20   Probleme/Projekte/Prozesse Landwirtschaftsausstellungen  Nächstes Blatt
Hans-Heinrich Müller
Mehr Schweiß vergossen als Bier getrunken

Landwirtschaftsausstellungen in Berlin

Im Jahre 1885, am 11. Dezember, wurde in Berlin die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft gegründet, deren Zentrale und Verwaltung sich in der Dessauer Straße 14 in Berlin SW 11 befand. Schöpfer der »DLG«, wie sie der Einfachheit halber genannt wurde, war Max Eyth, der bekannte Ingenieur und humorvolle Schriftsteller, der 20 Jahre lang in vielen Ländern der Erde der Dampfpflugtechnik zum Siege verholfen hatte. Die DLG wurde von Eyth als unabhängige Vereinigung aufgezogen, sie war keine politische Standesvertretung, sondern eine Gesellschaft zur sachlichen Förderung der Landwirtschaft. Er betrachtete dabei die Abhaltung von jährlichen Wanderausstellungen, anknüpfend an englische Vorbilder, als wichtige Aufgabe, sie waren »das Rückgrat der DLG«. 1) Max Eyth führte elf Jahre ihre Geschäfte und behielt sich den Aufbau der Wanderausstellung und die Leitung der Geräteabteilung mit ihren Maschinenprüfungen vor. 1896 legte er die Geschäftsführung nieder und überließ sie anderen fähigen Mitgliedern.

     Die erste Ausstellung der DLG fand 1887 in Frankfurt (Main) statt. Seitdem wanderte sie, von Ausnahmen abgesehen, regelmäßig durch ganz Deutschland, schlug jedes Jahr im Juni in einer anderen Großstadt die Zelte auf, zog in den Städten im Norden und Süden, im Westen und Osten Deutschlands die landwirtschaftliche Welt aus dem In- und Ausland an und vermeldete steigende Besucherzahlen. Die Wanderausstellungen waren zu einem Begriff und öffentlichen Anziehungspunkt geworden, eine Einrichtung, die Technik und Wissenschaft in der Landwirtschaft durchsetzen und verbreiten half und den Gesichtskreis vieler Gutsbesitzer und Bauern erweiterte. Sie waren »wandernde Brennpunkte« einer im Fortschreiten begriffenen deutschen Landwirtschaft, in denen »ihre technische Entwicklung, ihre Bestrebungen und Leistungen in einem lebendigen, sich jährlich in frischen Farben erneuernden Bilde« der Welt entgegentraten. 2)
     Die Wanderausstellungen der DLG waren »weder ein Geschäft noch ein Fest«. »Aller Trödel, der mit sehr vielen Ausstellungen verbunden ist, und ebenso ein Vergnügungspark waren grundsätzlich ausgeschlossen.« Dieses Prinzip hat die DLG bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1933 eingehalten. Eyth nannte das Ziel der Wanderschauen: »Was ich schaffen möchte, soll das Gegenteil einer >Ausstellung< im gewöhnlichen Sinne des Wortes werden:
BlattanfangNächstes Blatt

   21   Probleme/Projekte/Prozesse Landwirtschaftsausstellungen  Voriges BlattNächstes Blatt
harte ehrliche Arbeit aller Beteiligten vom ersten bis zum letzten Tage, die Lösung schwieriger Aufgaben, die in keiner anderen Weise anzupacken sind, als wo das erforderliche Material zusammengeführt werden kann, eine durch viele Jahre fortgesetzte Reihenfolge solcher Studien und Arbeitstage, in denen mehr Schweiß vergossen als Bier und Wein getrunken, mehr still beobachtet und gelernt, als gelehrt und geschwatzt wird, die keiner verlassen sollte, ohne in Kopf oder Tasche einen Sack neuen Saatgutes für die eigene Wirtschaft nach Hause zu nehmen.« 3)


Eine humoristische Postkarte von der 20. Wanderausstellung der DLG, Berlin 1906
BlattanfangNächstes Blatt

   22   Probleme/Projekte/Prozesse Landwirtschaftsausstellungen  Voriges BlattNächstes Blatt
     Berlin war dreimal Gastgeber der Wanderausstellung: 1894, 1906 und 1933. 1894, vom 6. bis 11. Juni, fand die Ausstellung im Treptower Park statt, die als »Große Berliner Landwirtschaftsausstellung« in der Öffentlichkeit ihren Widerhall fand. Sie war ein Höhepunkt in der landwirtschaftlichen Ausstellungsbewegung. Die Ausstellungsfläche von 505 000 Quadratmetern war doppelt so groß wie ein Jahr zuvor in München.
     Was die 156 000 Besucher, ein Drittel mehr als in München, zu sehen bekamen, war ein Spiegelbild erreichter Produktion: hochwertiges Saatgut, Getreide-, Kartoffel- und Rübenzüchtungen, Düngemittel, Erzeugnisse und Hilfsmittel des Ackerbaues und der Pflanzenproduktion. 88 Berliner Geräte- und Landmaschinenfabriken waren vertreten. 570 Pferde, 1 194 Rinder, 809 Schafe, 363 Schweine, 77 Ziegen und eine Unmenge Geflügel waren zu besichtigen. Viele Tiere waren in den Wettbewerb getreten, wurden geprüft, gemessen und prämiert. Durch die Ausstellungsprinzipien wurde die Tierhaltung und Tierzüchtung entscheidend beeinflußt, ganz auf die Zeiterfordernisse eingestellt. Eyths Forderungen lauteten: »Unsere Zeit mit ihren ins Große gehenden Verhältnissen duldet die Zersplitterung in kleine, viel verzweigte Produktionsgruppen nicht. Es ist notwendig, in großem Maße zu produzieren, wenn die Erzeugnisse einen Markt finden sollen, und dies ist nur möglich durch die Arbeit in großen Produktionsgebieten mit gleichartigen Zielen.« 4)
Die Ausstellungsorganisatoren und Preisrichter, darunter berühmte Namen aus Wissenschaft und Züchterpraxis, verfuhren ganz in diesem Sinne. Die Berliner Ausstellung beschleunigte die Bildung von Zuchtgenossenschaften und Herdbuchgesellschaften. Auf der Ausstellung kamen die leistungsfähigen, die sich durchsetzenden produktiven Schläge, wie z. B. das Höhenfleckvieh in Süddeutschland, das schwarzbunte Niederungsvieh der norddeutschen Tiefebene und die deutschen veredelten Landschweine, immer mehr zur Geltung. Das preußische Landwirtschaftsministerium benutzte die Schau, um die Fachwelt mit Separationen, Aufforstungen, Meliorationen, Flußregulierungen, Landgewinnen in allen preußischen Provinzen bekannt zu machen - es präsentierte sich als aktiver Förderer der Landeskultur. 5)
     1906 wurde die Wanderausstellung in Schöneberg ausgerichtet. Die Ausstellungsfläche betrug gegenüber Treptow nur 338 100 Quadratmeter, aber die Besucherzahl war um so größer: 326 000. Ebenso groß war der Besucherstrom auf der Ausstellung in Witzleben 1933 (440 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche), auf dem heutigen Ausstellungsgelände am Funkturm. 344 000 Besucher waren gekommen, vor allem aus Brandenburg, Pommern und Berlin, um die landwirtschaftlichen Neuheiten kennenzulernen.
BlattanfangNächstes Blatt

   23   Probleme/Projekte/Prozesse Landwirtschaftsausstellungen  Voriges BlattNächstes Blatt
Besonderer Anziehungspunkt war die Landtechnik, die von Jahr zu Jahr einen immer größer werdenden Umfang annahm. Staunend stand man 1894 vor den Maschinenkolossen, vor den Lokomobilen, Dampfpflügen und dampfgetriebenen Dreschmaschinen und elektrischen Anlagen. 1906 wurden Mähbinder und Molkereimaschinen bewundert. 1933 wurden 5 800 Maschinen und Geräte vorgestellt, großer Aufmerksamkeit erfreuten sich die Traktoren und Schlepper mit ihrer Luftbereifung, die den Durchbruch der Motorisierung bedeutete.
     Die Wanderausstellungen waren überhaupt für die Verbreitung von Maschinen in der Landwirtschaft von größtem Wert. Schon allein der Umstand, eine fast lückenlose Sammlung aller möglichen Maschinen und Geräte überschauen zu können, veranlaßte so manchen Landwirt zum Kauf einer ihm bis dahin wenig bekannten Maschine. Landmaschinenfabrikanten wiederum konnten sich von sachkundigen, praktischen Landwirten ein Urteil über die Maschinen und nützliche Verbesserungsvorschläge verschaffen. Und die Anerkennung durch die DLG ward von Jahr zu Jahr beste geschäftliche Empfehlung für Maschinen- und Düngemittelfabrikanten, Saatzucht-, Futtermittel- und Molkereibetriebe und Tierzüchter.
     Die Wanderausstellungen der DLG waren zu einem nicht mehr hinwegzudenkenden Bestandteil der modernen Gesellschaft geworden. Sie waren Kreuzungspunkte von Wissenschaft und Praxis, von Landwirtschaft
und Industrie, von Gebenden und Nehmenden, die mehr denn je aufeinander angewiesen waren. Sie boten jedes Jahr ein ziemlich umfassendes Bild von dem herrschenden Stand der Landwirtschaft, dessen in den fünf Ausstellungstagen vorüberfliegendes Momentbild in Katalogen, Ausstellungsberichten, Flugblättern oder anderen Veröffentlichungen seinen gedruckten und illustrierten Niederschlag fand, und demonstrierten auf diese Weise den Vormarsch in der landwirtschaftlichen Produktion. Ein Geheimnis ihrer zweifellos großen Ausstrahlungskraft lag, wie es auch Berlin bewies, darin, »daß die Ausstellung nicht bloß eine Schau, ein Bild fertiger Leistung bot, sondern der Landwirtschaft ein Arbeitsfeld ... für Aufgaben, deren Lösung durch die Verhältnisse möglich wurde«, gab, »indem es den Ausstellungen gelang, die Zufriedenheit mit sich selbst zu zerstören, zu der der Landwirt gar leicht hinneigt, und für neue und notwendige Anregungen die Bahn frei zu machen«. 6)
     Die Wanderausstellungen haben in der Tat auf vielen Gebieten als Bahnbrecher gewirkt. Zwar konnten sich infolge ihrer Wirtschaftskraft Gutsbesitzer und Großbauern Fortschritt in Gestalt von Maschinen, Zuchttieren oder elektrischen Einrichtungen, die sich auf den Ausstellungen mit Händen prüfen ließen, weit eher kaufen als die Millionen Klein- und Mittelbauern, denen es gerade hier an den notwendigen Kapitalien gebrach.
BlattanfangNächstes Blatt

   24   Probleme/Projekte/Prozesse Landwirtschaftsausstellungen  Voriges BlattArtikelanfang
Aber die kleinen und mittleren Bauern, die auf den Ausstellungen die Hauptmasse der Besucher ausmachten, die kamen, um Bekannte zu treffen, Standesgenossen und Vertreter landwirtschaftlicher Gewerbe, deren Ausflüge in die Stadt zur »großen Schau« ein Fest waren und eine Abwechslung im harten bäuerlichen Alltag und monotonen Arbeitsleben bedeuteten, empfingen durchaus Belehrungen und Anregungen, fanden unter den tausend ausgestellten Dingen vieles Brauchbare und Nützliche, das man auf der eigenen Wirtschaft anwenden konnte. Sie erhielten Anstöße, sich einer landwirtschaftlichen Produktions-, Absatz-, Kredit- oder Einkaufsgenossenschaft anzuschließen. Sie kauften im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten besseres Saatgut, Kunstdünger, Kraftfutter oder änderten ihre traditionellen Fruchtfolgen, sie entschlossen sich zu Maßnahmen, von denen sie durch Anschauungen und Vorbilder überzeugt waren, daß die zu erwartenden höheren Ertragsleistungen den zusätzlichen Arbeits- oder Kostenaufwand rechtfertigten, die wirkungsvoll genug waren, um die landwirtschaftliche Produktion in ihrer Gesamtheit beträchtlich zu steigern.
     Die Traditionen der DLG-Ausstellungen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg 1950 in der Bundesrepublik wieder aufgenommen und fortgeführt. Die Ausstellungen gehören zu den größten und umfangreichsten ihrer Art in der Welt.
Anmerkungen:
1 Max Eyth: Vergangenheit und Zukunft der Wanderausstellungen der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, Berlin 1896, S. 13 (= Arbeiten der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, H. 15)
2 ebenda, S. 17
3 Zit. nach: O. Schnellbach: Max Eyth (1836-1906), In: Große Landwirte, hrsg. v. G. Franz u. H. Haushofer, Frankfurt (Main), 1970, S. 260 f.
4 Max Eyth: a. a. O., S. 18
5 Führer durch die Ausstellung des Königlichen Preußischen Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten auf der Wanderausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft in Berlin 1894.
6 Max Eyth: a. a. O., S. 12; vgl. ferner B. Wölbing: Der erste Rundgang der landwirtschaftlichen Wanderausstellungen in Deutschland 1887-1898 (= Arbeiten der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, H. 41); 8. Wanderausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft zu Berlin vom 6. bis 11. Juni 1894, 2 Bde., Berlin 1895

Bildquelle:
»50 DLG-Ausstellungen im Wandel der Zeiten«, DLG-Verlag Frankfurt (Main), 1968

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1996
www.berlinische-monatsschrift.de