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noch vielem anderen mehr. Auf dem Plan sind jene Teile markiert, die auf dem insgesamt 12 Hektar großen Gelände schon rekonstruiert werden konnten.

Tonscherben ließen auf eine alte Siedlung schließen

Am Anfang der Geschichte des Museumsdorfes Düppel steht also eine archäologisch bezeugte Siedlung aus der Zeit um 1200.
     Erste Vermutungen dafür gab es bereits vor dem Zweiten Weltkrieg. Der Zufall hatte dann seine Hand im Spiel, als der 14jährige Horst Trzeciak während des Krieges beim Suchen nach Bombensplittern auch Tonscherben und Keramiksplitter fand, die er ins Märkische Museum brachte. Untersuchungen ergaben, daß diese Stücke tatsächlich auf eine alte Siedlung hindeuteten.
     Es dauerte dann allerdings bis 1967, ehe Archäologen mit ihren Geräten auf dem zumeist noch unbebauten Gelände am »Krummen Fenn« die Arbeit aufnehmen konnten. Was sie zutage förderten, erwies sich als eine Besiedlung, die in drei Phasen abgelaufen ist. Vor der eigentlichen Dorfgründung befand sich hier in einer natürlichen Senke eine etwa 80 Meter lange und 25 Meter breite, von einer Doppelpalisade umgebene Anlage. Sie diente wohl zur Straßenkontrolle des Waren- und Personenverkehrs an einem Handelsweg, der, aus dem Süden kommend, durch das Gebiet des heutigen Grunewalds

Hans Aschenbrenner
Eintauchen ins Mittelalter ...
     In Düppel originalgetreu rekonstruiert: ein Runddorf um 1200

Wer sich für mittelalterliches Leben und Treiben interessiert, hat seit nun schon über 20 Jahren im Museumsdorf Düppel dazu Gelegenheit. Es befindet sich im Südwesten der Stadt, im Zehlendorfer Ortsteil Düppel, nur einen Steinwurf von Kleinmachnow entfernt. Unter freiem Himmel ist hier, in einer zumindest teilweise durch Wald und Wiesen geprägten Landschaft, ein Freiluftmuseum geschaffen worden. Rückwärtig wird es vom Machnower »Krummen Fenn« begrenzt, einem heute weitgehend verlandeten See.
     Wenn die Besucher an der Clauertstraße, südlich des Königsweges, das Tor zum Museumsdorf passiert haben, tauchen sie geradewegs in mittelalterliches Dorfleben ein. Ein Plan am Eingang zeigt die ausgegrabenen Grundrisse einer Besiedlung, die genau an dieser Stelle um 1170 einsetzte und 50 bis 60 Jahre andauerte. Man sieht die Standorte einer ursprünglichen Palisadenbefestigung, von Höfen und Häusern, die sich im Halbrund um einen großen Dorfplatz ordnen, von Brunnen, Backofen, von Zäunen und


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bis nach Spandau führte. Dann kam die Zeit, in der das eigentliche Dorf existierte, das aber um oder nach 1220 wieder »wüst« geworden ist, denn seine Bewohner verließen es in Richtung auf das spätere Dorf Zehlendorf. Nach 1220 hat dann hier nur noch kurzzeitig eine Hofstelle mit einem verhältnismäßig großräumigen Gebäude bestanden. Leider gibt es keine schriftlichen Zeugnisse über diese Siedlung, so daß auch ihr alter Name unbekannt geblieben ist - der Name »Düppel« dagegen verweist auf die Erstürmung der Düppeler Schanzen im Jahre 1864 im Krieg Österreichs und Preußens gegen Dänemark. Für seinen Sieg hatte der preußische Prinz Friedrich Karl den Gutsbereich als Lehen erhalten.

Projektidee: Museum - aber auch Leben im Dorf

Während der Ausgrabungen entstand im Kreise der Beteiligten um den damaligen Berliner Landesarchäologen Adriaan von Müller die Idee, hier ein archäologisches Experimentierfeld zu schaffen und die

Die dörfliche Siedlung in ihrer zweiten Phase (1200 bis 1220); vorn der durch Teile derPalisade (Phase 1) geschützte Zugang zum Dorfplatz - rückwärtig vom »Krummen Fenn« begrenzt


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Ergebnisse den Besuchern in Form eines neuartigen Museums über das Leben im Mittelalter vorzuführen. Das Projekt fand großen Anklang und führte schließlich zur Gründung des Fördererkreises des Museumsdorfs Düppel e. V. Genau an der Stelle, wo es einstmals jene Ansiedlung von Bauern deutscher und slawischer Herkunft gegeben hatte, sollte mittelalterliches Leben wiedererstehen.
     Gerade eine Woche war nach seiner Gründung vergangen, als der Fördererkreis zu Pfingsten 1975 dieses Projekt erstmals der Öffentlichkeit bekannt machte. Es kam im sonst so beschaulichen Zehlendorf damals zu einem mittleren Verkehrschaos, denn, angelockt durch Presse, Rundfunk und Fernsehen, strömten die Berliner in Scharen herbei. Auto an Auto stand auf dem Naturparkplatz direkt an der Clauertstraße. Geduldig warteten die Besucher, um dann in großen Gruppen von fachkundigen Archäologen oder deren Mitarbeitern durch das »Museumsdorf« geführt zu werden, das noch gar keines sein konnte. Es gab nur ein Haus, einen Speicher und einen Dorfkrug. Trotzdem waren die Besucher keineswegs enttäuscht, konnten sie doch mittelalterliches Handwerk hautnah erleben. Es wurde getöpfert, geschnitzt, gebaut, gesponnen, gewebt. Nach alten Vorlagen wurden Schuhe gefertigt. Zu essen gab es Rostbratwurst, und auch Met, ein Honigwein, nach mittelalterlichen Rezepturen hergestellt, wurde kre
denzt, wenn man Glück hatte, sogar im Kuhhorn. »Bei uns müssen Sie zahlen und dürfen dafür umsonst arbeiten« - mit diesem Werbeslogan gewann der Verein allein an jenen drei Tagen 600 fördernde Mitglieder.
     Klaus Goldmann, Oberkustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin und ehrenamtlicher Chef des Fördererkreises, erinnert sich im Gespräch natürlich noch gut daran, wie es zu jener »Aktion der offenen Tür« kam: »Weil zuvor unternommene Versuche der Archäologen gescheitert waren, Sponsoren und staatliche Unterstützung für die Rekonstruktion des Dorfes im Maßstab 1:1 zu finden, sind wir mit der Haltung nun erst recht an die Berliner Bevölkerung herangetreten. Der Erfolg hat uns recht gegeben. Denn von da an ging es bergauf.
     Es änderte sich nun aber auch die Grundidee. Während ursprünglich >nur< rekonstruiert werden sollte, wie Ur-Zehlendorf einmal ausgesehen haben könnte, war jetzt die Idee des lebendigen Museums geboren, in dem auch experimentelle Archäologie betrieben wird. Die Mitglieder des Vereins - vom Handwerker bis zum Künstler, vom Professor bis zum Direktionsmitglied - wollten helfen, die Handwerkstechniken des Mittelalters in allen Bereichen zu rekonstruieren und beim Wiederaufbau des Dorfes anzuwenden. Dies zu unterstützen
wurde von den Prähistorikern des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Charlotten

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Rekonstruierte Häuser im Museumsdorf Düppel auf einer Radierung von Rüdiger Kohtz (1979)
burg gern angenommen. Eine der Aufgaben wurde es bald, den immer tiefer in die Materie eindringenden Hobbyforschern Brücken zu Experten auf den verschiedensten Gebieten zu schlagen.«

Auf der Suche nach »echten« Verbindungen zum Mittelalter

Seit jener Geburtsstunde des Museumsdorfes Düppel zu Pfingsten 1975 sind über zwei Jahrzehnte ins Land gegangen, in denen alles daran gesetzt wurde, die Fragmente

des Dorfes wieder zu rekonstruieren. Klaus Goldmann zieht im Gespräch eine Bilanz, die sich sehen lassen kann: So konnten sieben von 15 oder 16 im Grundriß ergrabenen Häusern wieder so errichtet werden, wie sie einst ausgesehen haben dürften, unmittelbar verbunden mit fast gleichgroßen Hof- und Feldgrundstücken. Die Blockhäuser hatten keine Eckpfosten, waren nur 30, 40 Quadratmeter groß, sehr spartanisch eingerichtet, ohne Schränke, Tische, gemauerten Herd. Pritschenartige Schlafstellen befanden sich nicht auf dem Hängeboden,

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sondern an den Wänden um die Feuerstelle, daneben ein Verschlag für das Jungvieh, die Türen an der Ostseite, denn die Westseite war die Wetterseite. All das können die Besucher heute sehen und somit bäuerliches Leben von einst nachempfinden.
     Holz war das Baumaterial für Häuser, die Speicher, die Brunnen und natürlich die Flechtwerkzäune. Die Düppeler verwenden bei ihren Rekonstruktionsarbeiten nur die alten Geräte, die natürlich zu großen Teilen erst nachgefertigt werden müssen. Alle Dächer sind mit Reet gedeckt, die Flechtwerkwände mit einer Mischung aus Lehm, Häcksel und Rindermist abgedichtet.
     Es gibt eine Schmiede und einen Backofen. Im Dorfe werden Spinnen und Weben, wird die Wollverarbeitung von der Schafschur bis zum fertigen Kleid vorgeführt. Man töpfert auf alte Art und brennt anschließend die Gefäße. Es werden auch Bienenvölker gehalten (für Honig und den Met!).
     Und auch das gibt es im Museumsdorf zu sehen: einen Garten, in dem vor allem Heilkräuter wachsen - Baldrian, Brennessel, Lavendel und Kamille und Gemüsepflanzen wie beispielsweise die Pastinake, ein Wurzelgemüse, das im Mittelalter zusammen mit Kohl, Bohnen und Rüben anstelle der noch nicht bekannten Kartoffel gegessen wurde. Durch Rückkreuzung wird versucht, kleinwüchsiges Vieh zu ziehen. Stolz ist man darauf, daß es gelang, ein Schwein rückzuzüchten, das dem mittelalterlichen
Weideschwein gleicht, wie es auf zeitgenössischen Abbildungen überliefert ist. Auf den Feldern sollen die Pflanzen möglichst in ihren Urformen wieder wachsen. Was in Jahrhunderten hochkultiviert wurde, soll durch Umzüchtung wieder zurückgeschraubt werden. Auch die Landschaft wird auf die historische Waldzusammensetzung hin verändert; man sieht wieder Sandbirken, Ulmen, Linden, Eichen, Hainbuchen und die märkischen Kiefern.
     Es gibt im Düppeler Museumsdorf auch eine Teerschwele. Hier arbeitet Dieter Todtenhaupt, der mich sachkundig durch das Dorf geführt hat. Stolz erzählt er von einem echten Grabungsbefund: Teer, der vor 800 Jahren, wahrscheinlich aus Kiefernholz, produziert worden ist, was wiederum, wie er sagt, den Befund der Botaniker erhärtet, daß hier einst ein Kiefern-Eichen-Mischwald vorherrschte - so etwas nennt er eine »echte« Verbindung zum Mittelalter. Schmunzelnd erzählt der 65jährige Maschinenbauingenieur, wie er während jener sagenhaften Pfingstfeiertage 1975 auf Bitten seiner Frau, die damals sofort in den Verein eingetreten ist, einen zahnlosen Alten gemimt und Wolle gezupft hat. Fünf Jahre später war er dann selbst aktiv dabei. Er und seine Frau sind im Gegensatz zur Mehrzahl der ehrenamtlich Tätigen bereits in Rente und übernehmen, wie andere Vereinsmitglieder auch, Führungen von Schulklassen, bei denen die Kinder Tätigkeiten wie

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Korn mahlen, Stechbeiteln (weiches Holz aushöhlen), einen Dreschflegel oder Heuwender bedienen, Wolle spinnen und vieles mehr praktisch erproben können.
     Augenblicklich bestehen im Museumsdorf Arbeitsgruppen für Hausbau, Feldwirtschaft, Viehzucht, Gartenbau, pflanzliche Genressourcen, Imkerei, Teerschwelen, Schmieden, Schnitzen, Töpferei, Kleidung, Wollverarbeitung, Muldenhauerei, mittelalterliche Küche, Landschaftsgestaltung sowie für Pädagogik, die Bibliothek und die Führungen. Diese Spezialisierung hat sich als großer Gewinn erwiesen, denn für die Rekonstruktion mittelalterlicher Techniken und die Nachbildung von Geräten und Kleidung aus vergangener Zeit bedurfte es eingehender Studien und Experimente. Mit wichtigen und interessanten Ergebnissen dieser Arbeit, die auch international anerkannt sind und ihren Niederschlag in über 50 Veröffentlichungen gefunden haben, können sich die Besucher in einer Ausstellung vertraut machen.
     Seit September 1995 ist das Museumsdorf Düppel Teil des Berliner Stadtmuseums und verwaltungsmäßig der Prähistorischen Abteilung des Märkischen Museums zugeordnet. Daß die Kosten für den Unterhalt eines derartigen Freilichtmuseums beträchtlich sind, liegt auf der Hand. Dringend ist man auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen. Immer neue Sachen lassen sich die Düppeler einfallen, wollen sie doch
den Besuchern etwas Besonderes bieten. Dazu gehören landwirtschaftliche Führungen, Tage des Gartens, der Handwerker, der Wolle, der Holzteergewinnung, Markt und Erntefeste, landschaftliche Flurbegehungen, ein Museumsfest für Kinder. Für letztere eine besondere Attraktion sind an den Wochenenden Rundfahrten durch das Gelände auf einem von Ochsen gezogenen Karren.
     Der Ausflug ins Mittelalter kann in der Saison von April bis Oktober an Samstagen und Sonntagen sowie feiertags von 10.00-17.00 Uhr und jeden Donnerstag von 15.00-19.00 Uhr unternommen werden. Zu erreichen ist das Museumsdorf mit dem Bus 211 (Haltestelle Lindenthaler Allee/Ecke Clauertstraße), Bus 118 (Haltestelle Potsdamer Chaussee/Ecke Lindenthaler Allee), Bus 115 (Haltestelle Berlepschstraße/Ecke Ludwigsfelder Straße). In relativer Nähe liegen der S-Bahnhof Mexikoplatz und der U-Bahnhof Krumme Lanke. Von dort wie auch von den etwas weiter entfernten S-Bahnhöfen Zehlendorf oder Wannsee kann man per Bus zum Freilichtmuseum gelangen.

Bildquelle:
Zeichnung von A. Hofstetter - als Postkarte hrsg. vom Fördererkreis des Museumsdorfs Düppel e. V.


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
www.berlinische-monatsschrift.de