65   Berlin im Detail Lustgarten  Nächstes Blatt
wurden. Auch wäre die Sicht auf Schinkels Altes Museum und die Museumsinsel versperrt worden.

Entscheidung vertagt - alles bleibt offen

Die Lenkungsgruppe des »Stadtforums«, eine seit wenigen Jahren bestehende diskutierfreudige Gruppe von Politikern, Architekten, Stadtgestaltern, Kunsthistorikern und anderen Experten, möchte sich weder für das eine noch das andere entscheiden, sondern die künftige Gestaltung des Lustgartens offenhalten, bis geklärt ist, wie sich die Schloßseite des Platzes entwickeln wird.
     Abgelehnt wird aber eine »Historisierung im Sinne der Rekonstruktion einer bestimmten Gestaltungsepoche«. Der Lustgarten soll nicht mehr in erster Linie als Versammlungsort betrachtet, sondern in seiner multifunktionalen Qualität gestärkt werden. An einen »Gedenkplatz« ist ebenfalls nicht gedacht.
     Der Lenkungsgruppe schweben dagegen mehr Ruhemöglichkeiten, Wasser und Beleuchtung vor. Aber auch eine Reaktivierung des hier befindlichen »Erinnerungspotentials«. Das moderne Repertoire gartenkünstlerischer, gegebenenfalls auch skulpturaler Mittel soll wirkungsvoll eingesetzt werden. Zum Schluß wird eine Auseinandersetzung mit der als Barriere

Helmut Caspar
Hier wurden die ersten »Tartuffeln« angebaut

Der Lustgarten ist über 400 Jahre alt. Kaum ein Ort in Berlin hat sein Gesicht so oft verändert wie dieser Platz, über dessen künftige Gestaltung derzeit heftig diskutiert wird. So, wie sich das steinbepflasterte Viereck jetzt bietet, soll es nicht bleiben, lautet der gemeinsame Nenner. Aber wie weiter? Denkmalpfleger und Traditionalisten würden den Lustgarten gern als grüne Oase sehen, wie zu Kaisers Zeiten. Doch stehen dem die massiven Geldnöte des Landes Berlin entgegen.
     Klar ist auch, daß die umstrittene, 18 Millionen Mark teure Abriegelung des Lustgartens an der vielbefahrenen Karl-Liebknecht-Straße nach den 1994 preisgekrönten Entwürfen des Architekten Merz nicht gebaut wird. Aufgrund heftiger Proteste kulturbewußter Berliner wurde der vom damaligen Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer favorisierte Plan fallengelassen. Vorgesehen war, lange flache Bauten an der Straße zu errichten, die nach Bekanntwerden des Plans sofort mit überdimensionalen BVG-Wartehallen verglichen


BlattanfangNächstes Blatt

   66   Berlin im Detail Lustgarten  Voriges BlattNächstes Blatt
wirkenden Karl-Liebknecht-Straße gefordert, die einerseits deren Verkehrsfunktion respektiert, andererseits aber den »stadträumlichen Zusammenhang zwischen Schloßbereich und Altem Museum« verbessert.
     Außerdem erscheint eine »räumliche Fassung« des Vorplatzes zum früheren Schloß sinnvoll, etwa durch die Einbeziehung archäologischer Funde, die seit 1995 von Bodendenkmalpflegern des Landesdenkmalamtes geborgen werden.
     Der Lustgarten hat manche Wandlung durchgemacht. Im 16. Jahrhundert auf sumpfigem, unbewohntem Terrain als kurfürstlicher Kräutergarten angelegt, war er in der Barockzeit figurenbestückte Wandelhalle und staubiger Paradeplatz, im 19. Jahrhundert Landschaftsgarten und Ort monarchistischer Heldenfeiern und im 20. Jahrhundert Versammlungsplatz und Weihnachtsmarkt sowie Ort von Kriegs- und Antikriegsdemonstrationen. Schwer wurden die wichtigsten Bauten - Schinkels Altes Museum und der Berliner Dom - im Zweiten Weltkrieg verwüstet. Während sich das 1830 eröffnete Museum äußerlich in seiner historischen Gestalt darbietet, erlebte der Dom in reduzierter und, was die Kuppel betrifft, auch ver-änderter Form seine Wiedergeburt. Verzichtet wurde auf die Rückgewinnung der Grabeskirche in Richtung Nationalgalerie.
Sommerliche Hoftafel in der Grotte

Eifrige Hofdichter verfielen regelmäßig ins Schwärmen, wenn sie das Berliner Blumen-, Kräuter- und Kartoffelfeld sahen und besangen.
      »Den Garten, den dein Vater hat
So wunderschön gebaut,
Desgleichen Babylon, die Stadt
Kaum jemals geschaut.
      Du wirst dich wundern um den Mann
Mit einem Gabelstiel,
Der Wasser von sich sprützen kann«,
heißt es in einem Widmungsgedicht an einen Prinzen. Gemeint war die wasserspendende Neptunfigur in der Mitte einer Fontäne. Die abgezirkelten Blumenrabatten kann man auf alten Karten erkennen. Höhepunkt der Anlage war das halbkreisförmige Pomeranzenhaus zur Aufbewahrung kostbarer exotischer Pflanzen in der kalten Jahreszeit. Die Orangerie barg Zitronen- und Orangenbäumchen, deren Früchte die herrschaftliche Tafel zierten.
     Im Sommer pflegte der Hof im Grottenhaus zu speisen. Für das Jahr 1700 ist überliefert, daß bei einer Fürstenhochzeit »in dem Saale über der Grotte des Schloßgartens in Berlin des abends Tafel gehalten ward, von da man den ganzen Garten und die Blumenbeete, den Stadtwall und den Spreefluß, wie auch die vielen Wasserkünste übersehen konnte, welche


BlattanfangNächstes Blatt

   67   Berlin im Detail Lustgarten  Voriges BlattNächstes Blatt
Der Lustgarten um 1880
letztere durch ihr Springen bei der Hitze eine schöne Kühlung gaben«.
     Die zahlreichen kostbaren Figuren aus Marmor, Sandstein, vergoldeter Bronze und Blei bildeten übrigens später den Grundstock der Berliner Skulpturensammlung, während der Botanische Garten aus dem Schloß- und Kräutergarten hervorgegangen ist.
Von der Zierpflanze
zum Hauptnahrungsmittel

Zu Füßen des kurfürstlichen Schlosses wurden nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) nicht nur Blumen und Bäume angepflanzt und Figuren aufgestellt, sondern auch Kartoffeln zunächst als Zierpflanzen angebaut. Als man entdeckte, daß die


BlattanfangNächstes Blatt

   68   Berlin im Detail Lustgarten  Voriges BlattNächstes Blatt
Knollen eine Delikatesse sind, brachten die Hohenzollern ihre mißtrauischen Märker mit Zwang und kleinen Tricks dazu, die unbekannten »Tartuffeln« anzubauen. Daß sie in der Mark Brandenburg heimisch wurden, war verwandtschaftlichen Verbindungen des Herrscherhauses nach Holland zu verdanken. Schon 1663 konnte man in dem Buch »Flora Marchia« Rezepte nachlesen. »Erstlich siedet man sie im Wasser mürbe, und wenn sie erkaltet, so ziehet man ihnen die außenwendige Haut ab: alsdann gießet man Wein darüber und lasset sie mit Butter, Salz, Muskatenblumen und dergleichen Gewürz von neuem kochen: so sind sie bereit.«

Der Lustgarten wird zum Exerzierfeld

Als der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. 1713 den Thron bestieg, war es aus mit der Lust auf dem Lustgarten. Er ließ das Blumenparadies einebnen. Auf dem staubigen Parade- und Exerzierfeld übten die Langen Kerls unter den Augen des Königs bis zum Umfallen. In die Grotte zogen eine Tapetenmanufaktur und die Börse, während sich Händler am Rand des Lustgartens ansiedelten. Das ehemalige Pomeranzenhaus auf dem Gelände der heutigen Nationalgalerie wurde unter Friedrich II. zum Großen Packhof umgestaltet. Dieser ließ auch als Ersatzbau für die verfallene Hofkirche

auf dem Schloßplatz den Dom nach Plänen von Knobelsdorff durch seinen Baumeister Boumann errichten.
     Im frühen 19. Jahrhundert nahm Schinkel weitere Umbauten vor. Der eher bescheidene Dom wurde einige Jahrzehnte später dem wilhelminischen Prachtbau geopfert, der, nach Plänen von Julius Raschdorff errichtet, schon zur Erbauungszeit wegen seiner Monumentalität und des üppigen Dekors heftig kritisiert wurde. Nach dem Ende der Monarchie (1918) erörterte Pläne, am Dom »Fassadenbegradigungen« vorzunehmen und auch die Kuppel zu schleifen, wurden nicht verwirklicht.
     Die wechselvolle Geschichte dieses Ortes ist durchaus noch zu erkennen. Es lassen sich verschiedene Gestaltungsgeschichten ausmachen - die von Schinkel und dem Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné aus dem frühen 19. Jahrhundert, die Fassung des Architekten Strack von 1871, eine weitere von 1905, als der wilhelminische Dom geweiht wurde. Die vorletzte Fassung entstand 1936. Die Nazis funktionierten den Lustgarten zum Aufmarschplatz mit dunklem Steinbelag um.
     Die riesige Granitschale, ein nach Ideen von Schinkel aus einem riesigen Findling, dem Markgrafenstein in den Rauenschen Bergen, gefertigtes Wunderwerk der Steinmetztechnik (1827), stand bis 1936 vor den Stufen des Alten Museums. Jetzt wurde die Schale an einen abseits gelegenen

BlattanfangNächstes Blatt

   69   Berlin im Detail Lustgarten  Voriges BlattArtikelanfang
Platz gestellt. In der Spätzeit der DDR schließlich wurde versucht, die von allen Besuchern der Stadtmitte und der Museumsinsel als unangenehm empfundene Leere ein wenig aufzulockern. Die Granitschale gelangte an ihren alten Platz, und die Staatlichen Museen stellten Plastiken, darunter auch Kopien von Standbildern friderizianischer Generale, auf. Sie kamen, für Vandalen unantastbar, inzwischen wieder ins Depot zurück.

Das Herz der Stadt schlägt in der Mitte

Das Mitte des 19. Jahrhunderts aufgestellte Reiterdenkmal König Friedrich Wilhelms III. existiert schon lange nicht mehr. Reste wurden 1987 im Schatten der Nikolaikirche aufgestellt. Gartendenkmalpfleger Klaus von Krosigk vom Berliner Landesdenkmalamt möchte wenigstens die Umrisse des Sockels sichtbar machen. Die Rückgewinnung der Strack'schen Begrünung aus Kaisers Zeiten wäre ein wirklicher Gewinn für die ansonsten ziemlich steinige Innenstadt. Für neun Millionen Mark ließe sich der Plan verwirklichen. Den gleichen Zweck verfolgt die Begrünung des Pariser Platzes vor dem Brandenburger Tor und eines Teils des ebenfalls »steinreichen« Gendarmenmarktes, für die sich Klaus von Krosigk stark gemacht hat.
     Doch ob der Plan, auch den Lustgarten in

einen Lust-Garten zu verwandeln, angesichts der leeren Landeskasse und einiger Widerstände gegen die historische Gestalt je ausgeführt wird, ist fraglich. Zu befürchten ist, daß es nur kosmetische Verbesserungen geben wird, der Lustgarten aber über längere Zeit unwirtlich wie bisher bleibt. Daß man mit dem prominenten Platz nicht ruppig, sondern äußerst sensibel umgehen muß, haben inzwischen auch die Politiker begriffen. Einen lauschigen Ort allerdings wie zu kurfürstlichen oder auch zu Lennés Zeiten wird es nicht mehr geben. Dazu hat das »Herz der Stadt« zu viel erlebt.

Bildquelle:
Max Ring: »Die deutsche Kaiserstadt Berlin und ihre Umgebung«, Leipzig 1883


BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/1996
www.berlinische-monatsschrift.de