55   Porträt Abraham Asher  Nächstes Blatt
Sein Berufswunsch stand von Anfang an fest: Er wollte Kaufmann werden! Beseelt von Tatendrang und mit einer guten Portion Abenteuerlust, begab er sich auf Wanderschaft. Die Lehrjahre führten ihn in das industrialisierte England, wo er nachweislich mehrere Jahre lebte und alle Gelegenheiten wahrnahm, um »sich nicht nur kaufmännisch zu bilden, sondern auch Land und Leute genau kennenzulernen und vor allem die englische Sprache und Literatur eingehend zu studieren«. 1)
     Kurzzeitig nach Deutschland zurückgekehrt, wandte er sich Anfang der 20er Jahre erneut dem Ausland zu. Das östliche St. Petersburg sollte seine neue Wahlheimat werden. Dort angekommen, erlernte er schnell die russische Sprache und betrieb Handel mit Diamanten und Antiquitäten.
     Wie es der Zufall wollte, kaufte er eines Tages preisgünstig eine private Büchersammlung auf, deren Wiederverkauf so gewinnbringend war, daß sich Ascher kurzerhand entschloß, Buchhändler zu wer
den. Ohne je eine diesbezügliche Ausbildung erhalten zu haben, begründete er um 1825 eine Buchhandlung (was übrigens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus keine Seltenheit war) und eignete sich die notwendigen Fachkenntnisse in unerbittlichem Selbststudium an.
     Leider sind aus der Petersburger Zeit nur wenige Einzelheiten bekannt. Vermutlich
Thomas Keiderling
Ein jüdischer Buchhändler mit
englischemSortiment

Abraham Asher
(1800-1853)

Wer in den ersten Januartagen des Jahres 1830 seine Schritte in die Prachtstraße Unter den Linden lenkte, konnte in den Parterreräumen der Nummer 20 eine neue Buchhandlung entdecken. Ein noch recht junger Buchhändler aus St. Petersburg, so hieß es, sei der Geschäftsinhaber. Unter dem Namen A. Asher's Library sollte von nun an ausländische, vornehmlich englische, aber auch französische, deutsche und hebräische Literatur angeboten werden.
     Was hatte es mit diesem Buchhändler auf sich, der von weit her angereist war, um ein derart spezialisiertes Etablissement zu eröffnen?
Abraham Isaac Ascher, ein Sohn jüdischer Eltern, wurde am 23. August 1800 im kleinen Ort Cammin in Pommern geboren. Nachdem er den ersten Unterricht in der Vaterstadt erhalten hatte, besuchte er das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin und schloß hier die Schulausbildung ab.


BlattanfangNächstes Blatt

   56   Porträt Abraham Asher  Voriges BlattNächstes Blatt
war das Geschäft durch sein geschicktes Wirken rasch vergrößert worden. Dieser erste Erfolg sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein. Durch ein Pogrom des Zaren Nikolaus I. wurde Ascher wie die meisten seiner jüdischen Glaubensgenossen gezwungen, Rußland Hals über Kopf zu verlassen. 1829 begab er sich nach Berlin, erwarb am 10. Dezember desselben Jahres das Berliner Bürgerrecht und ließ sich hier geschäftlich nieder. 2)
     Nach den Wünschen Aschers sollte das Hauptaugenmerk seines Berliner Geschäfts auf den literarischen Verkehr mit England gerichtet sein. Diesbezüglich hielt er es für schicklich, gleich bei der Firmierung seinen Namen auf Asher zu anglisieren, wobei ihm die polizeiliche Genehmigung dazu erst sieben Jahre später, am 20. November 1837, nachgereicht wurde. Dem unermüdlichen Schaffen des Firmenbegründers, der wiederholt als ein Arbeitsbesessener beschrieben wurde, war es zu verdanken, daß sich die neue Buchhandlung gleich ihrer Petersburger Vorgängerin bedeutend entwickelte. Der Handel mit Großbritannien wurde bereits 1831 durch eine Londoner Filiale intensiviert, deren Leiter David Nutt - ein Sohn deutscher Emigranten - war. Letztgenannter erwarb 1837 das Londoner Geschäft und sicherte fortan unter eigenem Namen den steigenden Bedarf englischer Bücher von Asher.
     Die Berliner Buchhandlung vergrößerte
sich in dieser Zeit auch personell. Es wurden weitere Mitarbeiter eingestellt und im Jahre 1839 auf Wunsch des neuen Teilhabers Isaac Simon, ein Schwager von Asher, der Firmenname in A. Asher & Co. umge-ändert.
     Aus den spärlichen biographischen Notizen, die es zu Abraham Asher in der Vergangenheit gab, wird deutlich, daß sowohl seine Zeitgenossen als auch nachfolgende Generationen nur einen sehr vagen Eindruck davon hatten, welchen Beitrag er für die englisch-deutsche Literaturvermittlung leistete. So wurde in einem jüdischen Lexikon aus dem Jahre 1929 lediglich erwähnt, daß er der deutsche Bücherbeschaffer für die British Library in London sei, und eine Jubiläumsschrift von Asher & Co. wies ein Jahr später nur bescheiden darauf hin, daß Asher die »Auslieferungsstelle« für Jones & Co. sowie einige andere Londoner Verleger war und englisches Sortiment zu Originalpreisen an deutsche Buchhandlungen lieferte.
     Anhand der heute bekannten Unterlagen läßt sich sagen, daß Asher bereits in den 30er Jahren neben den zwei Londoner Verlagsbuchhändlern Black und Longman zu einem der größten Importeure englischsprachiger Literatur in Deutschland avancierte. Der Schlüssel zu seinem Erfolg lag in einer engen Beziehung zu Leipzig, dem Zentralplatz des deutschen Buchhandels.

BlattanfangNächstes Blatt

   57   Porträt Abraham Asher  Voriges BlattNächstes Blatt
Seit 1835 erschien Asher regelmäßig auf der Leipziger Ostermesse und präsentierte interessiertenSortimentsbuchhändlern aus ganz Deutschland seine Verlags- und Kommissionsware im »Auerbach's Hof« am Leipziger Neumarkt, die diese in ihren Handlungen zum Verkauf anbieten sollten. 3) Aus unzähligen Anzeigen im »Börsenblatt für den deutschen Buchhandel« wird deutlich, wie Asher seinen deutschen Absatz englischer Bücher organisierte: Zunächst gab er Kataloge heraus. Sein »London Catalogue of Books« kostete beispielsweise sechs Taler, der »Catalogue of an extensive and valuable Stock of Books, offered to the Trade« wurde sogar kostenlos verteilt. Die Listen lagen in einschlägigen Buchhandlungen aus; somit konnte man jedes auf dem britischen Markt erschienene Buch bestellen und nach einer Liefer

Abraham Asher


BlattanfangNächstes Blatt

   58   Porträt Abraham Asher  Voriges BlattNächstes Blatt
zeit bis zu einem Monat in den Händen halten. Doch damit nicht genug.
     Über sein Bestellsystem hinaus ließ Asher bei seinem Leipziger Kommissionär (der so etwas wie ein buchhändlerischer Agent oder Manager am Messeplatz war) eine nicht unbedeutende Menge gutgehender Bücher - zumeist reich bebilderte Kalender oder Wörterbücher in Taschenformat - lagern. Diese Art der Geschäftsorganisation entsprach dem deutschen Kommissionsbuchhandel, der eine hervorragende Vermittlung zwischen Verlegern und Sortimentern garantierte, unabhängig davon, ob sie eine größere Entfernung trennte oder gar Ländergrenzen.
     Ashers Initiative erscheint heute um so bedeutsamer, wenn man bedenkt, daß sich in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts ein Wandel im Lesegeschmack der Deutschen vollzog, der dadurch gekennzeichnet war, daß nun verstärkt englische Literatur gelesen wurde und auch die Attraktivität der englischen Sprache sprunghaft anwuchs, so daß hinsichtlich der fremdsprachigen Literatur die bisherige Führungsposition des Französischen ins Wanken geriet.
     Anfang der 40er Jahre erhielt der Absatz englischer Bücher in Deutschland einen erneuten Aufschwung, als der nur 21jährige Leipziger Verleger Bernhard Tauchnitz damit anfing, in seiner Druckerei englische Romane in hohen Auflagen zu produzieren, die er innerhalb einer Sammlung, der
»Collection of British Authors«, für nur einen halben Taler pro Band an das Publikum verkaufte. Auf eine solche Preisrevolution mußte Asher, der für seine Taschenbücher im Schnitt zwei bis vier Taler berechnete, schnell reagieren, und somit senkte auch er in den Folgejahren die Preise. Gleichzeitig spezialisierte er sich zunehmend auf den Antiquariatsbuchhandel und bot kostbare Bücher, zumeist wohlfeile und bibliophile Ausgaben sowie Raritäten an.
     Das Sortiment von Asher war thematisch weit gefächert.
     Seine Kataloge enthielten unterschiedliche Genres, z .B. Belletristik, Reiseliteratur, sprachliche Werke, aber auch wissenschaftliche und religiöse Abhandlungen. Eine besondere Vorliebe hegte Asher für kunstvoll gefertigte Bücher mit Stahlstichen, die natürlich besonders teuer waren. Eine Vielzahl der von ihm 1837 angebotenen Stahlstichsammlungen enthielt weibliche Bildnisse, wie das goldverzierte Buch »Ehret die Frauen« zu vier Talern oder die »Bekenntnisse eines alten Junggesellen« von Lady Blessington »mit sechs herrlichen weiblichen Bildnissen, seine sechs Geliebten darstellend«, zu zwei Taler 16 Groschen.
     Gemäß diesem Angebot dürfte das Publikum, welches in der Straße Unter den Linden Nr. 20 ein und aus ging, ein sehr elegantes und zahlungskräftiges gewesen sein. Und es wird sogar berichtet, daß keine

BlattanfangNächstes Blatt

   59   Porträt Abraham Asher  Voriges BlattArtikelanfang
geringere als die Schwiegertochter von Goethe, Ottilie, zu seinen Stammkunden gehörte.
     Ashers Interessen schienen unbegrenzt.
     Er betätigte sich unter anderem als Übersetzer, Bibliograph und Autor. 1834 übertrug er »Schiller's Liede von der Glocke« ins Englische, nachdem er bereits vier Jahre zuvor eine englischsprachige Bibliographie mit dem Titel »A short bibliographical memoir of the collection of voyages and travels published by Levinus Hulsius at Nuremberg and Francfort, from 1598 to 1650« in Berlin veröffentlicht hatte. Neben anderen bibliographischen Arbeiten soll er auch einen englischen und französischen illustrierten Führer durch Berlin herausgegeben haben, nebst einer Liste der bedeutendsten deutschen Autoren und ihrer Werke.
     Über das private Leben Abraham Ashers ist nur wenig zu erfahren. Vermutlich war er nicht verheiratet; Kinder gab es wohl nicht. Nach seinem Tod - Asher starb am 1. September 1853 auf einer Geschäftsreise in Venedig - übernahm der bisherige Mitarbeiter Albert Cohn die Leitung.
     Asher war es nicht vergönnt, die größte Ausdehnung seines Geschäfts zu erleben, die in den 60er Jahren einsetzte. Nach mehreren Besitzerwechseln wurde die Firma 1874 aufgeteilt. Das Sortiment ging an die 1864 erneut in London gegründete Buchhandlung Asher & Co. Das Antiquariat führte Albert Cohn unter eigenem Namen weiter.
Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg - 1938 - verschwand der einst so berühmte Name Asher & Co. für immer aus den Berliner Handelsregistern. In diesem Jahr veränderte der neue Besitzer Adolf Geipel die Firmierung zugunsten seines Namens. Die Buchhandlung Geipel überstand den Krieg und war danach in Berlin-Spandau, Ackerstraße 16, zu finden, bevor sie 1968 erlosch.

Quellen:
1 Geipel, Adolf: Buchhandlung A. Asher & Co.,
Berlin 1830-1930, In: Börsenblatt für den
deutschen Buchhandel Nr. 1, Leipzig 1930
2 Die St. Petersburger Buchhandlung konnte er durch Überschreibungen noch bis 1839 behalten, bevor er sie endgültig veräußerte.
3 Vgl. Börsenblatt für den deutschen Buchhandel Nr. 17, 1835, S. 442

Bildquelle:
Archiv Autor


BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
www.berlinische-monatsschrift.de