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Eberhard Fromm
Max Stirner:
»Ich hab mein Sach' auf Nichts gestellt«

Wer seine Ansichten so zugespitzt und provokant formuliert, daß manche Zeitgenossen dahinter sogar eine nicht ganz ernstgemeinte Persiflage zu sehen meinten, muß sich nicht wundern, wenn das Pro und Kontra zu seinen Positionen besonders laut und scharf erfolgt. Für Johann Caspar Schmidt, der sich als Schriftsteller Max Stirner nannte, war dies eine bittere Erfahrung in den Jahren des Vormärz; bitter vor allem auch deshalb, weil er eigentlich nur das Kontra seiner Zeit erlebte; denn Fürsprecher fanden sich bis auf wenige Ausnahmen erst lange nach seinem Tod - und auch dann meist mit vielen Einschränkungen.

Mit einem Buch wurde er über Nacht berühmt

So aufreizend provozierend die theoretischen Auffassungen Max Stirners auch waren - sein Leben verlief in recht geruhsamen Bahnen. Als Johann Caspar Schmidt wurde er am 25. Oktober 1806 in Bayreuth als Sohn eines Instrumentenmachers geboren.

Nach dem erfolgreichen Abschluß des Gymnasiums in seiner Heimatstadt nahm er ab 1826 ein Studium der Theologie, Philologie und Philosophie in Berlin, Erlangen und Königsberg auf. Nach dem Studium kam er 1835 nach Berlin, wo er zuerst als Lehrer am Gymnasium tätig war, bevor er einige Zeit an einer höheren Töchterschule lehrte, um sich schließlich ganz als Privatgelehrter zurückzuziehen und nebenbei journalistische Arbeiten zu liefern, unter anderem für die »Rheinische Zeitung«.
     Stirner gehörte inhaltlich zu jener Gruppierung Berliner Intellektueller, die sich links von Hegel als »Junghegelianer« verstanden und zu deren Wortführern Bruno Bauer und Edgar Bauer zählten. Ihre Bemühungen liefen darauf hinaus, die kritischen Positionen der Hegelschen Dialektik auszubauen und sie gegen gesellschaftliche wie geistige Reaktion zu richten. Dabei stellte die konsequente Religionskritik eine zentrale Achse dar. Im Klub der »Freien«, der 1841 entstanden war, verkehrte Stirner unter anderen kritischen Köpfen dieser brisanten Vormärz-Epoche. Insgesamt jedoch blieb er in der öffentlich wirksamen Tätigkeit äußerst zurückhaltend. So kam seine Berühmtheit faktisch plötzlich mit seinem Buch »Der Einzige und sein Eigenthum«, dessen Drucklegung 1844 im Verlag Otto Wigand in Leipzig erfolgte, das aber die Jahreszahl 1845 trägt.
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Aus der Widmung - »Meinem Liebchen Marie Döhnhardt« - erfährt man den Namen seiner Frau - und eine Anschauung, die ihn über Nacht zum intellektuellen Streitobjekt werden ließ. »Das Buch blitzte meteorgleich auf, machte kurze Zeit viel von sich reden, um dann auf Decennien hinaus in Vergessenheit zu sinken«, schrieb 1895 E. V. Zenker in seiner Schrift »Der Anarchismus«.
     Neben diesem Buch, einer Reihe von Artikeln und einer zweibändigen »Geschichte der Reaktion« sind von Stirner nur noch umfängliche Übersetzungen aus dem Englischen bekannt, so Werke von Say und Adam Smith.
     Max Stirner starb am 26. Juni 1856 in Berlin, bereits vergessen von seinen Zeitgenossen. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Kirchhof der Sophien-Gemeinde, Bergstraße 29. Erst 1947 wurde in Berlin-Steglitz eine Straße nach ihm benannt.
     Zu seinen Lebzeiten gab der Publizist Julius Faucher (1820-1878) in Berlin 1850 die Zeitung »Die Abendpost« heraus, in der Stirners Ideen bekanntgemacht wurden. Faucher war damit einer der wenigen, die als Anhänger Stirners öffentlich auftraten. Sein Blatt wurde jedoch bald unterdrückt, und er wanderte nach England aus. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts griffen Anhänger des Anarchismus verstärkt auf Stirners Positionen zurück. Der Schotte John Henry Mackay (1864-1933), der seit 1892 in Berlin lebte und Anhänger anarchistischer Ideen war, gab 1898
eine erste Biographie Stirners (Max Stirner. Sein Leben und sein Werk. Berlin 1898) heraus.

Nur beißender Spott für Sankt Max

Das Buch »Der Einzige und sein Eigenthum« ist eine ausgesprochene Streitschrift, die sowohl auf zugespitzte Weise die eigenen Ansichten verficht, als auch mit scharfer Polemik auf die Positionen anderer Autoren der Zeit reagiert. In den inhaltlichen Grundzügen wird es von einem radikalen Atheismus bestimmt. Jede Ideenwelt - nicht nur das Religöse - erscheint als eine Form des »Pfaffentums«. Nachdrücklich polemisiert Stirner sogar gegen Ludwig Feuerbach, weil ihm dessen Religionskritik nicht konsequent genug erscheint. Feuerbach greife nach dem Inhalt des Christentums, nicht, um ihn wegzuwerfen, sondern um ihn an sich zu reißen und auf ewig zu behalten, meint Stirner.
     Bei Feuerbach werde der Satz »Gott ist die Liebe« durch die Aussage »Die Liebe ist göttlich« ersetzt.
     Im Mittelpunkt des Buches »Der Einzige und sein Eigenthum« steht ein grenzenloser Individualismus, ein klares Bekenntnis zum Egoismus. »Was du zu sein die Macht hast, dazu hast du das Recht. Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her; denn Ich bin zu allem berechtigt, dessen Ich mächtig bin.« Von dieser Position aus wird auch die Stellung zum Eigentum bestimmt.

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Während sein französischer Zeitgenosse Pierre Proudhon das Eigentum für Diebstahl erklärt und daraus Schlußfolgerungen des Kampfes gegen das Eigentum zieht, geht Stirner umgekehrt vor: »Was ist mein Eigentum? Nichts, als was in meiner Gewalt ist! - Zu welchem Eigentum bin ich berechtigt? Zu jedem, zu welchem ich mich - ermächtige. Das Eigentumsrecht gebe Ich Mir, indem Ich Mir Eigentum nehme, oder Mir die Macht des Eigentümers, die Vollmacht, die Ermächtigung gebe.«
     Es ist nur zu verständlich, daß von solchen Auffassungen aus der Autor gegen die kapitalistische Entwicklung seiner Zeit, gegen den politischen Liberalismus und ebenso gegen die kommunistischen Ideen seiner Zeit zu Felde zieht. So wendet er sich gegen das kommunistische Prinzip, wonach die Gesellschaft, die Gemeinschaft die Eigentümerin sei, weil damit nur ein neuer Spuk, »ein neues höchstes Wesen, das Uns in Dienst und Pflicht nimmt«, entstehe. Zwar sei die Kritik an der Unterdrückung, die die Eigentümer ausübten, richtig, doch sieht Stirner die Gefahr im Kommunismus, daß die Gewalt noch grauenvoller sei, die er der Gesamtheit aushändige. »Nach der Meinung der Kommunisten soll die Gemeinde Eigentümerin sein. Umgekehrt, Ich bin Eigentümer, und verständige Mich nur mit Andern über mein Eigentum.
Macht Mir's die Gemeinde nicht recht, so empöre Ich Mich gegen sie und verteidige mein Eigentum. Ich bin Eigentümer, aber das Eigentum ist nicht heilig.«
     Mit Stirners Ansichten haben sich Karl Marx und Friedrich Engels besonders scharf - vor allem in der »Deutschen Ideologie« - auseinandergesetzt. Aber auch Moses Heß attackierte in seiner Schrift »Die letzten Philosophen« die Ideen Stirners. Und nicht zuletzt wehrte sich Ludwig Feuerbach (»Über das >Wesen des Christentums< in Beziehung auf den >Einzigen und sein Eigenthum<«) gegen die Angriffe Stirners. Während jedoch Marx und Engels nur beißenden Spott für »Sankt Max« übrig haben, hält Feuerbach Stirner für den »genialsten und freiesten Schriftsteller«, den er kennengelernt habe, und urteilt über »Der Einzige und sein Eigenthum« so: »Es ist ein höchst geistreiches und geniales Werk und hat die Wahrheit des Egoismus - aber exzentrisch, einseitig, unwahr fixiert - für sich.«

Denkanstöße

Weil unsere Zeit nach dem Worte ringet, womit sie ihren Geist ausspreche, so treten viele Namen in den Vordergrund und machen alle Anspruch darauf, der rechte Name zu sein. Auf allen Seiten zeigt unsere Gegenwart das bunteste Parteiengewühl, und um den verwesenden Nachlaß der Vergangenheit sammeln sich Adler des Augenblicks.

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     Es gibt aber der politischen, sozialen, kirch lichen, wissenschaftlichen, künstlerischen, moralischen und anderer Leichname überall eine große Fülle, und ehe sie nicht alle verzehrt sind, wird die Luft nicht rein, und der Atem der lebenden Wesen bleibt beklommen.
     Ohne unser Zutun bringt die Zeit das rechte Wort nicht zutage; wir müssen alle daran mitarbeiten. Wenn aber auf uns dabei soviel ankommt, so fragen wir billig, was man aus uns gemacht hat und zu machen gedenkt; wir fragen nach der Erziehung, durch die man uns zu befähigen sucht, die Schöpfer jenes Wortes zu werden. Bildet man unsere Anlage, Schöpfer zu werden, gewissenhaft aus, oder behandelt man uns nur als Geschöpfe, deren Natur bloß eine Dressur zuläßt?
     Ein Wissen, welches sich nicht so läutert und konzentriert, daß es zum Wollen fortreißt, welches mich nur als ein Haben und Besitz beschwert, statt ganz und gar mit mir zusammengegangen zu sein, so daß das freibewegliche Ich, von keiner nachschleppenden Habe geniert, frischen Sinnes die Welt durchzieht, ein Wissen also, das nicht persönlich geworden, gibt eine ärmliche Vorbereitung aufs Leben ab. Man will es nicht zur Abstraktion kommen lassen, worin doch erst die wahre Weihe allem konkreten Wissen verliehen wird: denn durch sie wird der Stoff wirklich getötet und in Geist verwandelt, dem Menschen aber die eigentliche und letzte Befreiung gegeben.
Nur in der Abstraktion ist die Freiheit: der freie Mensch nur der, welcher das Gegebene überwunden und selbst das aus ihm fragweise Herausgelockte wieder in die Einheit seines Ichs zusammengenommen hat.
     Die Einsicht muß aber allgemeiner werden, daß nicht die Bildung, die Zivilisation, die höchste Aufgabe des Menschen ausmacht, sondern die Selbstbetätigung. Wird darum die Bildung vernachlässigt werden? Geradesowenig, als wir die Denkfreiheit einzubüßen gesonnen sind, indem wir sie in die Willensfreiheit eingehen und sich verklären lassen. Wenn der Mensch erst seine Ehre darein setzt, sich selbst zu fühlen, zu kennen und zu betätigen, also in Selbstgefühl, Selbstbewußtsein und Freiheit, so strebt er von selbst, die Unwissenheit, die ihm ja den fremden, undurchdrungenen Gegenstand zu einer Schranke und Hemmung seiner Selbsterkenntnis macht, zu verbannen. Weckt man in den Menschen die Idee der Freiheit, so werden die Freien sich auch unablässig immer wieder selbst befreien; macht man sie hingegen nur gebildet, so werden sie sich auf höchst gebildete Weise allzeit den Umständen anpassen und zu unterwürfigen Bedientenseelen ausarten.
     Aus: Das unwahre Prinzip unserer Erziehung oder der Humanismus und Realismus (1842)
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Ein Mensch sein, heißt nicht das Ideal des Menschen erfüllen, sondern sich, den einzelnen, darstellen. Nicht wie sich das allgemein Menschliche realisiert, braucht meine Aufgabe zu sein, sondern wie ich mir selbst genüge. Ich bin meine Gattung, bin ohne Norm, ohne Gesetz, ohne Muster ...
     Denn die Eigenheit ist die Schöpferin von Allem, wie schon längst die Genialität (eine bestimmte Eigenheit), die stets Originalität ist, als die Schöpferin neuer weltgeschichtlicher Produktionen angesehen wird! ...
     Unter der Ägide der Freiheit werdet Ihr Vielerlei los, aber Neues beklemmt Euch wieder; den Bösen seid Ihr los, das Böse ist geblieben. Als Eigene seid Ihr wirklich Alles los, und was Euch anhaftet, das habt Ihr angenommen. Das ist Eure Wahl und Euer Belieben. Der Eigene ist der geborene Freie, der freie von Haus aus. der Freie dagegen wird der Freiheitssüchtige, der Träumer, der Schwärmer.
     Meine Macht ist mein Eigentum, Meine Macht gibt Mir Eigentum, Meine Macht bin ich selbst und ich bin sie durch mein Eigentum.
     Mir, dem Egoisten, liegt das Wohl dieser »menschlichen Gesellschaft« nicht am Herzen, Ich opfere ihr nichts, Ich benutze sie nur; um sie aber vollständig benutzen zu können, verwandle Ich sie vielmehr in mein Eigentum und mein Geschöpf, d. h. Ich vernichte sie und bilde an ihrer Stelle den Verein der Egoisten.
Ich leite alles Recht und Alle Berechtigung aus Mir her; denn Ich bin zu allem berechtigt, dessen Ich mächtig bin ... Ich bin nur zu dem nicht berechtigt, was Ich nicht mit freiem Muthe thue, d. h., wozu Ich Mich nicht berechtige. Ich entscheide, ob in Mir das recht ist, ausser Mir giebt es kein Recht. Ist es Mir recht, so ist es Recht. Möglich, dass es darum den Anderen noch nicht recht ist, das ist ihre Sorge, nicht meine, sie mögen sich wehren. Und wäre etwas der ganzen Welt nicht recht, Mir aber wäre es recht, d. h. Ich wollte es, so früge Ich nach der ganzen Welt nichts. So macht es Jeder, der sich zu schätzen weiss und Jeder in dem grade, als er Egoist ist, denn Gewalt geht vor Recht und zwar mit vollem Recht.
     Aus: Der Einzige und sein Eigenthum (1845)
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1996
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