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in Deutschland engagierten Schweizer Banken standen also vor der Frage, was tun, um den vollen Wert ihrer Guthaben zu erhalten bzw. zu vermehren. Nicht ohne Grund genießen Schweizer Bankiers Weltruf. Auch in diesem verzwickten Fall fanden sie eine Lösung.
     Wie lautete die?
Stephan A. Heuberger: Sie lautete Reinvestition der sogenannten »Sperrmarkbeträge« in Deutschland. Und zwar in Form von Grundbesitz. Im Februar 1934 gründeten deshalb die Schweizerische Bodenkreditanstalt, die Aktiengesellschaft Leu & Compagnie, beide Zürich, und die Schweizerischen Bundesbahnen die »Haus der Schweiz« GmbH. Diese erwarb das Eckgrundstück Friedrichstraße/Unter den Linden. Es bestand damals aus zwei nebeneinanderliegenden Grundstücken, auf denen abbruchreife Gebäude standen.
     Friedrichstraße/Ecke Unter den Linden, das Beste vom Besten, für Schweizer Bankiers gerade gut genug ...
     Stephan A. Heuberger: Ein glückliches Händchen hatten die Herren damals schon. Der Schweizer Architekt Meier-Appenzell erhielt sofort nach Kauf des Grundstücks den Auftrag, ein Haus zu entwerfen, das vom Charakter her zu den Linden und zur Friedrichstraße paßte. Eines, das sowohl die Besitzer als auch die Schweiz würdig repräsentiert. 1935 wurde mit dem Bau begonnen, 1937 war er vollendet. Vornehm,

In Berlin spielt die Musik

Stephan A. Heuberger, Geschäftsführer der Schweiz Tourismus Vertretung in Berlin, über das »Haus der Schweiz«

Die meisten Berliner wissen nicht so recht, wer oder was sich hinter dem »Haus der Schweiz« verbirgt. Ist das Haus so etwas wie das Goethe-Institut der Schweiz?
Stephan A. Heuberger: Nein, obwohl der Titel eine solche Annahme suggeriert. Aber sie trifft nicht zu. Das »Haus der Schweiz« ist ein reines Privatunternehmen, kein schweizerisches Kulturinstitut. Jeder, der will, kann darin ein Büro mieten. Theoretisch jedenfalls, denn das Haus ist voll vermietet.
     Namen sind eben doch Schall und Rauch ... Wem - wenn nicht der Schweiz - gehört dann das Haus?
Stephan A. Heuberger: Einer Schweizer GmbH. Im Grunde genommen hängt alles mit der bewegten deutschen Geschichte der letzten 60 Jahre zusammen. Während der Zeit des Nationalsozialismus war die Devisenwirtschaft in Deutschland so drastisch eingeschränkt, daß der Transfer von in Deutschland aufgelaufenen Guthaben ausländischer Gesellschaften nur mit enormen Kursverlusten möglich war. Die


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solide, mit einer amerikanischen Eisenkonstruktion im Inneren versehen, die damals völlig neu war. Das Haus beherbergte bis zum Kriegsende die Berliner Vertretungen der Schweizerischen Bodenkreditbank, der Bank Leu und des Schweizer Verkehrsbüros ...
     Daß Schweizer Banken in Berlin tätig waren, leuchtet ein. Aber ein Schweizer Verkehrsbüro ...
     Stephan A. Heuberger: Worüber wundern Sie sich? Die Schweiz war schon damals in Sachen Tourismus aktiv. Und zwar nach dem Motto: Wer etwas verkaufen will, der muß auch etwas dafür tun. Nämlich erstens darüber informieren, daß es diese wunderschöne Schweiz gibt. Und zweitens darüber, wo man Tickets für einen Besuch der wunderschönen Schweiz kaufen kann. Das ist der Grund, warum die Schweizer Bahnen schon sehr früh in allen wichtigen europäischen Städten ihre Verkaufsbüros hatten.
     In Paris, London, Amsterdam, Rom ...
     Und eben auch in Berlin.
     Spielte Berlin für die Schweiz eine große Rolle? Stephan A. Heuberger: Ja, Berlin ist für die Schweiz etwas ganz besonderes. In gewisser Beziehung ist die Stadt sogar wichtiger als New York oder Rom. Man darf nicht vergessen, daß viele Schweizer Schwytzer Dütsch reden. Das ist zwar kein Hochdeutsch, aber immerhin erzeugt diese Verwandtschaft eine starke emotionelle
Bindung. Zumal der Schweizer als Schriftsprache Deutsch braucht. Er kann ja nicht im Schwytzer Dütsch kommunizieren.
     Berlin hatte als Kulturzentrum immer eine große Bedeutung, zählte mehr als München oder Wien. Mit Berlin verband sich Großstadt, Weltstadt, hier wurde die Musik gemacht, in anderen Städten wurde sie nachgespielt. Diese magische Ausstrahlung besitzt Berlin bis heute.
     Wie erging es dem Haus während der Nazi-Zeit?
Stephan A. Heuberger: Rein rechnerisch gesehen gut. Der Erwerb des Grundstücks und der Bau des Hauses mit einem Gesamtaufwand von zwei Millionen Reichsmark erwies sich als attraktiv, als rentable Anlage. Bis 1938 hatte sich der Wert der Immobilie bereits verdoppelt. Der Zweite Weltkrieg machte dann allen Werterhöhungen einen Strich durch die Rechnung.
     Und beschränkte sicherlich auch die Reiseaktivitäten der Deutschen in Richtung Schweiz auf ein Minimum ...
     Stephan A. Heuberger: Ja, viel war nach Kriegsbeginn nicht mehr zu tun. Und das Wenige wurde immer weniger. Ich weiß das deshalb so genau, weil schon einmal ein Heuberger hier auf diesem Platz saß, Adolf Heuberger, mein Onkel ...
     Wann war das? Stephan A. Heuberger: Das war 1943. Und er blieb 1945 bis zum bitteren Ende.
     Lebt Ihr Onkel noch?

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Stephan A. Heuberger: Ja, er war sogar zur Wiedereröffnung des »Hauses der Schweiz« im Oktober 1993 in Berlin. Aus seinen Erzählungen weiß ich, daß nach 1943 praktisch der ganze Reiseverkehr zwischen beiden Ländern zum Erliegen gekommen war. Die Zeit in Berlin war sehr schwer. Auch für einen Schweizer. Mein Onkel war ja bei einem privaten Unternehmen angestellt, besaß also keinen diplomatischen Status. Genau wie allen anderen stand ihm nur eine einfache Ration an Nahrungsmitteln zu. Und seine Lebensmittel-Gutscheine hielten auch nur so lange, wie sie eben hielten. Hinzu kam, daß er der jüngste Mitarbeiter im Büro war. Und der Unerfahrenste.
     Die alteingesessenen Herrn des Büros lebten in einer anderen Welt, hatten längst ihren gutsituierten Bekanntenkreis, ihre Verbindungen. Und ließen sich nur selten im Büro blicken.
     Welche Erlebnisse hatte Ihr Onkel während der Kriegsjahre in Berlin, hat er Ihnen davon erzählt?
Stephan A. Heuberger: Er hat viel über seine Berliner Jahre gesprochen. Er war ja ein junger Mann damals, gerade mal Anfang zwanzig. Ständig wurde er in der Öffentlichkeit angerempelt und als Drückeberger beschimpft. Immer nach dem Motto: Warum ist der junge Herr eigentlich nicht an der Front? Daß er Schweizer war, stand ihm ja nicht im Gesicht geschrieben. Große Schwierigkeiten hatte er auch, eine Woh
nung zu finden. Eine Zeitlang wohnte er am heutigen Bundesplatz. Dann bekam er eine Bleibe irgendwo hinter Frohnau. Die Fahrerei von dort nach Berlin war ein täglicher Zirkus. Oft kam mein Onkel zu spät ins Büro, da auf der S-Bahn Stromsperre war oder Bomben die Gleisanlagen beschädigt hatten ...
     Wurde das Haus während des Krieges zerstört? Stephan A. Heuberger: Ja, gegen Kriegsende bekam es einen Treffer ab. Ob durch die Bombardierung Berlins oder während der Kämpfe um die Reichshauptstadt, ist unbekannt. Der Dachstuhl war jedenfalls völlig zerstört, das Gebäude weitgehend ausgebrannt. Die zuständigen Behörden bezifferten den Wert der Immobilie nur noch auf 580 000.- Reichsmark.
     Wieso arbeitete angesichts des Krieges überhaupt noch jemand im »Haus der Schweiz«, da doch, wie Sie sagten, der gesamte Reiseverkehr zum Erliegen gekommen war? Stephan A. Heuberger: Eine gute Frage. Aber mein Onkel war betraut worden mit der - aus Schweizer Sicht - vielleicht wichtigsten Aufgabe, die in Berlin zu vergeben war. Er organisierte ab Mitte 1944 bis in den Anfang 1945 hinein die Rückführung der Schweizer Bürger, die in der Stadt arbeiteten und lebten. Da ein Reiseverkehr mit der Eisenbahn schon nicht mehr denkbar war, wurden die Schweizer Bürger mit

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   49   Berliner Gespräche Das »Haus der Schweiz«  Voriges BlattNächstes Blatt
gelben Postreisebussen außer Landes gebracht. Die Busse sind heute übrigens immer noch gelb. Die Gelben machten sich also von der Schweiz aus auf den Weg nach Berlin, luden hier die Leute ein und fuhren zurück. Und so, wie der Kapitän als letzter das sinkende Schiff verläßt, wollte auch mein Onkel mit dem letzten Bus Berlin verlassen.
     Was ihm doch hoffentlich auch geglückt ist ...
     Stephan A. Heuberger: Leider nein, darin liegt ja die ganze Tragik. Wie in einer schlechten Komödie verpaßte mein Onkel den letzten Bus. Und das lag - natürlich - an Frohnau. Besser gesagt, an der S-Bahn, die in der Nacht wieder einmal bombardiert worden war. Und deshalb auf halber Strecke steckenblieb. Als mein Onkel endlich an der Schweizer Gesandtschaft ankam, sah er, wie der Bus gerade um die Ecke bog. Und zwar auf Nimmerwiedersehen.
     Wann war das?
Stephan A. Heuberger: Das war Anfang 1945. Ende Januar, Anfang Februar. Jedenfalls stand mein Onkel mutterseelenallein im zerstörten Berlin. Nur er und der Portier der Gesandtschaft waren von der ganzen Schweiz übriggeblieben. Die beiden verbrachten zusammen eine gute Woche in der Gesandtschaft, dann kam plötzlich aus heiterem Himmel ein verspätet eintreffender Diplomaten-Kurier mit seinem Auto. Mit dem ist mein Onkel dann zurück in die
Schweiz gefahren. Seinen Erzählungen nach war das eine sehr abenteuerliche und gefährliche Fahrt. Mehrfach mußten die beiden unter Einsatz ihres Lebens die deutschen und ausländischen Linien kreuzen. Sie wurden beschossen, konnten flüchten, mußten sich in den Wäldern verstecken ... Mit viel Glück kam mein Onkel dann nach drei Tagen an die Schweizer Grenze. Und dachte, nun würden ihm seine Landsleute um den Hals fallen. Aber das genaue Gegenteil war der Fall. Wahrscheinlich hielten sie ihn für einen Spion. Jedenfalls wurde er ziemlich rauh behandelt und immer wieder gefragt, was er denn hier wolle. Endlich wurde er durchgelassen. Aber die Odyssee war noch nicht zu Ende ... Als er mit seiner Kasse, er hatte natürlich als guter Schweizer die Kasse der Schweizerischen Bundesbahnen nicht unbeaufsichtigt in Berlin zurückgelassen, als er also nach vielen persönlichen Opfern und großem Einsatz mit der Kasse unter dem Arm im Hauptbüro in Zürich eintraf, wurde ihm gesagt: Die drei Tage, die Sie von Berlin hierher unterwegs waren, die ziehen wir Ihnen vom Urlaub ab.
     Was geschah nach dem Krieg mit dem »Haus der Schweiz«?
Stephan A. Heuberger: Die Schweizerischen Bahnen haben ihren Sitz in Berlin aufgegeben, nachdem mein Onkel gegangen war. Niemand wußte, wie es mit Deutschland politisch weitergehen würde.

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Zumindest für Schweizer Banken schienen in der sowjetischen Besatzungszone die Sterne nicht sonderlich günstig zu stehen ...
     Stephan A. Heuberger: Das ist wahr. Deshalb entschlossen sich auch die Besitzer, einer eventuellen Enteignung vorbeugend, das Haus schnell wieder aufzubauen.
     Aufgrund der damaligen Währungsverhältnisse in Deutschland war das mit rund 240 000.- Schweizer Franken relativ preiswert zu realisieren. 1953 stand das »Haus der Schweiz« bereits wieder. DDR-Instanzen wie die Deutsche Außenhandelsbank und die Sparkasse Berlin zogen ein, wurden Mieter. Da nach dem Krieg die Grund- und Bodenwerte praktisch auf das Doppelte der Vorkriegszeit gestiegen waren und die vermietbare Fläche durch den Ausbau des Dachgeschosses substantiell vergrößert worden war, schien die Rentabilität des von DDR-Behörden genutzten Objektes gesichert. Leider wurde es kurz danach unter »staatliche Verwaltung« gestellt. Als der Kalte Krieg richtig ausbrach und die Mauer gebaut wurde, gab niemand mehr einen Pfifferling auf das Berliner »Haus der Schweiz«.
     Heißt das, daß die Schweizer Banken sang- und klanglos auf ihr Berliner Vermögen verzichteten? Stephan A. Heuberger: Nein. Es fanden zahlreiche Verhandlungen mit den DDR-Behörden über Entschädigungen statt. Nur: Man konnte sich auf keinen Preis einigen.
Aus heutiger Sicht muß man als Schweizer sagen: Gott sei Dank. Durch die Wiedervereinigung fiel den Besitzern ein Erbe in den Schoß, mit dem sie gar nicht mehr gerechnet hatten. Aufgrund klarer Eigentumsverhältnisse wurde die Liegenschaft 1991 an die »Haus der Schweiz«-GmbH rückübertragen und das Haus mit großem Aufwand restauriert.
     Auch Wilhelm Tell bekam wieder seinen angestammten Platz an Berlins berühmtester Straßenecke. Wissen Sie, warum die Figur während der DDR-Zeit entfernt worden war?
Stephan A. Heuberger: Nein. Der Architekt Meier-Appenzell hatte sie 1935 entworfen. Sie stellt nicht, wie allgemein angenommen wird, Wilhelm Tell dar, sondern seinen Sohn Walther, den eigentlichen Helden der Apfelschuß-Szene. Mit dem Tell-Mythos sollte das Streben der Schweizer nach Unabhängigkeit und Freiheit symbolisiert werden. Vielleicht war das der Grund, warum die Figur, die im Kampf um Berlin etliche Blessuren davontragen hatte, zu DDR-Zeiten in den Keller mußte ...
     Im Oktober 1993 sind Sie nach Berlin gekommen, haben die Stelle Ihres Onkels eingenommen ... So, als wäre nichts gewesen. Und doch liegen 40 Jahren dazwischen. Was ist das für ein Gefühl? Stephan A. Heuberger: Das ist eine große Ehre. Auch deshalb, weil ich mir gar nicht vorstellen konnte, daß wir jemals wieder

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ein Büro in Berlin aufmachen würden. Hauptsitz unserer Firma ist Frankfurt am Main. Und es ist absolut nicht normal, zwei Büros in einem Land zu haben. Aber Deutschland ist ein Sonderfall. Weil es ein sehr großes, ein für uns sehr wichtiges Land ist. Da können Sie sich sicherlich vorstellen, daß mir mulmig wurde, als man mich fragte: »Sag mal, möchtest du nicht nach Berlin gehen?« Und das vor dem Hintergrund dessen, was mein Onkel erlebt hat.
     Haben sich auch die geschäftlichen Erwartungen, die die Schweizer Tourismus-Gesellschaft an Berlin geknüpft hat, erfüllt? Stephan A. Heuberger: Unser Vertrauen in Berlin hat sich bestätigt. Der Anteil der Reisenden aus Ostdeutschland und Berlin in die Schweiz macht ungefähr 12 Prozent aus. Und die Nachfrage ist steigend.
     Sehen Sie Berlin nur als den Ort, von dem aus Sie Geschäfte machen?
Stephan A. Heuberger: Nein. Ich kann meine Arbeit nicht erfüllen, wenn ich nicht weiß, wie die Gefühlslage in Berlin ist. Ich fahre jeden Tag mit meinem Fahrrad 12 Kilometer zur Arbeit. Nur so spürt man den Puls der Stadt. Ich gehe auch viel zu Fuß oder nehme öffentliche Verkehrsmittel, mit dem Auto kommt man ja sowieso nicht mehr vorwärts. Die Stadt ist in sich so unterschiedlich. Ich bin davon ganz fasziniert. Dabei habe ja schon einige europäische Städte kennengelernt, war glücklich
dort. Aber Berlin ist etwas Besonderes.
     Ich hoffe, daß sich die Stadt dieses gewisse Etwas bewahren kann.
     Das Gespräch führte Bernd Siegmund
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/1996
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