob das Fest schon damals und überhaupt in früheren Zeiten in gleicher oder auch nur ähnlicher Weise wie gegenwärtig gefeiert worden ist, darüber liegen uns bestimmte Nachrichten nicht vor. Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts scheint der Stralauer Fischzug zum allgemeinen Volksvergnügen geworden zu sein.«
     Das war offensichtlich der Durchbruch der Wissenschaftlichkeit in den Erklärungsmustern für den Ursprung des Stralauer Fischzugs. Danach sind Rückgriffe auf legendenhafte Versatzstücke ausgeblieben - wozu auch die in den folgenden Jahrzehnten geradezu massenhafte Verbreitung der in den siebziger Jahren vorgelegten Standardausgabe von Streckfuß' »Vom Fischerdorf zur Weltstadt« ihren Teil beigetragen haben mag.

Bildquelle:
»Über Land und Meer« Bd. 10, 1863/II

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
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