45   Porträt Der Chirurg Dieffenbach  Nächstes Blatt
Hanne-Lore Fritze
Begründer der plastischen Chirurgie

Johann Friedrich Dieffenbach
(1792-1847)

Mutter und Schwester riefen ihn Fritzing. Er sprach ein unverwechselbares Mecklenburger Platt. Auch unter dem Einfluß des Berliner Tonfalls verlor der berühmte Chirurg die anheimelnde Sprechmelodie des Nordens nie, obgleich er bis zu seinem Tode fast 25 Jahre in Berlin lebte.
     Der Lehrersohn Johann Friedrich Dieffenbach kam am 1. Februar 1792 in Königsberg/Ostpreußen zur Welt. Nach dem frühen Tode des Vaters kehrte die Mutter mit beiden Kindern in ihre Heimatstadt Rostock zurück. Hier ging Dieffenbach zur Schule. Er studierte in Rostock und Greifswald Theologie, übte aber das geistliche Amt nie aus. Statt dessen nahm er in Königsberg das Medizinstudium auf.
     Nach Abschluß der Ausbildung in Paris und Würzburg eröffnete der junge Dr. Dieffenbach im Sommer 1823 eine Arztpraxis in der Mitte Berlins. Bereits wenige Jahre später genoß er großes Ansehen als geschickter Operateur. Man betraute ihn mit der Stelle als »Charitéarzt an der Chirurgischen Station«.



Johann Friedrich Dieffenbach

Während der letzten sieben Jahre seines Lebens stand er dem Königlichen Chirurgischen Klinikum als Direktor vor.
     Die Begabung zum Chirurgen offenbarte sich schon bei dem Studenten Dieffenbach. Er implantierte Haare in die Haut seines Unterarmes und hatte Erfolg mit dem Einwachsen. »Eine Glatze wird bald eine Seltenheit werden«, spöttelten die Kommilitonen. »Er ist ein Genie, ein Talent, wie solches mir noch nicht vorgekommen ist«, lobte überschwenglich ein Hochschullehrer. Er sollte recht behalten.

BlattanfangNächstes Blatt

   46   Porträt Der Chirurg Dieffenbach  Voriges BlattArtikelanfang
Zwar war es nicht Dieffenbachs Ziel, einen durch Alter eingebüßten Haarschopf zu erneuern, wohl aber Organfunktionen herzustellen, die durch Krankheit oder Unfall verlorengegangen oder auch von Geburt an nicht ausgebildet waren. Plastische Chirurgie heißt diese medizinische Fachrichtung, zu der heute auch die Schönheitschirurgie zählt. Dieffenbach begründete sie. Er operierte Gaumenspalten, Hasenscharten, Leistenbrüche. Er rückte schielende Augen in die rechte Ebene, stellte Schiefhälse gerade, ermöglichte Patienten mit Klumpfüßen ein beschwerdefreies Gehen.
     Von überallher kamen Studenten und Ärzte nach Berlin zu Dieffenbach, um die neuen Operationstechniken zu erlernen.
     Seine Lehrbücher und Vorlesungen zeichneten sich durch meisterhaften Ausdruck und treffsichere Wortwahl aus. Trotzdem hatten die Hörer oft Mühe, seinen Vorträgen zu folgen, denn er sprach undeutlich, mit dünner, schwacher Stimme und brachte die einzelnen Wörter scheinbar widerstrebend hervor.
     Dieffenbach wohnte mit Frau, Sohn und zwei Töchtern in der Nähe des Zeughauses. Morgens bestieg der kleine Herr mit den flinken Bewegungen in grünem Frack mit goldfarbenen Knöpfen eine elegante Karosse - der einzige Luxus in seiner bescheidenen Lebensführung - und ließ sich zu seinen Patienten und danach in die Klinik fahren. Manchmal, wenn es ihn überkam, lenkte er eigenhändig die Rosse.
Dieffenbach war Pferdeliebhaber und leidenschaftlicher Reiter. Das kam zuweilen auch in seinen Vorlesungen zum Durchbruch. »Eine Chirurgie auf Mechanik gestützt ist ein Reiter auf hölzernem Pferd, es bleibt auf der Stelle stehen ... Eine Chirurgie auf Physiologie gegründet durchfliegt dagegen die Wüste wie ein Arabisches Pferd.« Mit diesem Bild verdeutlicht er, daß Bau und Funktion von Organen eine Einheit bilden. Beides muß der Chirurg gleichzeitig beachten: ein Novum in einer Zeit, in der die Ärzte noch durch schnelles, sicheres Führen des Skalpells gegen die Dauer des Schmerzes ankämpften. Die erste Äthernarkose wurde 1846 in Boston in den USA angewendet.
     Von Dieffenbachs bedeutendstem Werk »Die operative Chirurgie« erschien der erste Band 1845, der zweite nach seinem Tode. Er starb am 11. November 1847 in Berlin während einer Pause zwischen zwei Operationen in den Armen eines französischen Kollegen, dem er gerade einige fachliche Erläuterungen gegeben hatte.

Nachbemerkung: Die großblättrige Zimmerpflanze Dieffenbachia verdankt ihren Namen nicht dem Chirurgen und Pferdeliebhaber, sondern einem Botaniker gleichen Namens.

Bildquelle:
Archiv LBV

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1996
www.berlinische-monatsschrift.de