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kostensparend vereinfachen. Dann rückten immer mehr politische Aufgaben in den Vordergrund. Die Vertrauensleute sollten die Politik von Partei und Regierung und die Anordnungen der Verwaltungen erläutern und u. a. zu freiwilligen Aufbau-Einsätzen mobilisieren. Die »Abteilungen Ehrenämter« beim Magistrat und bei den Bezirksverwaltungen führten regelmäßig Informationsabende zur Anleitung und Schulung der Obleute durch. Damit nicht genug, die SED, der FDGB und andere Massenorganisationen überhäuften die Obleute mit spezifischen Aufgaben. Schließlich sollten diese auch die Stimmung der Bevölkerung aktenkundlich machen, was dann z.T. in die Stimmungsberichte des Amtes für Information beim Magistrat einfloß.
     Das Amt des Haus- und Straßenvertrauensmannes, ohnehin wenig erstrebt, genoß nur geringe Akzeptanz bei der Bevölkerung, zumal deren Wünsche und Klagen bei den Behörden oft kein Gehör fanden.

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Koll. M. aus dem Bezirk Friedrichshain, Ehrenämter, klagt über die Überschneidung von Veranstaltungen der einzelnen Organisationen, wodurch die Arbeit der Abt. Ehrenämter erschwert wird. Als Beispiel gibt er an, daß zu gleicher Zeit Versammlungen oder Sitzungen von den Parteien, von der Nationalen Front, von den Elternausschüs

Gerhard Keiderling
»Es wird berichtet ...«

Von den Mühen der Obleute

Seit dem Frühjahr 1949 gab es sie wieder: die Haus- und Straßenvertrauensleute, auch Obleute genannt. Im Mai 1945 waren sie erstmals von den sowjetischen Militärkommandanten und den neuen Verwaltungen in der ganzen Stadt eingesetzt worden. Sie amtierten im sowjetischen Sektor bis Ende 1946, in den Westsektoren waren sie schon früher verboten. Der Ebert-Magistrat ordnete im Februar 1949 die Wiedereinführung des Obleutesystems »als ein Stück lebendiger Demokratie« an. Offiziell galten die »ehrenamtlichen Verwaltungshelfer« als »Mitgestalter der neuen demokratischen Ordnung« und als »Vertrauensorgane« der Bevölkerung, die deren Kritiken, Beschwerden und Vorschläge an die Staatsorgane weiterleiten sollten.
     Der Alltag der Haus- und Straßenvertrauensleute sah anders aus. Ihre Hauptbeschäftigung war das Abholen und die Ausgabe der Lebensmittelkarten (sie gab es in der DDR bis Mai 1958) und von Bezugsscheinen, ferner die Durchführung von statistischen Erhebungen, die Wohnraumermittlung, die Organisierung von Arbeitseinsätzen u. a. m. Auf diese Weise ließ sich Verwaltungsarbeit


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sen, vom Konsum und anderen Organisationen einberufen werden, so daß die Menschen nicht wissen, wo sie hingehen sollen ... Er erklärt, daß immer wieder gesagt wird, es werden zuviel Versammlungen mit dem gleichen Thema in der Nationalen Front, in den Betrieben und in der Abteilung Ehrenämter gemacht. Dadurch ist die Meinung entstanden: warum sollen wir da noch hingehen, es wird ja doch immer das Gleiche erzählt.
     Im Bezirk Friedrichshain sind in der letzten Zeit 82 Haus- und Straßenvertrauensleute zurückgetreten; wogegen nur 30 Neue gewählt wurden, während 50 Häuser zur Zeit ohne Hausvertrauensmann sind.
     (Stimmungsbericht vom 16. Januar 1952)

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Bei einer Aussprache in den Abteilungen Ehrenämter wurde mitgeteilt, daß die Informationsabende der Haus- und Straßenvertrauensleute sehr schlecht besucht werden. In Weißensee z. B. beträgt der Besuch nur etwa 10 % der eingeladenen Haus- und Straßenvertrauensleute. Als Grund wird angegeben, daß des öfteren ein großer Teil der Referenten ausfällt und dem Bezirksamt nicht immer genügend Ersatzreferenten zur Verfügung stehen, so mußte z. B. der Leiter der Abt. Ehrenämter in Weißensee an einem Abend auf 3 Versammlungen sprechen.
     Im Bezirk Weißensee sollen jetzt immer

je 2 Angestellte des Bezirksamtes die Patenschaft über einen Straßenvertrauensmann übernehmen. Außerdem wird vorgeschlagen, daß man die Haus- und Straßenvertrauensleute des öfteren als Anerkennung für ihre Arbeit an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen läßt.
     In den Seminaren der Haus- und Straßenvertrauensleute in Weißensee wird weiterhin beanstandet, daß diese Informationsabende sich ausschließlich mit politischen Themen beschäftigen und daß zu wenig Anleitung für die praktische Arbeit gegeben wird.
     (Stimmungsbericht vom 4. Februar 1952)

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In der Vorbereitung der Verwaltungskonferenz1) wurde ein Teil der Bevölkerung über die Verbindung zu den Verwaltungsstellen befragt. [...] Die Mehrheit der Bevölkerung hat es bisher noch nicht begriffen, daß es Aufgabe aller ist, an der Verbesserung der Verwaltungsarbeit teilzunehmen. Sie sind vielmehr der Meinung, daß die Verwaltungsarbeit Sache der Angestellten der Verwaltung selbst ist. Der Kontakt der Bevölkerung mit der Verwaltung tritt eigentlich nur dann auf, wenn die Bevölkerung besondere Sorgen oder Schwierigkeiten hat, die nur durch die Verwaltungen gelöst werden können. (Besonders Wohnungsfragen) [...]
Aus dem Bezirk Treptow wird mitgeteilt, daß ständig ein Teil von Hausvertrauensleu


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ten von ihrer Funktion zurücktreten. Einer der Gründe dafür ist angeblich der Mangel an Schuhen. Es sollten bereits 200 Anträge auf Schuhe vorliegen, die nicht berücksichtigt werden können. Die Fluktuation der Haus- und Straßenvertrauensleute ist im allgemeinen sehr groß, und es gelingt in vielen Fällen nicht immer, die zurückgetretenen Vertrauensleute durch neue zu ersetzen. Der Haus- und Straßenvertrauensleutekörper ist im übrigen sehr stark überaltert, weil zu dieser Funktion bisher fast ausschließlich Rentner zur Verfügung standen.
     (Stimmungsbericht vom 29. Februar 1952)

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In den Informationsabenden der verschiedensten Bezirke wurde darüber diskutiert, daß nach der neuen Meldeordnung2) sich die Zuziehenden nur beim Hauswirt oder Verwalter zu melden haben. Die Hausvertrauensleute fühlen sich übergangen, weil sie jetzt keine Einsicht mehr in die Hauslisten haben, und erwähnen, daß daraus Schwierigkeiten bei Nachfragen und Prüfungen entstehen werden.
     (Stimmungsbericht vom 5. April 1952)

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Von der Abt. Ehrenämter des Bezirkes Mitte wird mitgeteilt, daß in einem Informationsabend der Haus- und Straßenvertrauensleu

te von ca. 300 Anwesenden erklärt wurde, daß die Haus- und Straßenvertrauensleute nicht genügend von der Verwaltung herausgestellt werden. Sie haben zwar in ihrer Arbeit keine Schwierigkeiten mit den Angestellten der Verwaltung, aber die Bevölkerung zollt ihnen nicht die notwendige Anerkennung.
     (Stimmungsbericht vom 3. Mai 1952)

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Die Abt. Ehrenämter vom Prenzlauer Berg berichtet, daß in immer stärkerem Maße die ehrenamtlichen Verwaltungshelfer mit der Bitte kommen, ihnen für ihre Tätigkeit die erforderlichen Schreib- und Papiermaterialien zur Verfügung zu stellen, ohne daß die Wünsche zur Zeit berücksichtigt werden können. Besonders erwünscht sind feste Diarien und Kopierstifte.
     (Stimmungsbericht vom 15. Mai 1952)

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Die Informationsabende der ehrenamtlichen Verwaltungshelfer am 11. 6. waren im Verhältnis wieder schwach besucht. So waren von den 500 Haus- und Straßenvertrauensleuten im Bezirk Pankow nur 27 erschienen. [...] Die Abt. Ehrenämter in Pankow teilt weiter mit, daß sie eine ständige Fluktuation der Hausvertrauensleute haben. Seit einiger Zeit legen ehrenamtliche Helfer ihre


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Anmerkungen:
1 Der Magistrat führte am 26. 3. 1952 seine
3. Verwaltungskonferenz mit Staatsfunktionären und ehrenamtlichen Verwaltungshelfern durch. Oberbürgermeister Friedrich Ebert beklagte eine ungenügende Verbindung und Zusammenarbeit mit der Bevölkerung, Bürokratismus, Sitzungsunwesen (»Sitzeritis«) und »mangelhafte Planerfüllung«.
2 Der Magistrat übernahm am 24. 1. 1952 die Meldeordnung der DDR vom 6. 9. 1951, wonach alle Personen, die in Ost-Berlin wohnen bzw. sich dort aufhalten, meldepflichtig waren. Hauseigentümer und Wohnungsverwalter waren verpflichtet, die Personalausweise auf ordnungsgemäß erfolgte Anmeldung zu prüfen. Besucher bei Verwandten oder Bekannten mußten sich ebenfalls anmelden, wenn sie länger als drei Tage blieben. Am 29. 12. 1952 wurden Hausbücher eingeführt, in die die Hauseigentümer bzw. -verwalter alle im Hause wohnenden Personen und Besucher, die sich länger als drei Tage im Hause aufhielten, einzutragen hatten. Die Volkspolizei kontrollierte die Führung des Hausbuches.
3 Die DDR-Regierung erließ am 28. 6. 1952 Verordnungen über eine beträchtliche Erhöhung der Löhne und Gehälter für qualifizierte Arbeiter in den wichtigsten Industriezweigen sowie für Ingenieure, Techniker und Wissenschaftler. Kurz zuvor hatte die DDR-Regierung eine Verbesserung der Arbeits- und Gehaltsverhältnisse aller Lehrer und Erzieher verfügt.
Tätigkeit mit der Begründung nieder, sie würden von anderen Dienststellen Aufträge erhalten, ohne daß die Abt. Ehrenämter davon Kenntnis habe. Desgleichen wurden darüber Beschwerden geführt, daß die Straßenvertrauensleute bei dem Abholen der Lebensmittelkarten von der Kartenstelle mit zuviel Plakaten, Broschüren und Flugblättern belastet werden und aus diesem Grunde die Gefahr besteht, daß die Lebensmittelkarten verlorengehen können.
     (Stimmungsbericht vom 17. Juni 1952)

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Auf den Informationsabenden der ehrenamtlichen Verwaltungshelfer im Bezirk Weißensee wurde erklärt, daß die Versorgung der Intelligenz3) so großzügig ausgedehnt worden ist, daß es auch möglich sein müßte, den ehrenamtlichen Verwaltungshelfern mit der Lebensmittelkarte B entgegenzukommen.
     Im Bezirk Friedrichshain wurde auf Informationsabenden und in den Aufklärungslokalen der Nationalen Front kritisiert, daß man bei der Erhöhung der Löhne und Gehälter vergessen hat, für die Rentner etwas zu tun. Diese Maßnahme wurde hauptsächlich von den Rentnern als ungerecht empfunden. Es wurde zum Ausdruck gebracht, daß die zugebilligten Lebensmittelkarten und die ausgezahlten Renten zu einem »einigermaßen Leben« nicht ausreichen.
     (Stimmungsbericht vom 4. August 1952)


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Die Gertraudenkirche auf dem Spittelmarkt zur Zeit Friedrich Wilhelms II.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
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