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Jutta Schneider
3. Juni 1671:
Erste Ausfahrt mit einer »Berline«

Es war ein Mittwoch, an dem die Kurfürstin Dorothea (1636-1689), zweite Gemahlin des Großen Kurfürsten (1620-1688), auf einer Spazierfahrt vom Cöllner Stadtschloß nach Lietzow (später Lützow, heute Charlottenburg) eine neue Kutsche benutzte. Der Kurfürstlich Brandenburgische Oberst des Ingenieurcorps und spätere Hofbaumeister Philipp de Chieze (1629-1673) hatte sie 1670 erfunden. Das neue Gefährt war der erste voll durchgefederte viersitzige Reisewagen.
     Philipp de Chieze baute diese Kutsche zuerst für sich selbst, weil er von seinem Herrn, dem Großen Kurfürsten, in wichtigen Geschäften nach Frankreich geschickt wurde. Wahrscheinlich wollte er es bequemer haben. In Frankreich erhielt der Wagen den Namen »Berlinoise« oder »Berline«. Er fand solchen Beifall, daß er vielfach nachgeahmt wurde. Nach und nach war er auch in Schweden, Polen, Rußland, Holland und Frankreich sehr begehrt. Die »Berlinen« gelten, später verändert und verbessert, als das erste Berliner gewerbliche Erzeugnis, das Weltruf erlangte. Auch Daniel Chodowiecki hat der »Berline« in seinem berühmten Stich »Die Zelten« 1772 bleibende Erinnerung verliehen.

     Eine ausführliche Beschreibung des Fuhrwerks befindet sich in der Schrift eines berühmten französischen Mechanikers namens Antoine Jacques Roubo (1739-1791). Er verweist darauf, daß sich die »Berlinen« von den Karossen dadurch unterscheiden, »daß sie zwei Tragbäume am Gestell haben, auf denen der Kasten derart ruht, daß sich die Schläge, die in der Höhe des Wagens geschlossen werden, oberhalb der Tragbäume frei öffnen lassen. Ursprünglich würden sich die Karossen von den »Berlinen« noch dadurch unterscheiden, »daß sie anstatt wie diese letzteren ... in vier Winkeln hängen, von horizontal liegenden und an beiden Enden des Gestells befestigten ledernen Hängeriemen getragen werden ...« Später, als die Federn erfunden wurden, hat man die Riemen durch Federn ersetzt.
     Die »Berlinen« kamen in Mode. Neben den »Viersitzern« wurden auch »Zweisitzer« oder »Visa-Vis« gebaut, in denen nur eine Person auf dem Vordersitz und eine auf dem Rücksitz Platz hatte. Es gab auch noch die »Halbberline«, auch »Berlingot« genannt, »Carosse Coupé« (gekappte Karosse) oder »Diligence« (gewöhnlicher Eilwagen), wenn die Karosse nur zwei Personen auf dem Rücksitz und allenfalls mittels eines hochklappbaren Sitzes eine dritte Person auf dem Vordersitz fassen konnte.
     Der Erfinder Philipp de Chieze entstammte einer über Frankreich nach Holland eingewanderten italienischen Familie aus Piemont.
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Bevor er im Jahre 1600 nach Berlin übersiedelte, war er in Den Haag Kaufmann im Südamerika-Handel. Als Generalquartiermeister in der preußischen Armee oblag Chieze auch die Oberaufsicht über die kurfürstlichen Besitzungen. Er erhielt 1662 das Jagdschloß Caputh, das er anstelle eines im Dreißigjährigen Krieg verwüsteten Vorgängerbaus neu errichtete. Als Baumeister des Großen Kurfürsten wird Chieze auch genannt bei dem 1658 begonnenen Bau der großen barocken Festungsanlage der Städte Berlin, Cölln und Friedrichswerder unter Leitung von Johann Georg Memhardt (1607-1678), dem Bau des Stadtschlosses in Potsdam 1664-1670, dem Schloßbau Klein-Glienicke sowie beim Bau des neuen Grabens (Oder-Spree-Kanal).
     Ebenso bekannt geworden wie als Baumeister ist Philipp de Chieze aber wohl durch seine »Berline«. 1683 präsentierte Ezechiel Spanheim als Gesandter in Paris Ludwig XIV. schon eine vergoldete Kalesche als Geschenk des Großen Kurfürsten und dazu gleich noch zehn Isabellen, schöne Pferde mit hellem Langhaar.

Bildquelle:
Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 1908



Mit der »Berline« wurde Berlin auch im Ausland berühmt
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1996
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