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Hans-Heinrich Müller
»Der Mann gehört
der ganzen Welt«

Goethe über Albrecht Daniel Thaer, den Begründer der Landwirtschaft als Wissenschaft

Das Jahr 1804 war ein Schicksalsjahr für den bekannten Arzt und berühmten Landwirtschaftsreformer Albrecht Daniel Thaer in Celle, der in dieser Stadt am 14. Mai 1752 das Licht der Welt erblickt hatte. Der preußische Minister und spätere Staatskanzler Karl August von Hardenberg (1750-1822), der Thaer aus seiner Studienzeit in Göttingen kannte, hatte ihn wissen lassen, daß ihm sehr erwünscht sei, »wenn ich Sie dem preußischen Staat erwerben könnte. Eröffnen Sie mir freimütig Ihre Wünsche und die Bedingungen, die Sie verlangen würden«. 1) Thaer hatte in Celle 1802 die erste hochschulähnliche und zukunftsweisende landwirtschaftliche Bildungsanstalt geschaffen und war mit seiner »Einleitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft« (1798-1804) bereits in aller Munde. Handelte es sich doch um ein Werk, das manchen Lesern wie »ein leitendes Gestirn am Horizont«²
erschien und seinem Verfasser die Befriedigung gewährte, »das Nachdenken besserer

Albrecht Daniel Thaer
Köpfe über Landwirtschaft geweckt und zu energischer Tätigkeit angeregt zu haben«. 2)

Mit ihm zog sein
Lehrinstitut von Celle nach Möglin

Thaer folgte dem Ruf Hardenbergs und wählte 1804 Preußen als neue Heimstatt, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Besetzung Hannovers durch die Franzosen als Folge des Krieges zwischen Frankreich und England. Er folgte dem Ruf um so lieber, als ihm der preußische König schon 1801 die


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Goldene Medaille der Akademie der Wissenschaften verliehen und die preußischen Behörden fast alle seine Bedingungen der Übersiedlung akzeptiert hatten. Er erwarb das 300 Hektar große Rittergut Möglin bei Bad Freienwalde und verlegte hierher sein Celler Lehrinstitut, um seine »Gemeinnützigen Arbeiten für die Verbesserung der Landwirtschaft, welche künftig vorzüglich die Landeskultur in den preußischen Staaten bezwecken, fortzusetzen«. 3) Er war damit zugleich in den preußischen Staatsdienst getreten, wurde zum Geheimen Rat ernannt, zum Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften und 1810 als außerordentlicher Professor der Kameralwissenschaften (Volkswirtschafts-, Steuer- und Verwaltungslehre) an die Berliner Universität berufen, während er seinen Arztberuf endgültig aufgab. Es begann die erfolgreichste und fruchtbarste Periode in seinem Schaffen, und bei seinem Tode am 26. Oktober 1828 waren die Agrarwissenschaften in Deutschland als eigenständige Wissenschaftsdisziplin etabliert. 4)
     In Möglin verfaßte er die »Grundsätze der rationellen Landwirtschaft« (1809-1812), die den Ruhm Thaers in viele Länder trugen und als die klassischste aller agronomischen Arbeiten anerkannt werden sollten, und

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   37   Probleme/Projekte/Prozesse Albrecht Daniel Thaer  Voriges BlattNächstes Blatt
den »Leitfaden der allgemeinen landwirtschaftlichen Gewerbskunde« (1815), die erste konzentriert geschriebene landwirtschaftliche Betriebslehre. Außerdem gab er landwirtschaftliche Zeitschriften heraus.
     Das Leitmotiv all seiner Werke ist der gewinnbringende Zweck der Landwirtschaft. Unmißverständlich gab er zu verstehen: »Die Landwirtschaft ist ein Gewerbe. Der Zweck der Landwirtschaft ist also nicht, die möglichst höchste Produktion aus dem Boden zu erzielen, sondern den möglichst höchsten Gewinn daraus zu erhalten.« 5) Eine klare, einfache, dennoch wirkungsvolle Definition, wie sie deutschen Landwirten
sie war für den Reformer und Aufklärer Thaer eine vernünftig organisierte, wissenschaftlich berechnete und gelenkte Agrarproduktion, die ziemlich gründlich mit den idealisierenden und romantisierenden Vorstellungen vom feudalen Landwirtschaftsbetrieb aufräumte und dazu beitrug, die feudalen Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft zurückzudrängen und die Einführung kapitalistischer Wirtschaftsmethoden und das Voranschreiten neuer Produktivkräfte zu fördern.
     Thaer befaßte sich in Theorie und Praxis mit Bodenkunde, Düngerlehre, Acker und Pflanzenbau, mit Melioration, Taxation,
bisher noch nie zu Ohren gekommen war. »Rationale Landwirtschaft« war nichts anderes als der wissenschaftliche Ausdruck für die kapitalistische Produktionsweise,

Das von Thaer durch Kreuzung gezüchtete Schaf


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Separation, Flurneuordnung, Betriebsorganisation und Tierhaltung, er überblickte noch die gesamte Landwirtschaft. Ökonomie und Pflanzenbau - das sind jene Gebiete, die in Thaers unvergänglichem Lebenswerk vorrangig behandelt werden. Wenig hat Thaer über die allgemeine Tierzucht veröffentlicht. Aber er war der erste deutsche Agrarwissenschaftler, der die damals gewonnenen Erkenntnisse zu allgemeinen Thesen zusammenfaßte, insbesondere hat er die Verfahren der Reinzucht und der Veredlungskreuzung in einer Weise dargeboten, daß sie jahrzehntelang den Züchtern als beispielhaft galten. Der Wollmarktkönig
vom Alexanderplatz

Nirgends hat Thaer die Züchtungsmethoden meisterlicher gehandhabt als in der Schafzucht. Während der verheerenden Getreidekrise zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Rettungsanker der deutschen Landwirtschaft geworden, erlebte die Schafhaltung bis über die Jahrhundertmitte einen unerhörten Aufstieg. Thaer kreuzte planmäßig die einheimischen Landrassen mit sächsischen und französischen Merinos und betrieb eine strenge Selektierung der impor


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Thaerdenkmal in der Invalidenstraße 262 (Bezirks Mitte), auf der linken Seite ein Ausschnitt aus dem Sockelrelief


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tierten kostspieligen Merinos. Durch seine Zuchtexperimente und die im »Handbuch der feinwolligen Schafzucht« (1811) und in späteren Publikationen beschriebenen und an der Universität und in der Akademie der Wissenschaften erläuterten Methoden der Reinzucht, Verdrängungskreuzung, Kombinationszüchtung und Haltung der Tiere avancierte Thaer zu einem der bedeutendsten Schafzüchter in Europa. Er schuf die Voraussetzungen für jene hervorragende Qualität der deutschen und preußischen Wolle, die so viele ausländische Käufer auf deutsche Märkte zog. Im Verein mit anderen Züchtern hob er sie derartig, daß sich die feinen deutschen Wollen jahrzehntelang auf dem internationalen Londoner Wollmarkt behaupten konnten und die Händler höchste Preise zahlten, bis zu 200 Taler pro 50 kg.
     Thaer selbst, Besitzer einer Herde von etwa 1 000 Tieren, hatte auf dem Berliner Wollmarkt, abgehalten auf dem Alexanderplatz, auch Ochsenmarkt genannt, seine größten geschäftlichen Erfolge errungen und hier sein Ansehen als bedeutender Schafzüchter gefestigt. Bereits 1815 und 1816 wurde seine Wolle auf dem Berliner Wollmarkt, der wohl größte Umschlagplatz preußischer Wollen, anerkannt. 1817 schrieb er an seine Frau: »Für mich ist der diesmalige Wollmarkt zwar nicht der pekuniär beste, aber der gloriöseste, den ich erlebt habe. Meine Wolle ist zwanzig Prozent geringer verkauft als im vorigen Jahr, aber um zwan
zig Prozent höher als irgendeine Wolle hier und in ganz Deutschland verkauft ist und werden wird. Unter allen Wollhändlern und allen Wollproduzenten ist es ganz entschieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe komme, viel weniger ihr an die Seite zu setzen sei. Dies ist so das Tagesgespräch geworden und so über das Gemeine hinweggehoben, daß ich auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt an, daß ich das Außerordentliche errungen, worauf kein anderer Anspruch machen kann. >Solche Wolle, sagt man, kann man erzeugen, denn Möglin hat sie erzeugt.< Wenn ich auf den Markt komme, so steht alles mit dem Hut in der Hand. Ich heiße bereits der Wollmarktskönig!« 6)
     Bereits 1816 regte er den Berliner »Verein zur Veredlung der Wolle« an, dessen Vorsitz er innehatte. Zweck des Vereins war, »durch Mitteilung von Kenntnissen und Erfahrungen durch gemeinschaftliches Wirken die Veredlung der Wolle und den höheren Ertrag der Schafzucht zu befördern«. 7) Mitglieder waren Züchter, Wollhändler und Wollfabrikanten, die Thaer zum Beitritt aufgefordert hatte, um sich gegenseitig besser kennenzulernen. Vor allem Wollfabrikanten erkannten und nutzten im Verein die Möglichkeiten, den Schafzüchtern ihre Wünsche und Forderungen im Interesse einer guten Tuchherstellung anzutragen.
     Albrecht Thaer, der Mögliner »Schäfer par excellence«, der das »geniale Operieren mit

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   41   Probleme/Projekte/Prozesse Albrecht Daniel Thaer  Voriges BlattArtikelanfang
der Natur« beherrschte, um Theodor Fontane zu zitieren, 8) Generalintendant der königlichen Stammschäfereien, schuf mit dem Export von 50 Muttertieren nach Australien den Grundstock der dortigen Merinozucht. Später wuchs diese zur bedrohlichen Konkurrenz der deutschen und europäischen Schafhaltung heran. Thaer war ein Landwirt, der am Schreibtisch ebenso tätig war wie auf dem Feld und im Stall - sein Name wurde von den Zeit- und Fachgenossen regelrecht mit der deutschen Landwirtschaft identifiziert.
     Als Albrecht Thaer sein fünfzigstes Doktorjubiläum in Bad Freienwalde beging, übersandte der Dichterfürst aus Weimar, Johann Wolfgang von Goethe, dem großen Landwirt 1824 ein Gedicht, das er an den überbringenden Komponisten und Direktor der Berliner Singakademie, Carl Friedrich Zelter, mit den Worten sandte: »Möge Dich dieses Lied, von einer großen Zahl Landwirte bei Tafel zu singen, zu einer heiteren Komposition anregen: es ist ein Fest, das nicht wieder kommt, und ich wünschte, daß unsere beiden Namen hier zu gleicher Zeit ausgesprochen würden. Der Mann gehört zuerst Preußen an, sodann aber auch der ganzen Welt, sein Ruf und Ruhm sind gründlich, und so darf man denn wohl etwas unternehmen, um sich mit ihm und den Seinigen zu erfreuen.« 9)

Quellen:
1 Zit. nach: E. Woermann: Albrecht Daniel Thaer (1752-1828), In: Große Landwirte, hrsg. von G. Franz/H. Haushofer, Frankfurt am Main 1970,
S. 65 f.
2 Ebenda
3 Ebenda, S. 66
4 Vgl. V. Klemm/G. Meyer: Albrecht Daniel Thaer. Pionier der Landwirtschaftswissenschaft in Deutschland, Halle 1968
5 A. D. Thaer: Grundsätze der rationellen Landwirtschaft, Bd. 1, Berlin 1809, S. 1
6 Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 2; Das Oderland, Augsburg 1993, S. 115
7 A. Glemann: Der Einfluß Albrecht Daniel Thaers auf die Entwicklung der Schafzucht in Deutschland, In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, math.-nat. Reihe,
H. 1, 1978, S. 96
8 Theodor Fontane, a. a. O., S. 95
9 Goethes Werke, hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar, I. Abt., Bd. 4,
S. 40 f.

Bildquellen: Archiv Autor


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/1996
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