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wurden. Auch wäre die Sicht auf
Schinkels Altes Museum und die Museumsinsel versperrt worden.
Entscheidung vertagt - alles bleibt offen Die Lenkungsgruppe des »Stadtforums«, eine seit wenigen Jahren bestehende diskutierfreudige Gruppe von Politikern, Architekten, Stadtgestaltern, Kunsthistorikern und anderen Experten, möchte
sich weder für das eine noch das andere entscheiden, sondern die künftige
Gestaltung des Lustgartens offenhalten, bis geklärt
ist, wie sich die Schloßseite des Platzes entwickeln wird.
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Helmut Caspar
Hier wurden die ersten »Tartuffeln« angebaut Der Lustgarten ist über 400 Jahre alt.
Kaum ein Ort in Berlin hat sein Gesicht so oft verändert wie dieser Platz, über
dessen künftige Gestaltung derzeit heftig
diskutiert wird. So, wie sich das
steinbepflasterte Viereck jetzt bietet, soll es nicht bleiben, lautet der gemeinsame Nenner. Aber wie weiter? Denkmalpfleger und
Traditionalisten würden den Lustgarten gern als grüne Oase sehen, wie zu Kaisers Zeiten. Doch stehen dem die massiven Geldnöte des Landes Berlin entgegen.
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wirkenden Karl-Liebknecht-Straße
gefordert, die einerseits deren Verkehrsfunktion respektiert, andererseits aber den
»stadträumlichen Zusammenhang zwischen Schloßbereich und Altem Museum« verbessert.
Außerdem erscheint eine »räumliche Fassung« des Vorplatzes zum früheren Schloß sinnvoll, etwa durch die Einbeziehung archäologischer Funde, die seit 1995 von Bodendenkmalpflegern des Landesdenkmalamtes geborgen werden. Der Lustgarten hat manche Wandlung durchgemacht. Im 16. Jahrhundert auf sumpfigem, unbewohntem Terrain als kurfürstlicher Kräutergarten angelegt, war er in der Barockzeit figurenbestückte Wandelhalle und staubiger Paradeplatz, im 19. Jahrhundert Landschaftsgarten und Ort monarchistischer Heldenfeiern und im 20. Jahrhundert Versammlungsplatz und Weihnachtsmarkt sowie Ort von Kriegs- und Antikriegsdemonstrationen. Schwer wurden die wichtigsten Bauten - Schinkels Altes Museum und der Berliner Dom - im Zweiten Weltkrieg verwüstet. Während sich das 1830 eröffnete Museum äußerlich in seiner historischen Gestalt darbietet, erlebte der Dom in reduzierter und, was die Kuppel betrifft, auch ver-änderter Form seine Wiedergeburt. Verzichtet wurde auf die Rückgewinnung der Grabeskirche in Richtung Nationalgalerie. | Sommerliche Hoftafel in der Grotte
Eifrige Hofdichter verfielen regelmäßig ins Schwärmen, wenn sie das Berliner Blumen-, Kräuter- und Kartoffelfeld sahen und besangen.
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Der Lustgarten um 1880 | |||||
letztere durch ihr Springen bei der
Hitze eine schöne Kühlung gaben«.
Die zahlreichen kostbaren Figuren aus Marmor, Sandstein, vergoldeter Bronze und Blei bildeten übrigens später den Grundstock der Berliner Skulpturensammlung, während der Botanische Garten aus dem Schloß- und Kräutergarten hervorgegangen ist. | Von der Zierpflanze
zum Hauptnahrungsmittel Zu Füßen des kurfürstlichen Schlosses wurden nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) nicht nur Blumen und Bäume angepflanzt und Figuren aufgestellt, sondern auch Kartoffeln zunächst als Zierpflanzen angebaut. Als man entdeckte, daß die | ||||
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Knollen eine Delikatesse sind, brachten die Hohenzollern ihre mißtrauischen
Märker mit Zwang und kleinen Tricks dazu, die unbekannten »Tartuffeln«
anzubauen. Daß sie in der Mark Brandenburg
heimisch wurden, war verwandtschaftlichen Verbindungen des Herrscherhauses nach
Holland zu verdanken. Schon 1663 konnte man in dem Buch »Flora Marchia« Rezepte nachlesen. »Erstlich siedet man sie im Wasser mürbe, und wenn sie erkaltet, so ziehet man ihnen die außenwendige Haut ab: alsdann gießet man Wein darüber und
lasset sie mit Butter, Salz, Muskatenblumen und dergleichen Gewürz von neuem kochen: so sind sie bereit.«
Der Lustgarten wird zum Exerzierfeld Als der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. 1713 den Thron bestieg, war es aus mit der Lust auf dem Lustgarten. Er ließ das Blumenparadies einebnen. Auf dem staubigen Parade- und Exerzierfeld übten die Langen Kerls unter den Augen des Königs bis zum Umfallen. In die Grotte zogen eine Tapetenmanufaktur und die Börse, während sich Händler am Rand des Lustgartens ansiedelten. Das ehemalige Pomeranzenhaus auf dem Gelände der heutigen Nationalgalerie wurde unter Friedrich II. zum Großen Packhof umgestaltet. Dieser ließ auch als Ersatzbau für die verfallene Hofkirche | auf dem Schloßplatz den Dom nach
Plänen von Knobelsdorff durch seinen Baumeister Boumann errichten.
Im frühen 19. Jahrhundert nahm Schinkel weitere Umbauten vor. Der eher bescheidene Dom wurde einige Jahrzehnte später dem wilhelminischen Prachtbau geopfert, der, nach Plänen von Julius Raschdorff errichtet, schon zur Erbauungszeit wegen seiner Monumentalität und des üppigen Dekors heftig kritisiert wurde. Nach dem Ende der Monarchie (1918) erörterte Pläne, am Dom »Fassadenbegradigungen« vorzunehmen und auch die Kuppel zu schleifen, wurden nicht verwirklicht. Die wechselvolle Geschichte dieses Ortes ist durchaus noch zu erkennen. Es lassen sich verschiedene Gestaltungsgeschichten ausmachen - die von Schinkel und dem Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné aus dem frühen 19. Jahrhundert, die Fassung des Architekten Strack von 1871, eine weitere von 1905, als der wilhelminische Dom geweiht wurde. Die vorletzte Fassung entstand 1936. Die Nazis funktionierten den Lustgarten zum Aufmarschplatz mit dunklem Steinbelag um. Die riesige Granitschale, ein nach Ideen von Schinkel aus einem riesigen Findling, dem Markgrafenstein in den Rauenschen Bergen, gefertigtes Wunderwerk der Steinmetztechnik (1827), stand bis 1936 vor den Stufen des Alten Museums. Jetzt wurde die Schale an einen abseits gelegenen | |||||
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Platz gestellt. In der Spätzeit der
DDR schließlich wurde versucht, die von
allen Besuchern der Stadtmitte und der Museumsinsel als unangenehm empfundene Leere ein wenig aufzulockern. Die Granitschale gelangte an ihren alten Platz, und die Staatlichen Museen stellten Plastiken, darunter auch Kopien von Standbildern friderizianischer Generale, auf. Sie kamen, für Vandalen unantastbar, inzwischen
wieder ins Depot zurück.
Das Herz der Stadt schlägt in der Mitte Das Mitte des 19. Jahrhunderts aufgestellte Reiterdenkmal König Friedrich Wilhelms
III. existiert schon lange nicht mehr. Reste wurden 1987 im Schatten der Nikolaikirche aufgestellt. Gartendenkmalpfleger Klaus von Krosigk vom Berliner Landesdenkmalamt möchte wenigstens die Umrisse des Sockels sichtbar machen. Die Rückgewinnung der Strack'schen Begrünung aus Kaisers Zeiten wäre ein wirklicher Gewinn für die ansonsten ziemlich steinige
Innenstadt. Für neun Millionen Mark ließe
sich der Plan verwirklichen. Den gleichen Zweck verfolgt die Begrünung des Pariser
Platzes vor dem Brandenburger Tor und eines Teils des ebenfalls »steinreichen«
Gendarmenmarktes, für die sich Klaus von Krosigk stark gemacht hat.
| einen Lust-Garten zu verwandeln,
angesichts der leeren Landeskasse und einiger Widerstände gegen die historische Gestalt je ausgeführt wird, ist fraglich. Zu
befürchten ist, daß es nur kosmetische Verbesserungen geben wird, der Lustgarten aber über längere Zeit unwirtlich wie
bisher bleibt. Daß man mit dem prominenten
Platz nicht ruppig, sondern äußerst sensibel umgehen muß, haben inzwischen auch die Politiker begriffen. Einen lauschigen Ort allerdings wie zu kurfürstlichen oder auch zu Lennés Zeiten wird es nicht
mehr geben. Dazu hat das »Herz der Stadt« zu viel erlebt.
Bildquelle: | ||||
© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
www.berlinische-monatsschrift.de