79 Novitäten | Erster Verrieselungsversuch |
Hainer Weißpflug
4. Juli 1871: Versuch zur Abwasserverrieselung Der Versuch fand zu einer Zeit statt, als der Berliner Magistrat eine Lösung für das
leidige Abwasserproblem suchte. Damals wurde das gesamte Abwasser und aller andere Unrat über die Rinnsteine vor den
Häusern entsorgt, bzw. erfolgte dies über
Abtrittsgruben auf den Höfen der Häuser, deren
Inhalt sehr unregelmäßig nachts in offenen
Wagen weggeschafft wurde. Die über die
Rinnsteine entsorgten Abwässer gelangten über 25 Ausmündungen in die Spree, 17 in den Schleusenkanal, 13 in den Königsgraben, 28 in den Grünen Graben (Festungsgraben) und zwei in den Landwehrkanal.
Neben dem unerträglichen pestilenzialischen
Gestank, der über der Stadt schwebte,
belastete dieses Übel vor allem die Gesundheit
der Berliner; Choleraepidemien, Typhus und andere Seuchen grassierten. Die Spree,
ihre Nebenflüsse und Kanäle wurden im
Stadtgebiet zu Abwasserkanälen umfunktioniert.
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die in Kanälen gesammelten Abwässer
bei Charlottenburg in die Spree zu leiten, wurde nach heftigen Auseinandersetzungen
abgelehnt. Magistrat und Stadtverordnetenversammlung setzten 1867 eine
»Deputation« unter Leitung von Rudolf Virchow ein, um eine bessere Lösung des Problems zu suchen. »Nachdem die Einfuhr des Schmutzwassers der Stadt in die Spree, mag es
die menschlichen Exkremente enthalten oder nicht, als unzulässig erkannt ist, und
nachdem eine so vollständige Desinfektion desselben, dass der Abfluss von den
Sedimenten als ganz unschädlich angesehen
werden könnte, sich als chemisch und finanziell unausführbar erwiesen hat, so bleibt
nichts weiter übrig, als dieses Schmutzwasser durch Dampfkraft auf die Felder der
weiteren Umgebung zu treiben ...«, heißt es
bei Albu Isidor in »Die öffentliche
Gesundheitspflege in Berlin« (1877).
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Die Abbildung zeigt die Radialsysteme (I-IV für die Innenstadt, II A, III B, C, D, E, F, VG für die Außenbezirke), die Pumpstationen und Kanäle, über die das Abwasser auf die Rieselfelder geleitet wurde. | ||||||
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»Daraus folgt aber, dass auf unserem
alluvialen Sandboden überhaupt auf ein
Abfließen gereinigten Wassers nicht wird
gerechnet werden können, dass vielmehr alles
Rieselwasser in den Boden eindringen wird, falls man es nicht im Übermass zuführt.«
(Ebenda) Damit war eine wichtige Frage der Entsorgung der Berliner Abwässer geklärt.
Es konnte auf Felder in der Umgebung der Stadt geleitet werden und dort
versickern, wobei die Reinigung im Boden durch Zurückhaltung der Schadstoffe erfolgte.
Zwei Jahre später entschied sich der Magistrat auf Empfehlung der von Virchow geleiteten Deputation für den von Baurat James Hobrecht erarbeiteten Entwässerungsplan für Berlin. Er sah vor, die Stadtfläche in zwölf Einzelgebiete (Radialsysteme) aufzuteilen, wobei die Entwässerung über ein ausgebautes unterirdisches Kanalisationssystem und über Pumpwerke erfolgte. Auf Flächen, die in ausreichender Entfernung vom Stadtgebiet lagen, wurden die Abwässer verrieselt und die darin enthaltenen Nährstoffe landwirtschaftlich genutzt. Versuche stellten die Effektivität dieses Systems unter Beweis, und 1907 wurde das zwölfte Radialsystem in Betrieb genommen. Damals besaß Berlin die modernste und leistungsfähigste Abwasserbehandlungsanlage auf dem europäischen Festland. Bildquelle: | |||||
Eisenbahn diese Straße schneidet, und
hier ist auch die Ausflussöffnung der
Zuleitungsrohre angelegt« (ebenda). Der Boden
war überaus mager, bestand zu großen Teilen aus Dünensanden und besaß so eine
hohe Wasseraufnahmefähigkeit. Berlin hatte
zur Lösung seiner Abwasserprobleme Londoner Erfahrungen mit der Verrieselung
studiert. Bei allen englischen Rieselfeldern wurde der Reinigungseffekt dadurch erreicht,
daß das Abwasser über ein Gefälle der Felder abfloß und dabei die Ballaststoffe
zurückgehalten wurden. Auf dem Berliner
Versuchsfeld fand das Entgegengesetzte statt, denn das Wasser versickerte vollständig im
Boden. »Vom 24. Mai bis 1. Dezember 1870
gelangten 1 312 096 Cubikfuss, also
durchschnittlich täglich ... 16 198 Cubikfuss Kanalwasser
auf das Feld. Die benutzte Fläche hatte noch nicht die Größe von 5 Morgen.« (Ebenda)
Am 4. Juli 1871 ließ Prof. Müller einen besonderen Versuch durchführen, der Aufschluß geben sollte über das Fließbzw. Sickerverhalten des Abwassers, wenn es über eine stark bewachsene Grasfläche geleitet wird. Man hatte eine entsprechende Fläche planiert, mit Lehm verdichtet und mit Gras eingesät. Nachdem sich das Gras üppig entwickelt hatte, wurde eine reichliche Menge Abwasser darüber geleitet. Der Versuch zeigte, daß auch bei starker Bewachsung der größte Teil des Abwassers vom alluvialen Sandboden, der in Berlin und Umgebung überall anzutreffen ist, absorbiert wird. | |||||
© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/1996
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