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Hans Aschenbrenner
22. Juni 1901:
Heim für Tiere in Lankwitz eröffnet

Eine Erbschaft in Höhe von 60 000 Goldmark, die der 1886 verstorbene Berliner Restaurator Moore dem »Deutschen Tierschutzverein« hinterließ, bildete das Startkapital für den Bau eines Tierheims in Lankwitz bei Groß-Lichterfelde. Im Oktober 1898 konnte in dem südlichen Berliner Vorort ein ansehnliches Grundstück erworben werden, auf dem im August 1900 mit den Bauarbeiten begonnen wurde. Mitglieder des Vereins und weitere Tierfreunde hatten ebenfalls Gelder für Vollendung und Einrichtung des Neubaus aufgebracht, der dringend erforderlich geworden war, weil andere Aufnahmekapazitäten in der explosionsartig wachsenden Metropole erschöpft waren. Eine erste, noch sehr primitive Tiersammelstelle bestand bereits seit dem 15. März 1887 in Britz und wurde noch bis zum Oktober 1901 betrieben. Zudem waren die Tierschützer 1892 mit dem »Fiskalischen (amtlichen) Hundefang«, der ihnen 1888 vom Polizeipräsidenten übertragen worden war - herrenlose Hunde wurden nun nicht mehr zwangsläufig getötet -, in die Stadtbahnbögen 79 und 80 in der Schicklerstraße 4 bei der Jannowitzbrücke in Berlin-Mitte umgezogen (in diesen Stadtbahnbögen befand sich nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Wende das Tierheim von Ost-Berlin).

     Der offiziellen Eröffnungsfeier des Tierheims Lankwitz an jenem 22. Juni 1901 wohnen Vertreter von Reichs- und preußischen Behörden bei, so Dr. Theobald von Bethmann-Hollweg, Oberpräsident der Provinz Brandenburg. Die Ansprache hält der Vorsitzende des »Deutschen Tierschutzvereins«, Generalmajor Theodor Köring. Beim anschließenden Rundgang können sich die zahlreich erschienenen Ehrengäste davon überzeugen, daß das Heim nach neusten Erfahrungen errichtet worden ist. Aus Mangel an Mitteln sind allerdings noch nicht alle geplanten Anlagen fertig.
     Als Hauptgebäude fungiert ein einstöckiger Mittelbau. Auch die beiderseits dieses Gebäudes errichteten Seitenflügel dienen der Unterbringung von Tieren. Das 1,7 Hektar große Gelände ist von der Straße durch einen breiten, als Garten bestimmten Streifen getrennt. Die geräumigen Stallungen (damals noch) mitten im Grünen versetzen Berliner Hunde-, Katzen-, Vogel- und sonstige Kleintierbesitzer nun auch in die Lage, ihre Tiere in Pension zu geben. In der Anlage enthalten sind Operations- und Baderäume; eine tägliche tierärztliche Sprechstunde wird eingerichtet, in der man auch »Hundescheren« und »Baden mit elektr. Trocknen« vornehmen lassen kann. Hinter dem Hauptgebäude befindet sich noch ein Gebäude für Hunde, die von ansteckenden Krankheiten befallen sind.
     Kaum einen Zuhörer mag es verwundert haben, daß Generalmajor Köring in seiner Rede der inzwischen bereits 60jährigen Geschichte des »Deutschen Tierschutzvereins« viel Platz einräumt, ist er doch seit 1897 dessen Vorsitzender (bis 1903).
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Zunächst erinnert er daran, wie die »Neue Preußische Zeitung« in ihrer Abendausgabe noch am gleichen Tag informiert, »daß es im Juni des Jahres 1841 war, als infolge roher Mißhandlung zweier Arbeitspferde (am 29. Juni 1841 auf dem Mühlendamm - H. A.) mehrere Herren in Berlin zusammentraten und einen Verein gründeten (am 6. Oktober 1841, auf Initiative des Predigtamtskandidaten und späteren Schulvorstehers Dr. C. J. Gerlach, zusammen mit Kollegen von der damaligen >Kirchner<schen Schulanstalt< - H. A.), durch dessen Thätigkeit ähnliche Rohheiten in der Folge vermieden werden sollten. Der Verein erhielt den Namen >Verein gegen Thierquälerei<. Seine Mitgliederzahl betrug 201, den Vorsitz übernahm der damalige Kommandant von Berlin, General-Leutnant v. Colomb. Mitte der 50er Jahre wurde der Name in >Verein zum Schutz der Thiere< und bald darauf in >Berliner Thierschutzverein< umgewandelt. Im Jahre 1867 nahm der Verein ... einen sehr erfreulichen Aufschwung. Er erhielt nun den Namen >Deutscher Thierschutzverein<. Am 1. Januar 1871 erschien die erste Nummer des ... Vereinsorgans >Ibis<; die Rechte einer juristischen Person erhielt der Verein im folgenden Jahre.«      1901 zählt der »Deutsche Tierschutzverein« 8 000 Mitglieder; zu seinem wichtigsten Objekt wird fortan das Tierheim Lankwitz, das alsbald erste Adresse der Berliner Tierschützer ist und auch den Ort in der Öffentlichkeit weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt macht.

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Unzähligen ausgesetzten, gehetzten und verfolgten Tieren konnte seitdem Unterkunft, Kost und tierärztliche Betreuung gegeben werden, unzählige Tiere sind weitervermittelt oder ihren Besitzern wieder zugeführt bzw. zeitweilig aufgenommen worden. Vorausschauend angelegt, mußte hier, abgesehen von 1929 geschaffenen Räumlichkeiten für Katzen, bis zum Ende der dreißiger Jahre nichts Wesentliches mehr gebaut werden. Im Krieg ist das Tierasyl dann fast völlig zerstört worden. Es gab kaum noch ein schützendes Dach und kein Futter. Viele Tiere mußten mit Blausäure getötet werden.
     In den 50er und 60er Jahren erfolgte, auf der Grundlage der ursprünglichen Pläne, mit notwendigen Erweiterungen und Aufstockungen, der Wiederaufbau. Zu Aufgabenfeldern des Vereins selbst - er trägt seit 1938 den Namen »Tierschutzverein für Berlin und Umgebung Corporation« - gehören auch die auf dem Tierheimgelände befindliche »Amtliche Tiersammelstelle« der Stadt Berlin zur Aufnahme aufgegriffener und in Verwahrung genommener Tiere und die Quarantänestationen für amtstierärztlich eingewiesene tollwutverdächtige Tiere. Ein »Gnadenhof« für Pferde, Esel und Ziegen, die als Arbeitstiere unbrauchbar und damit überflüssig geworden sind, ist längst auch Bestandteil des Tierheimkomplexes.
     Inzwischen bestimmen nicht mehr weite Felder und grüne Wiesen das Bild rings um das Tierasyl.
Eingekreist von einem Häusermeer und angesichts immens gewachsener Aufgaben, wird es für die 60 Angestellten, unter ihnen sechs Tierärzte, immer schwieriger, die stets mit aller Konsequenz praktizierten Tierschutz-Grundsätze einer artgerechten Haltung zu verwirklichen. Allein 1995 wurden 22 000 Tiere »durchgeschleust«, wobei »zweimal um den Erdball« gefahren werden mußte, um ihnen eine neue Heimat zu geben - das Tierheim versteht sich eben nicht als bloße Bewahranstalt für herrenlose Tiere. Da sich nicht genügend Privatpersonen finden, müssen die Tiere oft an andere Heime abgegeben werden. Schon vor der Wende hatte man die Suche nach einem geeigneten neuen Standort für das Tierheim aufgenommen - idealerweise möglichst noch im Stadtgebiet, jedoch nicht inmitten eines Wohngebietes.
     Im Gespräch ist nach zahlreichen vergeblichen Anläufen jetzt ein acht Hektar umfassendes Gelände im am nördlichen Rand von Berlin gelegenen Falkenberg.

Bildquelle:
Broschüre »75 Jahre Tierheim Lankwitz«, Herausgeber: Tierschutzverein für Berlin und Umgebung Corporation/ Tierheim Lankwitz, Berlin 1976

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1996
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