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lange Freundschaft mit dem in Döbeln geborenen, ein Jahr älteren Erich Heckel.
     Im Jahre 1943 ausgebombt und mit Berufsverbot belastet, kehrt der Künstler nach Rottluff zurück, in der Folgezeit vertieft sich erneut die Verbindung zu Chemnitz.
     Sofort nach Kriegsende, in den ersten Nachkriegsjahren, sieht er sich anerkannt und geehrt: Eine Ausstellung seiner Werke wird in Chemnitz eröffnet. Er wird Präsident des Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands und Ehrenbürger von Chemnitz, zugleich aber erneut diskreditiert und bedrängt. Ihn machen Anzeichen erneuter Infragestellung besorgt. Zunehmender Gewissenszwang bewegt ihn, die sowjetische Besatzungszone zu verlassen und nach Berlin überzusiedeln. 1947 nimmt Karl Schmidt-Rottluff eine Professur an der Westberliner Hochschule für bildende Künste an. Wie die Jahre danach bewiesen, tat er gut daran.
     Die Chemnitzer Ortsgewaltigen, kulturpolitisch eher noch bornierter als die Obersten anderer DDR-Städte, waren lange Zeit nicht einmal bereit, sich den Nachlaß des Künstlers, aus dem ein Schmidt-Rottluff-Museum hätte entstehen können, schenken zu lassen. Noch in den 70er Jahren galt das kleine Schmidt-Rottluff-Kabinett im Städtischen Museum von Karl-Marx-Stadt offiziellen Kreisen eher als wohl oder übel hingenommenes Ärgernis. Und Museumsleute, die sich in dieser Frage zu weit
Gerhard Stelzer
»... zu fassen, was ich sehe und fühle«

Ehrenbürger Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976)

Unter den drei deutschen Städten - Chemnitz, Dresden und Berlin -, mit denen Schmidt-Rottluffs Werdegang, Schaffen und Wirken besonders eng verbunden war, im positiven wie im negativen, ist Berlin die Stadt, in der er die weitaus längste Zeit verbrachte - mit einigen Unterbrechungen gut sechs Jahrzehnte, von 1911 bis zu seinem Tode 1976.
     Geboren wurde Karl Schmidt-Rottluff am 1. Dezember 1884 in Rottluff bei Chemnitz. Hier und in dem benachbarten Geburtsort Rottluff verbringt er die ersten beiden Lebensjahrzehnte und hält sich auch von 1943 bis 1947 dort auf. Bis zum Abitur ist der Weg des Müllersohnes Karl Schmidt normal-bürgerlich: Besuch der Volksschule und anschließend des Chemnitzer humanistischen Gymnasiums. Hier fällt sein zeichnerisches Talent früh auf, und er darf bereits als Schüler eigene Aquarelle in der Chemnitzer »Kunsthütte« ausstellen. Literarische und künstlerische Interessen begründen ab 1902 im Chemnitzer Club »Vulkan« die lebens-


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vorwagten, hatten mit Vorhaltungen und unangenehmen Folgen zu rechnen.
     Die Dresdener Periode (1905-1911) war die kürzeste, die intensivste und folgenreichste zugleich in der beginnenden Laufbahn Schmidt-Rottluffs. Nach bestandenem Abitur im Frühjahr 1905 als Architekturstudent an der Technischen Hochschule Dresden immatrikuliert, geriet er sogleich auf »Abwege« und wurde Maler. Dazu angeregt hat ihn sein Jugendfreund Erich Heckel, der seit 1904 in Dresden Architektur studierte und ihn mit den älteren Kommilitonen Ernst Ludwig Kirchner und Hans Bleyl zusammenführte. Die drei, von der Liebe zur Malerei beseelt, bewegten Karl Schmidt, sich ihnen anzuschließen. Gemeinsam gründeten die vier am 7. Juni 1905 in Dresden-Friedrichstadt die Künstlergemeinschaft »Brücke«, die ab 1906 in den beiden Ateliers von Heckel und Kirchner in der Berliner Straße 60 und 65 ihre Arbeitsräume hatte.
     Vom Standpunkt des akademischen Malers aus gesehen waren sie »Laien« - denn keiner von ihnen hatte ein auch nur begonnenes, geschweige denn ein abgeschlossenes Studium der Malerei vorzuweisen. Und doch erkühnten sie sich, in einer Hochburg alter akademischer Maltradition alles in Frage zu stellen und umzustürzen, was bisher galt. Offenbar auch gerade deshalb, weil sie unbefangen und unverdorben antraten. Als hochbegabte, sendungsbewußte und kunstbesessene Menschen, die sich
weder einschüchtern noch irre machen ließen, die ihre Berufung fühlten, ihre Chance erkannten, sie zu nutzen verstanden. Bleyl allerdings schied 1906 aus und ging andere Wege.
     Ein »Brücke«-Programm gab es zu der Zeit noch nicht, und es war auch keines beabsichtigt. Programmatisches Denken und theoretisierende Zielsetzungen waren ihre Sache nicht. Der Name »Brücke« ist Schmidt-Rottluff zu verdanken, der, wie Heckel mitteilte, gemeint habe, dies »sei ein vielschichtiges Wort, würde kein Programm bedeuten, aber gewissermaßen von einem Ufer zum andern führen«. (Heinz Köhn in: »Das Kunstwerk«, XII, 1968/69, Heft 3) Sich unmittelbar in Farbe und Form verwirklichen, ausdrücken, was man sah und fühlte, zur Einheit von Kunst und Leben, zum Einssein mit der Natur gelangen, darauf kam es vor allem an.
     Um weithin zu wirken, »alle revolutionären und gärenden Elemente an sich zu ziehen« (Schmidt-Rottluff am 4. Februar 1906 an Emil Nolde), werden geistesverwandte Künstler angeregt, sich anzuschließen. So Nolde, der 1906 hinzukam, 1907 jedoch wieder austrat, Max Pechstein, der 1908 aufgenommen und 1912 ausgeschlossen wurde, Otto Mueller, der ab 1910 bis zu deren Auflösung im Mai 1913 der »Brücke« angehörte.
     Ein »Brücke«-Museum zu errichten, wäre Dresden wohl am ehesten legitimiert ge-

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wesen; solches aber nach 1945 hier zu erwarten und einrichten zu wollen, war angesichts der ideologischen Hemmnisse geradezu absurd.
     Nachdem die »Brücke« im Oktober 1911 nach Berlin umzog, lockerte sich der Zusammenhalt schnell. Zeitweilige Mitgliedschaft in und Auseinandersetzungen mit der »Neuen Berliner Secession«, Spannungen im Verhältnis zu Pechstein und andere Dinge trugen dazu bei, daß bereits im Mai 1913 die Auflösung der »Brücke« erfolgt.
     Kirchners »Brücke-Chronik«, mit der Heckel, Schmidt-Rottluff und Mueller nicht einverstanden waren, gab den Anlaß, vor allem der darin von Kirchner erhobene Führungs- und Programmanspruch. Die »Brücke« teilt damit das Schicksal vieler Künstlergemeinschaften, die sich zur Gruppe zusammentun, um sich vereint durchzusetzen, um in und mit der Gruppe sich selbst und seinen eigenen Weg zu finden, wobei der Gruppenzusammenhalt zeitweilig wie ein dynamisches Kraftfeld wirkt und Auftrieb verleiht. Man geht mit Gewinn ein Stück Wegs gemeinsam und trennt sich wieder, wenn es geboten erscheint. Jeder folgt im Grunde seiner inneren Berufung, und letztlich zählt nur, was man selbst an Eigenem einzubringen vermag. Alles, was schöpferische Selbstverwirklichung hemmt, künstlerischer und persönlicher Freiheit entgegensteht, wird instinktiv oder bewußt negiert. So ichbezogen dies oft auch erscheinen mag, führt
der Weg jeden echten Künstler letztlich immer zum Aufgehen in einem großen Ganzen, das Kunst und Kultur, Natur und Leben, Menschheit, Menschlichkeit und Wahrheit heißt.
     Das trifft auch auf Schmidt-Rottluff zu.
     Bezeichnend ist 1914 seine Antwort auf die Umfrage »Das Neue Programm«. (Kunst und Künstler, Berlin, XII. Jahrgang, 1914) Er kenne kein »neues Kunstprogramm«, sagt
er. »... von mir weiß ich, daß ich kein Programm habe, nur die unerklärliche Sehnsucht, das zu fassen, was ich sehe und fühle, und dafür den reinsten Ausdruck zu finden.« Ebenso deutlich ist seine 1919 dem Berliner Arbeiterrat für Kunst kundgetane Auffassung hinsichtlich der Kunst im sozialistischen Staat: »Der Künstler soll auch im sozialistischen Staat frei sein, getreu seinem Ziele, das immer auf die Menschheit gerichtet ist - niemals auf einen Staat. Abweisung aller staatlichen Zumutungen, ihn in das Staatsganze einzugliedern. Leben und Arbeit des Künstlers hat frei zu sein.
     Infolgedessen ist es logische Forderung, daß der Staat sich in Kunst überhaupt nicht einmische.« Um innerlich frei zu sein, lehnt er es 1919 ab, Bauhauslehrer und 1929 Dozent in Hamburg zu werden. 1931 in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen und 1933, nach dem Machtantritt der Nazis, zu den Unerwünschten gehörig und zum Austritt aufgefordert, stellt er seine Mitgliedschaft unverzüglich zur Ver-

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fügung. Angewidert von dem, was da an »neuem Geist« und »neuer Elite« heranrückt.
     Dennoch erhofft er für sich und seinesgleichen bessere Zeiten und arbeitet unermüdlich weiter. Selbst die Beschlagnahme von 608 seiner Werke in deutschen Museen und die Invektiven der Münchener Ausstellung »Entartete Kunst« 1937 nebst deren Be
sentant erstrebt, gesagt und getan hat, kennzeichnet ihn als einen bedeutenden Menschen, der immer für eine gute Sache aufging und dadurch sehr viel bewirkte - nicht nur für das künstlerische und kulturelle Leben unserer Stadt.
     Wie die Entstehung des »Brücke«-Museums, das 1967 eröffnet werden konnte, so
g
leiterscheinungen können ihn nicht zu Boden werfen. Auch als der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, Ziegler, ihn im April 1941 aus der Kunstkammer ausschließt und ihm Ausstellungs- und Berufsverbot erteilt, gibt er nicht auf und findet Wege, weiterzuarbeiten.
     Nach dem Krieg beginnt für Schmidt-Rottluff als 60jährigem eine neue, langjährige Epoche künstlerischen Schaffens, aber auch pädagogischen und kulturellen Wirkens. Er wird Präsidiumsmitglied des Kulturbundes in der sowjetischen Besatzungszone und folgt mit 62 Jahren einem Ruf als Professor an die soeben eröffnete Kunsthochschule in West-Berlin. 1950 wird er zweiter Vorsitzender des neugegründeten »Deutschen Künstlerbundes« und bemüht sich, Künstler aus der DDR in den Bund aufzunehmen.
     Alles, was Schmidt-Rottluff als Künstler, Hochschulprofessor und kultureller Reprä

Karl Schmidt-Rottluff


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wohl einem Geschenk Schmidt-Rottluffs zu verdanken ist und zugleich eine Danksagung der Stadt an den Künstler darstellt, so kann auch seine 1970 erfolgte Ernennung zum Ehrenbürger Berlins als eine hohe Ehrung in doppeltem Sinne gelten - für ihn, aber auch für die Stadt und jene, die sich dafür aussprachen und verwendeten.
     Die im April 1970, wenige Monate nach seinem 85. Geburtstag, erfolgte Ernennung Schmidt-Rottluffs zum Ehrenbürger der Stadt Berlin hatte sich bereits Jahre zuvor angebahnt und war eine längst verdiente Würdigung eines Menschen, dem die Stadt viel verdankt.
     Unter den Anerkennungen, Ehrungen und Auszeichnungen der Nachkriegszeit - u. a. 1947 die Ernennung zum Chemnitzer Ehrenbürger; 1956 die zum Mitglied der Friedensklasse des Ordens »Pour le mérite« ; Kunstpreis der Stadt Berlin 1951, des Landes Nordrhein-Westfalen 1958, der Stadt München 1961; bedeutsame Ausstellungen und Publikationen, insbesondere jene zu seinem 70. und 80. Geburtstag - war diese gewiß eine der höchsten. Dennoch fand sie im Kreis der mit Schmidt-Rottluff näher befaßten Wissenschaftler nicht die gebührende Beachtung. In seiner ausführlichen »Dokumentation zu Leben und Werk« des Künstlers im Katalogwerk der großen Schmidt-Rottluff-Retrospektive von 1989 erwähnt Günther Thiem die Ernennung zum Berliner Ehrenbürger nicht, wohl aber die zum
Chemnitzer Ehrenbürger sowie andere Auszeichnungen und Ehrungen. Schmidt-Rottluffs Ernennung zum Berliner Ehrenbürger geht im Grunde auf den 80. Geburtstag des Künstlers 1964 zurück, als dieser dem Land Berlin 74 seiner Bilder für ein zu errichtendes Schmidt-Rottluff-Museum übereignete und hierfür weitere Schenkungen in Aussicht stellte. Daraus entwickelte sich auf Vorschlag des späteren Museumsdirektors Leopold Reidemeister und mit Zustimmung des Künstlers das Projekt »Brücke«-Museum, an dem sich auch Erich Heckel sogleich selbstlos beteiligte, indem er seinen reichen Kunstbesitz als Geschenk zur Verfügung stellte. Begünstigt durch weitere Erwerbungen, konnte das Museum binnen kurzem entstehen. Von Werner Düttmann erbaut, wurde es am 15. September 1967 in Berlin-Dahlem eröffnet. Die handgeschriebene Eintragung im Buch der Berliner Ehrenbürger berichtet hierzu: »... aus Anlaß seines 80. Geburtstages schenkte Sch.-R. dem Land Berlin Bilder im Werte von zehn Millionen DM. Als Bedingung für diese Schenkung wünschte er den Bau eines Museums in Dahlem. Diesem Wunsche ist auch entsprochen worden. Das an der Pücklerstraße/Clayallee entstandene Gebäude wurde >Brücke<-Museum benannt.« Am 10. August 1976 stirbt Karl Schmidt-Rottluff in Berlin.

Bildquelle: Landesbildstelle
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
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