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Windmühlen unter Denkmalschutz

Auf einer Fußtour von Neukölln nach Tempelhof entdeckt

Diese Tour führt vom U-Bahnhof Wutzkyallee (Bezirk Neukölln) zum U-Bahnhof Alt-Mariendorf (Bezirk Tempelhof). Sie erleben eine Begegnung mit den letzten sehenswerten Windmühlen in der heutigen Stadtlandschaft Berlins. (Eine für touristische Zwecke wiedererrichtete Windmühle befindet sich seit einiger Zeit auch am früheren Standort in Marzahn.) Die ca. 13 Kilometer lange Wanderung führt weitgehend durch erholsame Grünzonen. Fast vergißt man, daß die rasch expandierende Großstadt seit Ende des 19. Jahrhunderts märkische Dörfer ihres engeren Umlandes gleichsam überrollte.
     Ausgangspunkt der Tour ist der U-Bahnhof Wutzkyallee (1) in der Gropiusstadt (Ortsteil Rudow). 1962 erfolgte die Grundsteinlegung für diesen Ortsteil, in dem jetzt 50 000 Menschen leben. Als reine »Schlafstadt« angelegt, weist sie vielfältigste architektonische Elemente auf, die von Villen bis zu 30stöckigen Hochhäusern reichen. Walter Gropius (1883-1969), von dem das ursprüngliche städtebauliche Gesamtkonzept stammte, erlebte die Fertigstellung des 1972 nach ihm benannten Viertels nicht mehr.



Die Adlermühle in Berlin-Mariendorf

Seine Pläne wurden mehrmals verändert, die ursprünglichen Entwürfe sind nur zum geringen Teil verwirklicht worden. Den Mangel an sozialen Einrichtungen, die die Kommunikation fördern könnten, hatte im übrigen schon der Architekt beklagt.
     Über die Wutzkyallee, die ihren Namen dem Berliner Kommunalpolitiker und Stadtältesten Emil Wutzky (1871-1963) verdankt, den Efeuweg und einen Fußweg rechts vom Sportplatz gelangen wir in die Lipschitzallee, Ortsteil Buckow. Sie wurde nach dem früheren sozialdemokratischen Innensenator Joachim Lipschitz (1918-1961) benannt.

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In dieser Allee befindet sich die symbolhaft-moderne Kirche der evangelischen Dreieinigkeitsgemeinde (2), die von 1969 bis 1971 nach Plänen von Reinhold Barwich errichtet wurde.
     Gegenüber der Kirche führt die sanft ansteigende Goldammerstraße in ein Gebiet kleiner Villen und achtgeschossiger Häuser. Unerwartet öffnet sich uns der Blick auf die wohl älteste Windmühle Berlins: die Jungfernmühle (3). Die 1753 ursprünglich in Potsdam plazierte Mühle wurde 1858 nach Rixdorf und 1892 an ihren jetzigen Standort verlegt. Seitdem Müller Wienecke - als damals letzter seiner Zunft - im März 1980 den Betrieb aufgegeben hat, verfällt die Mühle. Sie steht ohne Flügel da und wartet auf ihre Rekonstruktion im Zuge der Neugestaltung des »Nachbarschaftsplatzes«. Flachbauten und »Holländer-Häuser« bieten neben Wohnungen und Ateliers auch Raum für Restaurants, Arztpraxen und moderne Geschäfte.
     Über die Goldammerstraße, die Fritz-Erler-Allee, den Löwensteinring und die Karsenzeile erreichen wir das Einkaufs- und Dienstleistungszentrum am U-Bahnhof Johannisthaler Chaussee (4). Die günstige U-Bahn-Anbindung der Gropiusstadt an die Berliner Innenstadt (12 Minuten bis zum Hermannplatz; 30 Minuten bis zum Adenauerplatz) hebt manche Nachteile ihrer Stadtrandlage wieder auf.
Die Tour folgt nun jenseits der Johannisthaler Chaussee der Grünzone über der (ursprünglich als oberirdische Trasse geplanten) U-Bahn-Linie 7. Vor dem letzten der 14stöckigen gelblichen Hochhäuser wenden wir uns nach links und gelangen zu einem, in Stadtplänen nur als »Hochspannungsweg« gekennzeichneten, schnurgeraden Pfad. Er führt zwischen den Kleingartenkolonien »Neuland I und II« hindurch und überquert die Gleise der Neukölln-Mittenwalder-Eisenbahn (NME), die im Jahre 1900 eröffnet und einst rege für den Personen- und Güterverkehr genutzt wurde. Jetzt verbindet sie mit etwa neun Kilometer Streckenlänge den Güterbahnhof Neukölln östlich der Hermannstraße und das Kraftwerk Rudow am Teltowkanal. Wird rechts dem Dachdeckerweg gefolgt, erblicken wir bald die 20 Meter hohe Britzer Mühle (5). Nach einem der ehemaligen Besitzer wird sie auch Stechhan'sche Mühle genannt.
     1865/66 erbaut, bis 1936 durch Windkraft angetrieben und danach mit einem Dieselmotor betrieben, wurde die Mühle 1955 (nach Beseitigung der Kriegsschäden) unter Denkmalschutz gestellt. Das Müllerhaus wurde 1984 wiederhergestellt. 1986 übernahm der Holländer Piet Leeuw die Mühle und stellte ihre volle Funktionsfähigkeit wieder her. Seither werden hier wieder Müller und Müllerinnen ausgebildet. 1988 trat die frisch ausgebildete Müllerin Suzanne Smith Leeuws Nachfolge an.
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Betrieb und Unterhalt der Mühle obliegen dem Britzer Müller Verein e. V. in Zusammenarbeit mit der Britzer Garten GmbH Berlin. Empfehlenswert ist eine Mühlenführung ( in den Wintermonaten werden sie allerdings nicht durchgeführt). Wer die Zeit zu einem Mahl für gekommen hält, wird im Restaurant »Britzer Mühle« (im ehemaligen Müllerhaus), Buckower Damm 130, eine angenehme Atmosphäre vorfinden.
     Die Tour folgt nun dem Buckower Damm und beim Eingang zum Britzer Garten wieder dem Hochspannungsweg. Wer die nötige Zeit mitbringt und noch gut zu Fuß ist, dem sei zum Besuch dieses 87 Hektar großen Erholungsparks geraten.
Er wurde im Rahmen der Bundesgartenschau 1985 vom Landschaftsarchitekten Wolfgang Miller entworfen. Erstmals entstand im Westteil Berlins eine Parkanlage, die in Harmonie und Schönheit sowie in ihrer Erholungsvielfalt in freier Natur für Berlin einmalig ist. Im Parkzentrum wurde ein See von acht Hektar Größe angelegt. Die den See umgebenden Berge (der höchste von ihnen mißt 63 Meter) bieten imposante Rundblicke auf die Stadtlandschaft. Der Rosengarten wie der Hexengarten mit Heilkräutern, die Sonnenuhr und der Kalenderplatz verdienen die Aufmerksamkeit. Wer sich für die weitere Tour etwas schonen will, dem sei die Museumsbahn für eine Rundfahrt ans Herz gelegt.

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     Wir verlassen den Britzer Park wieder am Eingang Buckower Damm. In Höhe der »Baumschule Neukölln«, über den Leonberger Ring, den Rufacher Weg und den Fläzstein-Pfad, unternehmen wir einen kleinen Abstecher zur Dorfaue Alt-Buckow (6). Das ehemalige Angerdorf wurde erstmals 1373 urkundlich genannt. Über die Eingemeindung nach Groß-Berlin 1920 hinaus hat sich, nicht zuletzt wegen der lange Zeit schlechten Verkehrsanbindung, der ländliche Charakter des Ortsteils erhalten. Erst mit dem Bau der Gropius-Stadt erfolgte der U-Bahn-Anschluß.
     Wir treffen hier auf eine der schönsten Dorfkirchen Berlins, die vermutlich Mitte des 13. Jahrhunderts erbaut wurde. Die Kirche ist ein gewaltiger Rechteckbau mit dem typischen wehrhaften Westturm, aus Quader- und Feldsteinen errichtet. In ihr befinden sich bemerkenswerte Kunstwerke, darunter der älteste Berliner Epitaph für den 1412 gefallenen Johann von Hohenlohe aus der Klosterkirche im Bezirk Mitte. Zu den Raritäten gehört auch ein Bildnis des Berliner Bürgermeisters Andreas Lindholz (gest. 1665).
     Über die Straße Alt-Buckow und den Breitunger Weg gelangen wir wieder auf den Hochspannungsweg. Die Tour folgt an dessen Ende dem Quarzweg, dem Feldspatweg, vorbei an den Sportplätzen zum Ankogelweg und schließlich zum Albulaweg. Am Beginn der Säntisstraße erblicken wir die Adlermühle (7),
die wohl stattlichste Mühle der Mark Brandenburg. Ursprünglich am Schlesischen Busch (Bezirk Treptow) errichtet, hatte sie nach 1888 wegen Windmangels »umziehen« müssen, ein gar nicht so seltenes »Schicksal« von Berliner Mühlen. Die Adlermühle war bis 1938 am neuen Standort in Betrieb. 1959 gab Müller Friese seinen Versuch auf, in der seit 1936 unter Denkmalschutz stehenden Mühle einen Neubeginn zu wagen. Die Stadt Berlin übernahm 1964 die Mühle, überließ sie dann aber fünf Jahre später dem Schwimmverein »Friesen 1895« in Pacht als Vereinshaus. Mit großem Aufwand ist die Mühle in alter Pracht wiederhergestellt worden.
     Den sehenswerten Dorfkern von Alt-Mariendorf erreichen wir mit dem Bus oder über den an der Mühle vorbeiführenden Buchsteinweg, den Birnhornweg und den Hirzerweg. Dieser führt an der Rückseite der am 9. April 1913 feierlich eingeweihten Trabrennbahn vorbei, in deren Stallungen ständig über 800 Pferde bereitstehen sollen. Das Ende der Weißenseer Trabrennbahn im Jahre 1912 bedeutete die Geburt der Mariendorfer Bahn. 1973 erhielt sie aus Anlaß ihres 60jährigen Bestehens das damals modernste Tribünenhaus Europas.
     Nach Durchquerung der Freiberger Straße, der Wilhelm-Pasewaldt-Straße und des Forddamms befinden wir uns nun im Zentrum von Alt-Mariendorf. (8)
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Hier können sehenswerte Bauernhäuser und die eindrucksvolle, mehrfach umgebaute Dorfkirche aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bewundert werden. Das Heimatmuseum Tempelhof in der ehemaligen Gemeindeschule gibt allen Interessierten einen Überblick über weitere Aspekte des Lokalgeschehens. Wohlverdiente Stärkung versprechen die Gaststätten »Zur alten Dorfschänke«, »Landhaus Alt-Mariendorf« oder »Kastanienstübchen«.

Kleiner Exkurs: Windmühlen in Berlin

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurden im Süden des heutigen Stadtgebietes (Buckow und Rudow) die ersten Windmühlen errichtet. Infolge eines regelrechten Windmühlenbau-Booms erhöhte sich ihre Zahl bald auf 150 bis 200. Mehrere Mühlen- und Müllerstraßen erinnern an diese Zeit. Ältere Ansichten und Fotos zeigen Windmühlen auch in der Nähe des historischen Stadtzentrums, auf dem Prenzlauer Berg, am Halleschen Tor und nahe der Oberbaumbrücke. Bei der Umgestaltung des Köllnischen Parkes am Märkischen Museum wurde 1969 der Feldsteinsockel einer Windmühle aus der Zeit um 1700 freigelegt.
     Die meisten Mühlen waren aus Holz erbaut und standen auf einem Block (»Blocksmühlen«), der ein Drehen der gesamten Mühle in den Wind ermöglichte.

     Wesentlich mehr Bauaufwand erforderte der im 17. Jahrhundert entwickelte Typ der »Holländer-Mühlen«, dem die drei am Wege liegenden Mühlen zuzuordnen sind. Ihr Fundament wurde festgemauert. In den Wind gedreht wird hier nur die auf Rollen gelagerte, tonnenschwere Haube der Mühle mit dem Flügelkreuz.
     Gegen mit Dampfkraft angetriebene Mühlen konnten sich die Windmühlen dann jedoch nicht mehr behaupten. Mitte des 19. Jahrhunderts setzte das erste große Mühlensterben in Berlin ein. Im innerstädtischen Bereich waren die Mühlen bald »eingebaut« und mußten, sollte der Betrieb aufrechterhalten bleiben, an den Stadtrand ausweichen. Elektrisch betriebene Großmühlen waren nach 1900 Ursache für ein zweites Mühlensterben.
     Beim Besuch der voll funktionsfähigen Britzer Mühle nicht vergessen: Einem Müller entbietet man traditionell den Gruß »Glück zu«.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/1996
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