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Frank Eberhard
Die Geschichte der Waldemarbrücke

Eine unscheinbare, kleine Brücke an der Grenze von Kreuzberg zu Mitte beschäftigt seit mehr als 130 Jahren die Menschen in der ehemaligen Luisenstadt. Nur 16,5 Meter beträgt die Länge der Waldemarbrücke, Wasser fließt schon lange nicht mehr unter ihr hindurch. Sie verbindet die ehemalige Buckower Straße (heute westlicher Teil der Waldemarstraße) mit der Waldemarstraße östlich des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals. Die Geschichte ihrer Entstehung erzählt von den Schwierigkeiten, Bürgerwillen durchzusetzen.
     Bereits 1864, also wenige Jahre nach der Erbauung des Luisenstädtischen Kanals (vgl. BM 8/94), wandte sich der Vorstand eines Bezirksvereins der Luisenstadt an die Stadtverordnetenversammlung (im folgenden abgekürzt StVV) mit der Bitte, »behufs der Ableitung des Verkehrs auf der Oranienbrücke« noch eine weitere Brücke über den Kanal zu errichten, und zwar zwischen Waldemarstraße und Buckower Straße. Die StVV unterstützte das Anliegen und forderte den Magistrat auf, bei der Königlichen Regierung den Bau einer solchen Brücke zu beantragen.

Zu dieser Zeit unterstanden die Brücken und Straßen noch der preußischen Regierung, erst 1876 wurden sie von der Stadt übernommen (vgl. BM 6/95). Aber der Magistrat lehnte ab, den Antrag an die Regierung zu stellen, da er »die Stadt für verpflichtet halte, dergleichen Bauten auf ihre Kosten auszuführen«. Und Geld war auch damals knapp in der Stadt.
     Doch die Bürger der Luisenstadt gaben nicht nach. In den folgenden Jahren richteten sie weitere Gesuche und Eingaben an die StVV. Sie gewannen selbst das Königliche Polizeipräsidium für ihr Anliegen, denn auch dieses forderte die Stadtgemeinde Berlin auf, »eine Brücke über den dermaligen Luisenstädtischen Kanal zur Verbindung der Buckower mit der Waldemarstraße auf ihre Kosten herzustellen«. Wer nicht zahlen muß, kann freilich gut Anweisungen geben. Aber der Magistrat stellte sich weiterhin quer.
     Die Bürger beriefen Versammlungen ein und ließen Unterschriftslisten umlaufen. 1877 hatte ein Einwohner eine Verkehrszählung vorgenommen und schrieb in der Petition: »Ich habe vor einiger Zeit an einem Wochentage auf der Oranienbrücke (der nächstgelegenen Brücke über den Kanal, d. V.) zwischen 6 1/2 und 7 1/2 Uhr Abends etwa 6 000 Personen, welche solche passierten und welche sich alle nach dem in der Verlängerung der Waldemarstraße gelegenen Viertel oder von demselben herbewegten, gezählt.«
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Dieser Bürger unterbreitete auch einen konkreten Vorschlag für eine zeitweilige Regelung des Problems: eine Floßbrücke für Fußgänger. Doch diese wie auch viele spätere Eingaben wurden wiederum abgelehnt.
     1879 kam es im Ergebnis der ständigen Eingaben in der StVV zu einer Diskussion über den Standort einer Fußgängerbrücke über den Kanal. Der Stadtverordnete Dr. Langerhans (1820-1909), Bewohner des Gebietes und später langjähriger Vorsitzender der StVV (vgl. BM 6/94), forderte jedoch, keine hölzerne Brücke zu bauen, denn »das kostet uns nachher sehr viel«. Und so wurden diesmal wie auch in den folgenden Jahren Eingaben sowohl einzelner Bürger als auch der Bürgervereine abgelehnt.
     Berlin nahm zu dieser Zeit einen raschen Aufschwung. Die Luisenstadt wuchs jedes Jahr um rund 10 000 Menschen. Allein zwischen 1864 und 1880 verdoppelte sich ihre Einwohnerzahl von 120 000 auf 240 000! Und nun griff auch die Presse ein. Am 1. Juni 1881 berichtete die »Vossische Zeitung« über die Aktivitäten der Bürgervereine der Bezirke Turnhalle (heute südliche Heinrich-Heine-Straße), Oranienplatz und Buckower Straße hinsichtlich der geforderten Verbindung. Nun kam es zu heftigen Diskussionen in der StVV, die Notwendigkeit einer solchen Verbindung wurde betont.
Zugleich wurde aber auch der Akzent verschoben. Über die Forderung der Bürger nach einer Fußgängerbrücke hinausgehend, wurde jetzt über den erforderlichen Bau einer Straßenbrücke gesprochen - und diese erst einmal wieder abgelehnt.
     Es folgten Eingaben an den Minister und auch wieder an die StVV. Jetzt wurden Listen mit schon 2 687 Unterschriften beigelegt, außerdem wurde in Verbindung mit dem Bau der Brücke die Frage der Sicherheit des Schulweges der Kinder angesprochen. Vier höhere Schulen befanden sich westlich des Kanals, viele Schüler wohnten aber östlich von diesem und mußten die stark befahrene und deshalb gefährliche Oranienbrücke überqueren.
     Im Mai 1882 wurde in der StVV über eine neuerliche Petition diskutiert und festgestellt, daß sich die Versammlung bereits sechzehnmal mit dem Bau dieser Brücke beschäftigt hatte. Doch wurde auch diese Eingabe wieder abgelehnt. 1882 brachten verschiedene Bürgervereine fast jeden Monat eine Petition ein, und endlich, im Sommer 1883, stimmte die StVV dem Bau einer Fußgängerbrücke zu.
     Noch immer sperrte sich der Magistrat. Im November 1883 kam es in der StVV wiederum zu einer ausführlichen Diskussion über den Brückenbau. Scharf wurde der Magistrat angegriffen.
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Der Stadtverordnete Fricke sagte: »Mir kommt es so vor, als wenn der Magistrat - ich möchte sagen, um die Brücke im Zuge der Buckower Straße sich drücken wollte, und nach meiner Ansicht aus dem Grunde, weil die Erhöhung da ungeheure Kosten macht« (wegen des hohen Wasserspiegels im Luisenstädtischen Kanal mußten beiderseits der Brücke Auffahrrampen gebaut werden, d. V.).
     Es vergingen nochmals sechs Jahre, weitere Eingaben der verschiedensten Bürgervereine folgten, bis der Bau der Brücke im März 1889 in den Etat aufgenommen wurde. Inzwischen waren drei andere Brücken über den Luisenstädtischen Kanal neugebaut, zwei weitere umgebaut worden. Aus der geforderten Fußgängerbrücke war eine Straßenbrücke geworden, wie es der inzwischen angewachsene Verkehr notwendig machte.
Am 5. August 1889 begann der Bau der Waldemarbrücke, am 1. November 1890 wurde sie dem Verkehr übergeben. Im Gemeindeblatt der Stadt Berlin vom 5. April 1891 erschien dann folgende Notiz: »Seine Majestät der Kaiser und König haben allergnädigst geruht, den nachstehend aufgeführten Straßen, Brücken und einem Platze in Berlin Namen beizulegen, und zwar: ... der zur Verbindung der Buckowerstraße mit der Waldemarstraße über den Louisenstädtischen Canal erbauten Brücke den Namen Waldemarbrücke ...«
     Dieser Waldemar (1817-1849) war ein Prinz von Preußen und Bruder des Prinzen Adalbert (1811-1873), nach dem die nahe gelegene Adalbertstraße benannt worden war.
     Nach Fertigstellung der Brücke warf sich der Magistrat in die Brust.
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In dem von ihm herausgegebenen Buch »Die Straßenbrücken der Stadt Berlin« heißt es: »Die Waldemar-Brücke ist im Zuge der Buckower und der Waldemar-Straße erbaut worden. Die Notwendigkeit, die durch den Verkehr überaus stark beanspruchte Oranienbrücke zu entlasten und zu diesem Behufe einen neuen Verkehrsweg vom Mittelpunkte der Stadt aus nach dem Lausitzer Platze und dem Görlitzer Bahnhofe (bereits 1866-1868 erbaut!, d. V.) nebst dem sich anschließenden Stadtviertel zu schaffen, sowie schließlich der Wunsch, die an der Ecke der Buckower Straße und dem Luisen-Ufer neu errichtete Markthalle auch für die Bewohner östlich vom Luisenstädtischen Kanale auf kürzestem Wege zugänglich zu machen, haben die Errichtung der Waldemar-Brücke über dem Luisenstädtischen Kanale veranlaßt.«
     Kein Wort über ein Vierteljahrhundert Bürgerbestreben zum Bau dieser Brücke, kein Wort über die jahrzehntelangen Ablehnungen durch Magistrat und StVV - totgeschwiegene Geschichte im Bericht über ein kleines Bauwerk.
     Hatte die Errichtung der Brücke ein Vierteljahrhundert gedauert, so konnte sie nun fast vier Jahrzehnte ihren Dienst versehen. Doch 1926-1928 wurde der Luisenstädtische Kanal zugeschüttet, die Stadt brauchte ihn nicht mehr. Die Brücken wurden abgerissen. Nur eine von einst elf Brücken blieb stehen - die Waldemarbrücke. Es fehlte das Geld zum Abriß. Und so konnte bei der Errichtung der tiefliegenden Grünanlagen im ehemaligen Luisenstädtischen Kanal die Waldemarbrücke als Schmuckelement eingeordnet werden.
     Doch auch diese Periode dauerte nur wenige Jahre. Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges wurde die Stadt Berlin geteilt. Die Waldemarbrücke befand sich genau auf der Grenze zwischen Ost und West. Der Durchgang wurde zugemauert, die beiderseitig angrenzenden Grünanlagen zugeschüttet. Die Brücke war Teil der Mauer geworden. Nach dem Mauerfall bekam sie wieder ihre verbindende Funktion zwischen Ost und West. Schrittweise wird jetzt auch die Grünanlage des Luisenstädtischen Kanals wiederhergestellt; mit dem Immergrünen Garten am Engeldamm sowie dem Rosengarten zwischen Engelbecken und Waldemarbrücke sind wichtige Teilstücke bereits fertig. Auch die Waldemarbrücke wurde rekonstruiert. Die Spaziergänger können nun wie einst vom Oranienplatz zum Rosengarten auch wieder unter der Waldemarbrücke hindurchgehen.

Quellen:
-Landesarchiv Berlin LAB (STA), Rep. 00-02/1, Nr. 976
-LAB (STA), Rep. 10-01/2, Nr. 1369-1371
-Berlin und seine Bauten, Berlin 1896
-»Deutsche Bauzeitung« vom 30. März 1889, S. 156
-Die Straßenbrücken der Stadt Berlin, Berlin 1902

Bildquelle:
Die Straßenbrücken der Stadt Berlin, Berlin 1902

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1996
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