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Es geschah gestern in Berlin
Mai 1996

Was gestern noch Schlagzeilen machte, ist heute fast schon wieder in Vergessenheit geraten. Wir dokumentieren Berliner Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit.

1. 5.
     Der erste Abschnitt des Afrikanums - einer Freianlage für afrikanische Huftiere - wird im Tierpark Friedrichsfelde durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, eröffnet.
     Der Fernsehturm am Berliner Alexanderplatz wird nach sechsmonatigen Umbauarbeiten wiedereröffnet. 13,8 Millionen Mark kostete die dringend notwendige Verjüngungskur.

2. 5.
     Das Konsistorium der evangelischen Kirche bestätigt,
daß wegen der Finanznot der Kirche die Monatsbeiträge für die evangelischen Schulen von August an
von 70 auf 100 Mark (für das 2. Kind von 35 auf 50 Mark)
erhöht werden.
     Nach den Krawallen der »Walpurgisnacht« und des 1. Mai ziehen Polizei und Innensenator eine Bilanz. Danach wurden im Laufe der Auseinandersetzungen 221 Personen wurden festgenommen, 105 festgesetzt und 12 einem Haftrichter vorgeführt.

3. 5.
     Fünf Männer überfallen eine Elf-Tankstelle
in Hellersdorf und transportieren per Lieferwagen zwei Geldschränke ab. Neun Tage zuvor war eine Tankstelle in Pankow nach dem gleichen Muster beraubt worden.

4. 5.
     Das 33. Berliner Theatertreffen
wird mit Shakespeares »Sommernachtstraum« in der Inszenierung

von Karin Beier sowie mit Christoph Marthalers »Stunde Null« eröffnet.

5. 5.
     Die geplante Länderehe von Berlin und Brandenburg
ist gescheitert. Bei der Volksabstimmung stimmen 36,3 Prozent der Brandenburger für, 63 Prozent gegen den Zusammenschluß. In Berlin sind 53,4 Prozent dafür und 45,7 Prozent dagegen.
     Der Theaterpreis Berlin wird zum neunten Mal verliehen. Der mit 30 000 Mark dotierte Preis geht an den Ende vergangenen Jahres verstorbenen Dramatiker Heiner Müller. Dessen Witwe, Brigitte Mayer-Müller, nimmt den Preis entgegen.

6. 5.
     Ein privater Sponsor stiftet eine Skulptur
der Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt. Sie wird im nächsten Jahr am Tegeler Hafen aufgestellt werden.

8. 5.
     Eine der modernsten Kinderkliniken Europas
gibt es seit heute in Berlin. Im Rudolf-Virchow-Krankenhaus (Wedding) sind alle Anteilungen von der Neugeborenenheilkunde bis zur Psychosomatik unter einem Dach vereint.

10. 5.
     Gerd Duwner, einer der meistbeschäftigten Synchronsprecher
Deutschlands, erliegt in Berlin mit 70 Jahren einer schweren Krankheit. Er war u. a. die Stimme von Barney Geröllheimer in der Trickfilmserie »Fred Feuerstein«
Zehnjähriges Jubiläum feiert das Deutsche Herzzentrum auf dem Gelände des Städtischen Rudolf-Virchow-Krankenhauses in Wedding.

11. 5.
     Ein Fest zum Welttag des Roten Kreuzes
veranstaltet das Berliner Rote Kreuz (DRK) auf dem Alexanderplatz. Tausende Zuschauer folgten Blaulicht und


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   104   Dokumentiert Mai 1996  Voriges BlattNächstes Blatt
Martinshorn und sahen den Rettungsaktionen der Helfer zu.
     Das traditionelle »Fest auf der Bölsche« eröffnet Bezirksbürgermeister Klaus Ulbricht (Köpenick) auf dem Marktplatz in Friedrichshagen.

12. 5.
     Sechs Vietnamesen der Zigarettenmafia werden tot aufgefunden
in einer Marzahner Zweizimmerwohnung. Der Tod glich einer Hinrichtung, hieß es bei der Polizei.
     Tennis Borussia Berlin hat durch einen 2:0-Erfolg über die Reinickendorfer Füchse endgültig die Relegationsspiele um den Aufstieg in die Zweite Bundesliga erreicht.

13. 5.
     Bundeskanzler Kohl trifft sich in »privater Mission«
mit Bürgerrechtlern um Bärbel Bohley. Die Gründung des »Vereins Bürgerbüro« wird vorbereitet.
     Am früheren Grenzübergang Checkpoint Charlie wird auf einem ausgedienten DDR-Grenzturm eine rund 20 Meter hohe Nachbildung der New Yorker Freiheitsstatue installiert.

14. 5.
     Berlin wird zur »rauchfreien Hauptstadt«
kündigt das Bündnis 90/Grüne an. Ein Gesetz soll dafür sorgen, daß in allen öffentlichen Gebäuden und an Arbeitsplätzen Nichtraucherzonen eingerichtet werden.

15. 5.
     Im Bandenkrieg innerhalb der Zigarettenmafia
werden erneut drei Vietnamesen mit Kopfschüssen getötet. Die Leichen der Männer werden an einem Bahndamm in Lichtenberg entdeckt.
     Der Krimi-Autor Heinz Werner Höber stirbt wenige Tage vor seinem 65. Geburtstag in Berlin. Höber machte den FBI-Agenten Jerry Cotton in über 250 Heftromanen zu einer Legende.

16. 5.
     Die ILA, die Internationale Luftfahrtausstellung
in Berlin-Schönefeld, hat sich mit ihrer dritten Auflage international etabliert, teilen die Veranstalter mit. An den ersten vier Tagen kamen rund 91 000 Gäste, darunter 20 000 Fachbesucher.

17. 5.
     Die Parkgebühren kommen einem Parkverbot gleich,
erklärt das Amtsgericht Tiergarten in einem Urteil. Das Gericht sprach einen Autofahrer frei und bezeichnete das Senatskonzept als verfassungswidrig.

19. 5.
     Liebhaber der drei historischen Luisenfriedhöfe
können jetzt mit neuen Faltblättern bei ihren Kirchhofs-Spaziergängen auf Entdeckungstour gehen. Die kleinen Friedhofs-Führer wurden in der Luisenkirche auf dem Gierkeplatz (Charlottenburg) vorgestellt.

20. 5.
     Die Kaiser's Kaffee-Geschäft AG (Berlin) verkauft
in ihren rund 280 ostdeutschen Supermärkten nur noch Rindfleisch aus den neuen Bundesländern, teilt der Vorstand mit. In Berlin werde vorwiegend Fleisch aus Eberswalde und der Uckermark angeboten.
     Berlin hat 1 219 Einkommensmillionäre, gibt das Statistische Landesamt bekannt. 1 181 Millionäre leben im Westen und 38 im Osten. Die höchsten Einkommen werden in der Land- und Forstwirtschaft erzielt, es folgen Ärzte, Rechtsanwälte und Künstler.

21. 5.
     In diesem Jahr wird es keinen Panda-Nachwuchs
im Zoo geben, teilt Zoo-Mitarbeiter Heiner Klös mit. »Wir haben alles getan, was wir konnten, aber leider hat es bei Yan Yan und Bao Bao nicht geklappt«, sagt er der »Berliner Zeitung«.


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   105   Dokumentiert Mai 1996  Voriges BlattNächstes Blatt
22. 5.
     Mit einem massiven Warnstreik
legen im Tarifkonflikt des Öffentlichen Dienstes rund 10 000 Beschäftigte der BVG den öffentlichen Nahverkehr weitgehend lahm. Rund eine Million Menschen müssen sehen, wie sie zur Arbeit kommen. Ein Chaos blieb aus.

23. 5.
     Eine schnelle Eingreiftruppe gegen organisierte Kriminalität
wird in Berlin im Zusammenhang mit Zigarettenschmuggel gebildet, teilt Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) mit. Zur Gruppe gehören die Berliner Polizei, das Bundeskriminalamt, der Grenzschutz sowie der Zoll.
     Die PDS-Abgeordnete Martina Michels wird Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses. Im zweiten Wahlgang erhält sie mit 104 Ja-Stimmen die Mehrheit, 79 Abgeordnete stimmen dagegen.
     Südafrikas Präsident Nelson Mandela wird auf der letzten Station seines Deutschlandbesuchs in Berlin begrüßt.

24. 5.
     Der Brunnen auf dem Alex sprudelt wieder.
Dank eines Sponsorenteams von Kaufhof, Forum-Hotel, Saturn und Bankgesellschaft Berlin, ist damit der erste von
22 öffentlichen Brunnen und Wasserspielen in Mitte wieder in Betrieb.
     Unter dem Motto »Hilfe für Bosnien« stellen Wasserbetriebe und Bewag je 1000 gebrauchte Wasser und Stromzähler für den Wiederaufbau von Mostar zur Verfügung.

25. 5.
     Der Bundesligaabsteiger 1. FC Kaiserslautern gewinnt
in Berlin durch ein 1:0 über den Karlsruher SC den DFB-Pokal.

28. 5.
     Mit 9,6 Grad Tagestemperatur liegt der 28. Mai
nur knapp über dem Jahrhundert-Kälterekord vom 28. Mai

1914. Um 18Uhr werden auf dem Alex lediglich 11,9 Grad
gemessen.
     Für den Ausbau Schönefelds zum Großflughafen entscheiden sich in einem Spitzengespräch Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann, Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe und Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen.

29. 5.
     Gegen den Vorwurf, sie seien faul
und ließen fahrlässig Straftäter laufen, setzen sich Richter des Amtsgerichts Tiergarten und Schöneberg zur Wehr. Sie kritisieren die Berliner Polizei und werfen den Beamten verfassungswidriges Verhalten vor.
     Der Bundesverband Freier Wohnungsunternehmen feiert sein 50jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlaß gibt der Verband im ehemaligen Preußischen Landtag in Berlin einen Empfang. Der Bundesverband ist die Dachorganisation von 1780 deutschen Wohnungsunternehmen.

30. 5.
     Rund 5 000 Menschen demonstrieren in der CityWest
gegen die Sparpolitik des Senats im Bildungsbereich. Der Zug wird von Trommelwirbeln und Pfeifkonzerten begleitet.
     Die neue Druckerei der »Berliner Zeitung« und des »Berliner Kuriers« wird offiziell eröffnet. Ehrengast der Eröffnungsfeier ist Bundespräsident Roman Herzog.

31. 5.
     Den Deutschen Filmpreis 1996 vergibt
Bundesinnenminister Manfred Kanther in der Deutschen Oper Berlin. Mit den Auszeichnungen sind Prämien von einer Million Mark (Gold) und 800000 Mark für ein Filmband in Silber verbunden.
     Erstmals nach dem Krieg sprechen 300 Rekruten der Bundeswehr sprechen ihr Gelöbnis in Berlin vor dem Charlottenburger Schloß. Mehrere tausend Demonstranten stören das militärische Zeremoniell.


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Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus

Edition Hentrich, Berlin 1995, 1453 S.

Als die Nacht des Faschismus über Deutschland hereinbrach, lebten in Berlin etwa 160000 jüdische Bürger. Nicht wenige unter ihnen leisteten einen unsterblichen Beitrag für die atemberaubende Entwicklung der gerade erst 60jährigen Reichshauptstadt zum kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Zentrums Deutschlands, zu einer Metropole von Weltrang. Kaum an der Macht, versuchten die Nazis nicht nur den Beitrag der Juden aus dem Buch der Geschichte zu löschen, sondern vertrieben, diskriminierten und ermordeten Millionen von ihnen. 55 696 Berlinerinnen und Berliner jüdischer Abstammung, die dieses Schicksal erlitten haben, sind dokumentiert und mit vorliegendem Gedenkbuch dem Vergessen entrissen. Daß hierzu von Rita Meyhöfer, Ulrich Schulze-Marmeling und Dr. Klaus Sühl eine immense, fast sechsjährige Forschungsarbeit zu leisten war, ist ebenso einsichtig wie verdienstvoll. Nicht minder verdienstvoll ist die finanzielle Förderung dieses Projektes und die Unterstützung durch Archive und Wissenschaftler, die für das Erscheinen der Dokumentation unverzichtbar war. Aber auch Vorbehalte, Bedenken und Einwände vielfältiger Art und aus unterschiedlichen Interessen waren auszuräumen, zu berücksichtigen oder auch zu ignorieren.
     Was dieses Erinnerungsbuch so wertvoll macht, ist nicht nur die namentliche Dokumentierung 55696 jüdischer Opfer, die der Anonymität, und damit dem Vergessen entrissen wurden. Neben den Namen und Vornamen erfahren wir auch ihren Geburtstag, ihren Geburtsort und meist sogar ihre Berliner Adresse. Wir

werden daran erinnert, daß die Juden in uns vertrauten Straßen wohnten, unsere Nachbarn waren, von denen heute die Stillen Portiers der Berliner Miethäuser natürlich kein Zeugnis mehr ablegen. Doch welcher ihrer Nachbarn konnte und wollte glaubwürdig behaupten, von alledem nichts gewußt zu haben? Die wenigen Daten zu jedem jüdischen Opfer belegen noch mehr. Die deutschen Faschisten hatten bei ihrem Massenmord an Juden, Andersdenkenden und diskriminierten Minderheiten pingelig buchgeführt. So geben uns deren bürokratische Zeugnisse noch heute detailliert Auskunft über jedes Opfer, über das Datum und Ziel des Deportationsortes und letztlich auch meistens das Datum und den Ort der Vernichtung. Mit nur wenigen Strichen wird das individuelle Schicksal in der Hölle des Faschismus nachvollziehbar.
     Die Dokumentation wird begleitet von einem knappen, aber alle wesentlichen Etappen umfassenden Überblick von der Entrechtung der Juden bis zum Massenmord an ihnen während der zwölf Jahre dauerndern Herrschaft der Nationalsozialisten, einschließlich einer Darstellung der Quellensituation. Eine anschließende Übersicht über die Deportationsziele zeichnet eine Landkarke von Europa, die gleichsam ein topographisches Zeugnis des Terrors von noch im Gedächtnis haftenden oder schon vergessenen Stätten der Menschenvernichtung ist, das sich flächendeckend über Deutschland und Teile Europas erstreckt.
     »Ihre Namen mögen nie vergessen werden« mahnt uns diese Dokumentation, einem Grabstein nachempfunden. Sie setzt vielen von denen, die keinen Ort der Ruhe gefunden haben, einen der Erinnerung.

Hans-Jürgen Mende

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/1996
www.berlinische-monatsschrift.de