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Heidrun Pomrehn
Geschichte eines Sportbootes - kein gewöhnlicher Kajak

Zum Bestand des Sportmuseums Berlin gehört ein Zweier-Kajak, der eine bewegte Vergangenheit hat. Aufmerksam wurde ich auf diesen Kajak durch eine Buchveröffentlichung des Sportmuseums aus dem Jahre 1991, in der er als »Papierboot P 8588« vorgestellt wurde.1)
     Mitarbeiter des Sportmuseums bestätigen, daß sie diesen Kajak und einen zweiten der gleichen Bauart, teilweise zerlegt, im Jahre 1987 in ihr Depot übernommen haben. Diese Boote seien aufgrund ihrer Einmaligkeit von sporthistorischem Wert. Eng mit deren Geschichte verbunden sind Fritz

Bredow, Karlheinz Tomaschewsky, Kurt Salzberg, Werner Philipp und viele Kinder, die Anfang der 50er Jahre Schüler in Lichtenberg, Pankow und Köpenick waren.
     Herr Prof. Tomaschewsky berichtet mir folgendes: Der Besuch der Ausstellung: »40 Jahre - Sport frei!« (September-November 1988) am Fernsehturm war für ihn und seine Frau ein besonders freudiges Erlebnis. Sie entdeckten unter den Exponaten der Ausstellung das Boot, mit dem sie von Grünau aus seit 1952 drei Jahre lang ihre Familientouren über die Berliner Gewässer unternommen hatten.2) Karlheinz Tomaschewsky war im Jahre 1951 Aspirant und Geschichtslehrer an der 19. Schule in Pankow. Der Direktor war Kurt Salzberg. Die Lehrer suchten nach einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung für die Schüler der 5. bis 8. Klassen.
     Im Berliner Zentralhaus der Jungen Pioniere hat in dieser Zeit der als »Bastelfritze« bekannte Fritz Bredow Jungen

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Bootsrumpf.
     Bauplan Nr. 2, M 1:10, gezeichnet von Werner Briese nach dem Entwurf von Fritz Bredow. 82x58,5 cm.

Bildquelle:
Bredow, Fritz: Wir bauen
einen Zweier-Kajak, Berlin 1954

und Mädchen beim Bau eines eigenen Bootes angeleitet. Sie benutzten Leistenabfälle zum Bau eines Holzgerippes, auf das Graupappe in der Dicke von 1 mm genagelt wurde. Zur Abdichtung wurde der Bootsrumpf, es handelte sich um ein 4,50 m langes Paddelboot der Kajakform, mit Streifen von Zeitungspapier in mehreren Schichten beklebt. Dann wurde das Ganze sorgfältig lackiert. Mit diesem Boot machten die Kinder auf der Spree ihre ersten Fahrten. Fritz Bredow schrieb darüber in der Zeitschrift »Wassersport«.
     Die Idee dieses ungewöhnlichen Bootsbaus war schon in den 20er und 30er Jahren von wenig begüterten Wassersportbegeisterten verwirklicht wor
den. Sie wurde gewissermaßen über Fritz Bredow an die Schüler und Lehrer der Friedrich -List -Schule weitergereicht.
     Diese waren begeistert. Sie legten im Frühjahr 1951 sechs Boote auf dem Dachboden ihrer Schule auf Kiel, begannen mit der Arbeit und planten schon ihre erste Wanderfahrt auf dem Gubitzsee. Trotz aller Anstrengungen konnten nicht alle Boote fertiggestellt werden, das Interesse der Kinder erlosch allmählich, die Wanderfahrt fand nicht statt.
     Herr Tomaschewsky erzählt, daß er sich mit anderen Lehrern beim Bootsbau sehr eingesetzt hat, so daß schließlich drei Boote fertig wurden. Er zeigt mir eine Bescheinigung der

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Schule vom Juli 1952, die es ihm erlaubte, ein Boot privat zu nutzen. Bestand von seiner Seite kein Bedarf mehr, mußte er das Boot zurückgeben. Es trägt die Registrier-Nr. P 8588. Wahrscheinlich ist, daß die anderen beiden Boote auch benutzt wurden, z. B. eines von Direktor Salzberg. Ich schaue ein Foto an: Der Zweier-Kajak liegt im Wasser der Dahme, er hat sich unter der Pflege von Herrn Tomaschewsky drei Jahre lang auf den Berliner Gewässern bewährt. Problematisch waren aber Transporte. Erhielt die Lackschicht einen Sprung, so weichte das eindringende Wasser die Zeitungsschichten auf. Solcherart Lecks waren mit Gummiteilen und Kleber schnell zu beheben. Schließlich wurde das Boot an die Schule zurückgegeben. Über den weiteren Verbleib konnte ich nichts erfahren.
     Im Besitz von Herrn Tomaschewsky ist ein im Jahre 1954 im Kinderbuchverlag Berlin
erschienenes kleines Buch: »Wir bauen einen
Zweier-Kajak«, Autor: Fritz Bredow. Es hatte eine Auflage
von 5000 Exemplaren. Auf dem
Buchdeckel ist der Kajak P 8588 zu erkennen.
     Das Buch wandte sich an Arbeitsgemeinschaften und Schüler und ermunterte sie, sich ein Boot selbst zu bauen. Es enthielt detaillierte Baupläne und -anleitungen.
     Auch für Herrn Salzberg brachte die Vorbereitung der Ausstellung 1988 Erinnerungen an die 50er Jahre. Er antwortete auf einen Beitrag im »Neuen Deutschland« vom 26. 11. 1987 »Papier-Paddelboot aus dem >Schlaf< geweckt. Der Fund des Köpenicker Wassersportlers Werner Philipp«. In dem Artikel blieb offen, wer die Erbauer des Bootes waren. Herr Salzberg berichtete, daß unter seiner Regie als damaliger Direktor der 19. Oberschule vier dieser Boote angefertigt wurden. Ein Gemeinschaftswerk von Lehrern und über 100 Schülern in einer Bauzeit von einem dreiviertel Jahr. Zwei Boote wurden von Werner Philipp gefunden. Die anderen beiden seien frühzeitig verschlissen, hieß es. Die beiden »aktiven« Boote seien mehrere Jahre im »Dienst« gewesen und von Lehrern und
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/1996
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