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Festes kamen. Ein fröhlicher, bunter Schiffskorso nämlich brachte sie hin.
     Die Anfänge des Köpenicker Festes gehen auf das Jahr 1451 zurück. Bis Ende des 16. Jahrhunderts ging es allerdings weniger lustig zu. Vielmehr war man bestrebt, in einer feierlichen Zeremonie den Besitz an Grund und Boden, an den der Status eines mit dem Bürgerrecht versehenen Städtebürgers gebunden war, zu sichern, Eigentumsverletzungen zu korrigieren bzw. zu bestrafen sowie neue Bürger in die Ordnung der Stadt einzuführen.
     Grenzenzüge wurden alle zwei Jahre durchgeführt. Köpenick entsandte in Vorbereitung des Festes Ratsboten in alle an Köpenick grenzenden Gemeinden mit der Bitte, einen geeigneten Termin vorzuschlagen. Aus den Vorschlägen bestimmte dann der Köpenicker Rat den genauen Zeitpunkt des Festes. Am Morgen des Grenzenzuges versammelten sich die Bürger, mit Spaten versehen, an ihren Gemeindegrenzen. Mit Musik wurde das Fest eröffnet. Einer der Dorfschulzen stellte die Frage, warum sie geladen seien, und die rituelle Antwort lautete: Die Hügel zu erneuern, die Grenzen zu besichtigen, das Unrecht zu strafen! Beim Umzug um die Stadtgrenzen wurde dann unter Musikklängen jeder Grenzhügel mit Steinen, Glas und Scherben erneuert. Grenzverletzer wurden gerügt oder bestraft und zur Korrektur der Grenzziehung aufgefordert. Neue Besitzer wurden auf jeden Grenzhügel »gesetzt«. 1)
Ruth Kähler
Der Köpenicker Grenzenzug

Ein Fest gibt Auskunft über das Leben in einer märkischen Stadt

Ein altes Fest gibt häufig über Seiten der Geschichte Auskunft, die wir offiziellen Dokumenten wie Gesetzen, Gerichtsbeschlüssen, Kirchenchroniken oder Polizeiberichten nicht entnehmen können. So verhält es sich auch mit dem Köpenicker Grenzenzug.
     Grenzbegehungen oder Grenzenzüge sind uns aus vielen Gegenden Deutschlands bekannt. Für die Ordnung in mittelalterlichen Landen und für die Lebensbedingungen ihrer Bürger waren sichere Grenzen von Wald, Wasser und Feld von großer Bedeutung. Der ernste Akt der Grenzsicherung verband sich allerdings schon bald mit einem fröhlichen Fest, das ganz spezifische Bräuche und Rituale hervorbrachte. So auch der Köpenicker Grenzenzug. Er unterscheidet sich in zwei Aspekten von Grenzbegehungen in anderen deutschen Landen: zum einen in seiner langen Traditionslinie - immerhin geht es um 423 Jahre, in denen der Köpenicker Grenzenzug lebendig war, zum anderen in der Art, wie die Köpenicker zum Ort ihrer Grenzbegehung und ihres


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Möglicherweise ist der Anlaß für den Köpenicker Grenzenzug in einem beigelegten Streit zwischen der Stadt Köpenick und den Fischern von Kietz zu suchen, der 1451 durch das kurfürstliche Hofgericht entschieden wurde. Objekt des Streites war die Clodenitz, ein Wiesengebiet, das sich südlich vom Dämeritzsee zu beiden Seiten des Gose ner Grabens erstreckte. Es ist erst jüngst wieder unter Naturschutz gestellt worden. Die Kietzer Fischer erhielten 1451 das Recht des Fischfangs auf der Clodenitz zugesprochen, mußten jedoch dem Köpenicker Rat jedes Jahr zum Martinstag Geld, Bier und Fische darbringen, während die Köpenicker weiterhin Holz und Heu von dort befördern
Eine von Philipps Fischerhütten

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konnten. Die Grenzen zwischen den Kietzern und den Köpenickern wurden durch Grenzhügel und im Wasser versenkte Steine markiert. 2) Diese Version der Geschichte würde erklären, warum der beliebte Festplatz des Grenzenzuges bis zum Jahre 1874, dem letzten Grenzenzug, Philipps Fischerhütten war, die wir heute noch auf jeder Berlinkarte finden.
     Ein Bericht vom Köpenicker Grenzenzug gegen Ende des 18. Jahrhunderts zeigt bereits ein modifiziertes Bild des Festes. Köpenick hatte sich zu einer typischen Handwerkerstadt entwickelt. Die Handwerkerinnungen entwickelten Selbstbewußtsein, Geschlossenheit und Kraft. Neben ihrer eigentlichen Arbeit organisierten sie die Verteidigung der Stadt, sorgten für die Betreuung der Hinterbliebenen und für Geselligkeiten und Feste jeder Art. Die Handwerksmeister spielten eine große Rolle im Rat der Stadt. Nur so ist zu erklären, warum die Innungen zu den entscheidenden Trägern des Grenzenzuges wurden. Damit rückte der eigentliche Anlaß des Festes - die Grenzsicherung - mehr und mehr in den Hintergrund. Essen, Trinken, Tanzen und Singen rückten an die erste Stelle. Zum wichtigen Attribut des Festes wurde die Huldigung des Magistrats der Stadt.
     In der Regel begann der Grenzenzug damit, daß sich die bewaffneten Bürger vor Sonnenaufgang vor dem Rathaus versammelten, um die Stadtfahne einzuholen. Es
folgte eine Spreefahrt mit den Familien zu Philipps Fischerhütten, wo an langen Tafeln in einer Halle ein köstliches Mahl vorbereitet war. Die Kietzer Fischer hatten ja laut Vertrag Fische abzuliefern, und so fand man auf der Tafel Krebse, Aale, Hechte sowie Braten, Butter, Wein und Bier. Nach der Mahlzeit traten die neuen Bürger vor den an einem Grenzhügel liegenden großen Stein und erhielten vom Kietzer Schulzen sechs Schläge mit der Pritsche: für den König von Preußen, für den hochedlen Magistrat, für die Herren Stadtverordneten, für die löbliche Bürgerschaft, für die löbliche Nachbarschaft und »einen vor mi«.
     Danach wurden sie in einen besonders errichteten Stein- und Scherbenhaufen gesetzt, um sich die Grenzen einzuprägen. 3)
     Der letzte Köpenicker Grenzenzug datiert vom Jahre 1874. Das in Bernau erscheinende Niederbarnimer Kreisblatt vom 18. Juli berichtet etwas von oben herab: »Köpenick feierte am Montag das alte, aus dem städtischen Archiv wieder hervorgekramte Fest des Grenzenzuges, eine Köpenicker Auflage des Stralauer Fischzuges, welcher sich allerdings so altertümlich präsentierte, wie die ganze Stadt selber. Das große Ereignis hatte selbst dieser eintönigen Stadt ein freundliches Relief verliehen.« 4) Und tatsächlich war in Köpenick am Sonntag und Montag, 12. und 13. Juli 1874 viel los. Die Fahrt ging wiederum zu Philipps Fischerhütten. Die vierhundert geladenen Ehrengäste und

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Jungbürger erwartete eine festlich gedeckte Tafel. Doch diesmal wehrten sich die Kietzer Fischer gar heftig, für den üppigen Schmaus aufzukommen. Zumal niemand von ihnen zur Festtafel geladen war. Gegen 15 Uhr wurden den Jungbürgern die Grenzen gezeigt, und der Kietzer Schulze Linser »pritschte« im Schweiße seines Angesichts die 140 Jungbürger. »Damit waren die bewaffneten, aber nicht bezopften Herren in den Kreis der Köpenicker Bürgerschaft aufgenommen. Der Rest des Festes bestand aus allgemeinen Volksvergnügungen, Würfelbuden, Concert, Feuerwehr etc.«, schließt das Niederbarnimer Kreisblatt seinen Bericht. 5)
     Wiederum reflektiert der Verlauf des Festes wichtige Veränderungen in der Stadt. Die militärischen Rituale von Preußens Gloria sind ein bestimmendes Moment, das das ganze Fest durchzieht. Die Tatsache geladener Ehrengäste bei Schiffahrt und Tafel läßt den Schluß zu, daß primär eine städtische Oberschicht feierte und sich feiern ließ. Damit waren die alten Bräuche und Rituale der Grenzbesichtigung und Grenzsicherung endgültig ihrer unmittelbaren Funktion beraubt. Die »revidierte preußische Städteordnung« von 1853 hatte den Unterschied von Städte-«Bürgern« und Städte-«Schutzverwandten« aufgehoben. »Bürger« war, wer Steuern zahlte. So ging es schließlich beim Grenzenzug um die »Neuaufnahme« von volljährig Gewordenen und Zugezogenen. Die Tatsache einer siebenjährigen Pause seit
dem letzten Grenzenzug und dem endgültigen Ausklang des Festes im Jahre 1874 weist auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen in dieser kleinen märkischen Stadt hin. Die Einwohnerzahl wuchs schnell. Hatte Köpenick 1868 nur 1381 Einwohner, so waren es 1883 bereits 9995. Industriebetriebe waren im Entstehen. Die Innungen der Handwerker verzeichneten eine krisenhafte Situation. Viele Handwerksgesellen waren arbeitslos und gehörten mit den Proletariern zu den Ärmsten der Stadt. Die soziale Differenzierung nahm zu.
     Die lange währende Tradition des Köpenicker Grenzenzuges läßt jedoch auch darauf schließen, daß in diesem Gemeinwesen (trotz vorhandener sozialer Unterschiede) auch gemeinsame Interessen aller Einwohner gegen die Unbilden der Natur, gegen die Verwüstungen zu Kriegszeiten und gegen die unablässigen Versuche des Adels, die Rechte der Stadt zu beschneiden, von existentieller Bedeutung für die Stadt waren.

Quellen:
1 Arno Jaster: Geschichte Cöpenicks, ScheumannVerlag, Berlin-Cöpenick 1926, Seite 17
2 Hildegard Heinrich: Der Grenzenzug, In: Cöpenicker Dampfboot, Nr. 4/1990
3 Arno Jaster, ebenda, Seite 53/54
4 Niederbarnimer Kreisblatt, Nr. 55/1874 vom
18. Juli 1874, Seite 218
5 Ebenda
Bildquelle: Heimatmuseum Köpenick


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/1996
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