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Gerhard Keiderling
»Es wird berichtet ...«

Kauf nur mit DDR-Ausweis

Als Bundeskanzler Adenauer am 26./27. Mai 1952 den General- oder Deutschlandvertrag über die Souveränität der BRD und den Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, in deren Rahmen die Wiederaufrüstung der BRD erfolgen sollte (vgl. BM 4/1996), unterschrieb, reagierte die DDR-Regierung postwendend mit der »Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands« vom 26. Mai 1952. Das Ministerium für Staatssicherheit wurde beauftragt, »unverzüglich strenge Maßnahmen für die Verstärkung und Bewachung der Demarkationslinie« zu treffen, »um ein weiteres Eindringen von Diversanten, Spionen, Terroristen und Schädlingen in das Gebiet der DDR zu verhindern«.
     Diese »Schutzmaßnahmen« hatten für den Berliner Raum weitreichende Folgen. Fast sämtliche Zufahrtsstraßen an der Außengrenze Westberlins, mit Ausnahme der Straßenverbindungen für den sogenannten Interzonenverkehr, wurden durch Sperren geschlossen und von Polizeiposten kontrolliert.

 

Aus der DDR konnte man hier nur zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der S-Bahn nach Westberlin. Westberliner benötigten Ausweise für die Einreise in die DDR (ausgenommen Ostberlin). Auf den Grenzstationen der S-Bahn und in den Reisezügen fanden Ausweis- und Gepäckkontrollen durch Polizei und Zoll statt. Am 27. Mai 1952 wurde das Fernsprechnetz zwischen Ost- und Westberlin sowie zwischen Westberlin und der DDR bis auf wenige kontrollierte Leitungen getrennt. Westberliner Exklaven wie Steinstücken oder Eiskeller wurden gesperrt. Leidtragende waren in erster Linie Westberliner, die ihre Wochenendgrundstücke gar nicht oder die Gräber ihrer Angehörigen auf dem Stahnsdorfer Friedhof nur unter erschwerten Bedingungen besuchen konnten. Im November 1952 erließ der Ostberliner Magistrat die »Verordnung über Spekulation mit Lebensmitteln und Industriewaren«, die beim Kauf der entsprechenden Waren die Vorlage eines gültigen DDR-Personalausweises verlangte. Sie wurde von den meisten Ostberlinern, die ansonsten von den »Schutzmaßnahmen« vom Mai 1952 beim Besuch Westberlins kaum behindert wurden, begrüßt, weil das Währungsgefälle zwischen West und Ost (»Wechselstubenkurs«) Westberliner bevorteilte.

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     Die Westmächte protestierten bei der Sowjetunion wegen Verletzung des sog. Viermächtestatus. Im Gegenzug blockierten die Briten bis 1956 das Gebäude des zum DDR-Rundfunk gehörenden »Berliner Rundfunks« in der Masurenallee, das somit von deutschen Mitarbeitern nicht mehr betreten werden konnte.
     Den weiteren Verlust an politischem Ansehen in Westberlin konnten die SED und ihre Massenorganisationen auch nicht durch massierte »Westeinsätze« ihrer Mitglieder, bei denen Propagandamaterial verteilt wurde, wettmachen.
     Was die Berliner damals dachten, geht - trotz »geschönter« Darstellung - aus den vom Amt für Information beim Magistrat angefertigten Stimmungsberichten hervor.

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In den Diskussionen in den Betrieben über die Maßnahmen der Regierung zum Schutz der Deutschen Demokratischen Republik kommt immer wieder zum Ausdruck, daß diese Maßnahmen gutgeheißen werden.
     In der letzten Zeit werden des öfteren Forderungen laut, daß der Magistrat beschließen soll, daß den Westberlinern die Möglichkeit des Einkaufs im demokratischen Sektor genommen wird.
     Auch die Westberliner, die sich in den eingerichteten Passierscheinstellen um eine Genehmigung zur Fahrt in die DDR zu holen befinden,

haben teilweise Verständnis für diese Maßnahmen. Die Diskussionen sind jedoch meistens noch recht negativ.
     Der größte Teil der Antragsteller setzt sich aus Kleingartenbesitzern und Siedlern zusammen, die immer wieder die Forderung stellen, daß man ihnen Dauerausweise zur Verfügung stellt. Eine besondere Frage taucht bei den Westberlinern auf, die im demokratischen Sektor arbeiten und für die Passierscheine 3.- Westmark bezahlen müssen. Sie sind der Auffassung, daß dies eine unbillige Härte ist, weil der Umtausch, der ihnen von der Westverwaltung gewährt wird, sowieso nur für das Notwendigste reicht.
     Obwohl sich in den Passierscheinstellen Agitatoren aufhalten, die die Westberliner über die Notwendigkeit dieser Maßnahmen aufklären, treten immer wieder Provokateure aus Westberlin in Erscheinung, die durch Provokationen die übrigen aufzuputschen versuchen.
     Bei Diskussionen mit Westberlinern kam zum Ausdruck, daß von der Westberliner Bevölkerung die Blockierung des Rundfunkhauses zwar teilweise beifällig aufgenommen wurde, daß sie aber der Auffassung sind, daß diese Maßnahme ein Schlag ins Wasser war, weil der Berliner Rundfunk nach wie vor in Tätigkeit ist. Sie erklärten: »Die Briten glaubten, mit der Sperrung der Masurenallee den 'Osten' zu treffen, was aber nicht der Fall war.«
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Sie sind der Meinung, die Sperre sollte zeigen, wie stark der Westen ist; dies ist aber nicht gelungen.
     (Stimmungsbericht vom 17. Juni 1952)

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Die Diskussionen über die Maßnahmen der Regierung zum Schutze der Deutschen Demokratischen Republik haben bei der Bevölkerung des demokratischen Sektors erheblich nachgelassen. Die Bevölkerung steht zum großen Teil auf dem Standpunkt, daß diese Maßnahmen durchaus gerechtfertigt sind und im Interesse unserer Bevölkerung getroffen wurden.
     Wesentliche Diskussionen und vollkommene Unklarheiten herrschen noch immer bei den Bewohnern der Westsektoren. Hier ist die Beeinflussung durch RIAS und die westlichen Zeitungen so groß, daß sie den Argumenten der Kriegshetzer bedingungslos Glauben schenken. Die Westberliner Bevölkerung sieht noch nicht, daß sich durch die Unterzeichnung des Generalkriegsvertrages ihre eigene Lage täglich verschlechtert und daher der Kampf gegen die amerikanischen Imperialisten und ihre Helfer Adenauer, Reuter und seinen Senat geführt werden muß.
     Im Monat Juni wurden gegen den Generalkriegsvertrag von den Berliner Organisationen insgesamt 325 000

Druckerzeugnisse der verschiedenen Parteien und Massenorganisationen herausgegeben.
     In der Schule Albrechtstr. 27 wurde im Gegenwartskundeunterricht die Frage der Unterbrechung der Telefonleitung zu dem demokratischen Sektor und Westberlin diskutiert. Der größte Teil der Schüler kam, durch RIAS-Argumente beeinflußt, mit starker Voreingenommenheit in die Klasse, und es wurde behauptet, die »Russen« hätten böswillig (wie immer) die Leitung unterbrochen.
     (Stimmungsbericht vom 3. Juli 1952)

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Die Verordnung des demokratischen Magistrats von Groß-Berlin zur Verhinderung der Spekulation mit Lebensmitteln und Industriewaren ist von der Bevölkerung des demokratischen Sektors mit Begeisterung aufgenommen worden. Endlich sehen sich unsere berufstätigen Hausfrauen in der Lage, auch in den Abendstunden in Ruhe auszuwählen und einzukaufen. Sorglos sehen sie dem Weihnachtsfest entgegen, denn sie wissen, Magistrat und Regierung haben ihnen ihren Anteil gesichert. Dementsprechend ist die Stimmung der Bevölkerung bei uns. Alle sind zufrieden mit den durchgeführten Maßnahmen. Nur vereinzelt fanden Angstkäufe statt.

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     Besonders auffallend ist an den Sektorengrenzen, daß schon zu Beginn des Monats Dezember Kunden mit vollständig leergekauften Stammabschnitten der Dezember-Lebensmittelkarte einkauften. Hier liegt die Vermutung nahe, daß der Gegner bereits unsere Lebensmittelkarten-Stammabschnitte nachgedruckt hat und schwunghaften Handel damit treibt.
     Für Westberlin gaben die Nationale Front, die FDJ-Bezirksleitung, die SED-Landesleitung, der FDGB und der DFD zum Friedensvertrag und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands heraus:
 
3verschiedeneBroschürenGesamt-Auflage126.000Exemplare
6''Traktate'' 46.000''
11''Flugblätter''38.000''
5''Klebezettel''28.000''
5''Streuzettel''18.000''
2''Handzettel''12.500''
2''Losungsstreifen''11.000''
1PlakatAuflage3.000''

     (Stimmungsbericht vom 5. Dezember 1952)
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1996
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