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Weißensee

Die ersten Trabrennen fanden am 16. und 17. Juni 1878 auf dem 110 Morgen großen Gelände des »Berliner Traberclubs« in Weißensee statt. 5 400 Mark waren in den 13 Rennen der beiden Renntage ausgesetzt, es kamen insgesamt 11 000 Zuschauer. Den Großen Preis von Berlin holte sich auf der 1300-m-Grasbahn der russische Hengst Tiger vor Ethelka und Nagard. Die russischen Traber standen damals hoch im Kurs. Der russische Zar bekundete sein Wohlwollen gegenüber den Weißenseer Rennen, indem er einen Ehrenpreis stiftete.
     Das deutsche Pferdematerial machte, was die Herkunft der Vierbeiner betraf, einen ziemlich zusammengewürfelten Eindruck. Eine Traberzucht im heutigen Sinne gab es noch nicht. Ein Rennen mit fünf oder sechs Pferden galt schon als sehr gut besetzt - ja, es war eine Sensation. An den 22 Renntagen des Jahres 1880 liefen in 110 Rennen nur 60 Pferde. Davon stammten 38 aus Rußland, acht aus Amerika und acht wurden als Inländer geführt. Auch die in 54 Rennen ungeschlagene Wunderstute Kinscem ging 1879 an den Start, errang im Silbernen Schild einen Berliner Sieg. Zu den Attraktionen am Weißen See gehörten neben dem eigentlichen Sport Trabreiten, Begegnungsfahrten und Droschkenrennen. Neueste Errungenschaft war der Totalisator - das Wetten über Buchmacher.

Dieter Busse
Berlin - einstige Traber-Metropole Europas

Die Wiege des organisierten Trabrennsports in Deutschland steht in Bayern. Dort wurde im Jahre 1873 der Zucht- und Trabrennverein Straubing als erster deutscher eingetragener Verein gegründet. Er veranstaltete ausschließlich Trabrennen. Ein Jahr später zog Hamburg nach und 1877 endlich auch die Reichshauptstadt. Das Gründungsprotokoll des »Berliner Traberclubs« gibt einen beredten Hinweis über die soziale Zusammensetzung des Klubs. Unter seinen ersten 24 Mitgliedern waren acht Kaufleute, sieben Schlächtermeister, drei Rentiers, zwei Fuhrherren, je ein Inspektor, Tierarzt, Wagenfabrikant und Stallmeister. War der Galopp- und Hindernissport im Preußen des ausgehenden 19. Jahrhunderts den »Herrenreitern« aus Adel und Militär vorbehalten, so rekrutierten sich jetzt die »Herrenfahrer« aus der prosperierenden Kaufmanns- und Händlerschicht sowie dem begüterten bürgerlichen Mittelstand.


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Kaum hatte man sich an den Totalisator gewöhnt, platzte wie eine Bombe 1881 das Totalisatorverbot über die Bahnen herein, vom Preußischen Abgeordnetenhaus sowohl über den Traber- als auch über den Galopprennsport verhängt. Das spekulative Geschäftsgebahren der »Großen Berliner Rennbahn-Aktiengesellschaft« vor allem hatte das Verbot herausgefordert. Das Totalisatorverbot galt für ganz Deutschland und dauerte fünf Jahre. Zwar hatte auch der bereits renommierte Galopprennsport unter diesem Edikt zu leiden, die Hauptlast aber traf den Trabersport. Für den »Berliner Traberclub« waren die Folgen so schwerwiegend, daß er in Liquidation ging. Am 1. Juli 1884 schloßen sich die Pforten der Rennbahn Weißensee. Ein Jahr später entstand der Verein als »Berliner Trabrennverein« neu und führte trotz der Restriktionen ein knappes Veranstaltungsprogramm durch.
     Als am 30. August 1886 der Totalisatorbetrieb wieder aufgenommen werden durfte, war das mit einer Reihe von Auflagen verbunden. Vor allem mußten sich alle Vereine, die Trabrennsport betreiben und eine Totalisatorgenehmigung erhalten wollten, der Aufsichtsorganisation des Galopprennsports, dem »Union-Club«, anschließen.
     Und die Rennregeln wurden vereinheitlicht.
     1890 entstand eine technische Kommission für den Trabrennsport, die 1892 ein Reglement veröffentlichte. Es basierte auf einem System, wonach Pferde mit besseren Renner
folgen den Pferden mit schlechteren Ergebnissen Vorgaben zukommen lassen mußten. Das war gut gedacht, führte aber oft dazu, daß Trainer ihre Pferde nicht bis an die Leistungsgrenze ausfuhren, weil jeder neue Rekord zu einer schlechteren Startmarke führte. 1912 wurde das System durch ein weniger manipulationsverdächtiges Gewinnumsatzsystem ersetzt. Es hat bis heute Gültigkeit.
     Doch nicht nur in Sachen Reglement tat sich etwas, 1888 kam auch der erste Rennkalender für die Vereine des Galopp- und Trabrennsports heraus. 1896 veröffentlichte die technische Kommission für den Traberrennsport den ersten Band des Trabergestütbuches.
     Nachdem auf den Berliner Rennbahnen wieder gewettet werden durfte, erfreute sich Weißensee einer großen Beliebtheit. 1889 konnten dort 455 000 Mark an Rennpreisen ausgeschüttet werden, beim Publikums-Rivalen Hoppegarten waren es nur 300 000. Ein neues Totalisatorverbot Anfang der 90er erschütterte den »Berliner Trabrennverein« und die Trabrennbahn schwer. Es wurde zwar 1892 wieder aufgehoben, aber die einstige Bedeutung gewann Weißensee nie wieder. 1912 löste sich der Verein auf.

Westend

Bereits am 24. November 1888 war in Gestalt der »Trabrenngesellschaft Berlin-Westend«


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in der Nähe des damaligen Reichskanzlerplatzes zwischen Reichsstraße, Bayern und Preußenallee ein Konkurrenzunternehmen zu Weißensee entstanden. In den zwanzig Jahren seines Bestehens gab die 1600-m-Bahn dem Berliner Trabrennsport neue Impulse. Diese Impulse waren vor allem mit dem Namen des Hofmarschalls Frhr. v. Buddenbrock verbunden. Ihm war die Gründung zweier wichtiger Zuchtprüfungen zu verdanken: der Jugend-Preis, ausgetragen ab 1892, und das Deutsche Traber-Derby, das seit 1895 ausgefahren wurde. Mit dem Derby sicherte sich Berlin einen deutlichen Vorsprung gegenüber Hamburg und München. Berlin wurde die deutsche Metropole des Traberrennsports.
     1908 mußte die »Trabrenngesellschaft Berlin-Westend« jedoch aufgeben. Das Pachtgelände wurde gekündigt und geräumt. Die führenden Männer des Vereins hatten es in den Jahren des Wohlstands versäumt, vom Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen.

Ruhleben

Nun zog die Trabrenngesellschaft nach Ruhleben, wo am 14. Mai 1909 der erste Renntag stattfand. Doch die Rennbahn an der Spree wurde vom Glück nicht verwöhnt. Im Ersten Weltkrieg diente sie als Internierungslager für Ausländer, 1943 wurde sie in den Komplex der Deutschen Werke eingereiht. Die Bombenangriffe auf Berlin verwandelten die

Derbybahn in ein Trümmerfeld. Versuche, die einst modernste Trabrennbahn Deutschlands nach dem Krieg wieder aufzubauen, schlugen fehl. Sonderveranstaltungen der französischen Besatzungsmacht und andere Hilfsaktionen konnten den Konkurs nicht aufhalten. Der Senat von Berlin ließ auf dem ehemaligen Renngelände ein Klärwerk bauen. 1951 fand in Ruhleben der letzte Renntag statt.

Mariendorf

Das Ende der Weißenseer Rennbahn im Jahre 1912 bedeutete faktisch die Geburt der Mariendorfer Bahn. Feierlich wurde sie am 9. April 1913 eingeweiht. Von Anfang an mußte sie schwer um ihre Existenz kämpfen. Der »Renn-Klub« ging bankrott, an seiner Stelle wurde der »Trabrenn-Verein« gegründet. Mit dem Verleger Bruno Cassirer und seinem engagierten 21jährigen Wirken als Vorsitzender des Trabrennvereins Mariendorf gelangte die Rennbahn und damit der Berliner Trabrennsport zu neuem Ansehen. Ihm ist es namentlich zu danken, daß die Existenz der Mariendorfer Bahn über den Ersten Weltkrieg hinaus gerettet wurde.
     Abgesehen von drastischen Einschränkungen hatte der deutsche Trabrennsport in der Gesamtheit seiner Institutionen und seines Pferdebestandes den Krieg erstaunlich gut überstanden. Als 1920 in Berlin die »Oberste Behörde für Traber-Zucht und -


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Rennen« gegründet wurde, die die Aufgaben des ehemaligen »Union-Clubs«, der sich 1918 aufgelöst hatte, übernahm, konsolidierte sich die Organisationsstruktur des deutschen Traberrennsports schnell. Intensive eigene Zucht sowie der Import und die Zucht vor allem mit amerikanischen Stuten und Hengsten führte Deutschland bis zum Zweiten Weltkrieg an die Spitze des europäischen Trabrennsports.
     Einen mächtigen Auftrieb brachte das 1921 wiederbegründete Matadoren-Rennen. Den Preis von 15 000 Mark - damals eine sensationelle Prämie - erlief sich die amerikanische Stute Blue Bell aus dem in Deutschland führenden Gestüt Mariahall in Frankfurt am Main. Übrigens siegte Bruno Cassirer - in der traditionell weißen Jacke mit den gelben Ärmeln im Sulky sitzend - siebenmal im Mariendorfer Matadoren-Rennen.
     Nach dem Zweiten Weltkrieg war Mariendorf von den alten Zuchtgebieten in der Mark abgeschnitten, mußte zudem auf viele seiner besten Traberzüchter wie Charlie Mills, Arthur Zeiler oder Emil Perks verzichten.

Karlshorst

Die sowjetischen Militärbehörden genehmigten zum 1. Juli 1945 die erste Veranstaltung von Trabrennen auf dem Geläuf der ehemaligen Hindernisbahn in Karlshorst,

die 1913, etwa zeitgleich mit der Rennbahn Mariendorf, eröffnet worden war. Von freiwilligen Helfern war das Karlshorster Gelände renoviert, instandgesetzt und als Trabrennbahn ausgebaut worden. In den ersten Nachkriegsjahren erfreute sie sich bei Ost- und Westberlinern eines enormen Zuspruchs. Auch die Trainer und Besitzer aus den Westsektoren, deren Pferde oft auf abenteuerlichen Wegen in den Osten gelangten, kamen gern nach Karlshorst. Nachdem in Mariendorf und im übrigen Deutschland der Rennbetrieb wieder aufgenommen worden war, ließ der Westberliner Zuspruch nach. Bis zum Mauerbau 1961 jedoch gingen Westberliner Traber in Karlshorst und Ostberliner Fahrer in Mariendorf an den Start. Auch Stars wie Hans Frömming und Charlie Mills haben dort Rennen gefahren und gewonnen. So gab der berühmte Permit mit Walter Heitmann ein Gastspiel auf der Karlshorster Bahn, die mit 1 600 Metern Länge und nur einer kurzen Geraden nicht zu den schnellsten zählt.
     Nach der Wende verhinderten ungeklärte Eigentumsverhältnisse längst notwendige Investitionen.
     Auf sportlichem Gebiet haben der deutsche Trabersport und Berlin die europäische Vormachtstellung aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder einnehmen können.
     
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/1996
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