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Hans-Heinrich Müller
Ein Unternehmer in feudaler Zeit

Paul Benedikt Philipp Leonhard von Wolff (1744-1805)

Das Leben Wolffs ist eng mit dem »Lagerhaus« in der Klosterstraße verbunden. Es wurde 1380 als das »Hohe Haus« erbaut und war Sitz des ersten Landtages unter den askanischen Markgrafen; hier leisteten die märkischen Stände dem ersten Hohenzollern den Huldigungseid; es war Wohnung des Gouverneurs von Berlin während der Regierungszeit des Großen Kurfürsten; 1705 Ritterakademie, dann Pagenhaus, bis 1713 der Kaufmann, Bankier und spätere Etatsminister Johann Andreas von Krautt (1661-1723), verantwortlich für Handel und Gewerbe, mit Billigung des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. in diesem Gebäude die erste Tuchmanufaktur Preußens errichtete, die eingeführte spanische Wolle zu feinen Tuchen verarbeitete. Nach dem Tode Krautts wurde das Lagerhaus, weil es sich nicht recht rentierte, dem Militärwaisenhaus in Potsdam vermacht, und zwar mit dem königlichen Privileg, daß die Armee, Offiziere wie Gemeine, ihre Uniformstoffe nur aus dem Lagerhaus zu decken habe und die Kaufleute verpflichtet wurden,

alle Tuche und Zeuge, die die »Fabrik« herzustellen in der Lage sei, nur von ihr zu beziehen. Das Lagerhaus, verwaltet von einer staatlichen Kommission von Offizieren und Beamten, erhielt dadurch eine Monopolstellung, die es ermöglichte, die Kosten für das Waisenhaus zu tragen. 1)
     Friedrich der Große erkannte bald, daß dieses großangelegte Unternehmen sich nur dann günstig entwickeln könne, wenn tüchtige und erfahrene Fachkräfte das Lagerhaus leiten. So berief er 1764 den aus Flandern nach Aachen eingewanderten Tuchmacher Henri Schmits (später Heinrich Schmitz) als Erbpächter an die Spitze des Lagerhauses, der bedeutendsten Tuchmanufaktur Preußens, bestehend aus Weberei, Färberei und Appretur, ferner aus der Spinnerei für feinere Garne, während die Garne für Mannschaftstuch an Soldatenfamilien in Berlin und auch nach auswärts zum Spinnen vergeben wurden.
     Wolff, der am 7. Juli 1776 die 17jährige Tochter Schmits, Maria Katharina, geheiratet hatte, trat aufgrund der verwandtschaftlichen Bindungen in die Verwaltung des Lagerhauses ein. Geboren am 2. Februar 1744 in Berlin, war er der Sohn des Amtmannes Johann Georg Wolff, Verwalter der von Saldernschen Güter Plattenburg, später Pächter der Domänen Abbendorf und Havelland in der Prignitz, der schon seit 1757 als Hypothekengläubiger auf verschiedenen Berliner Grundstücken erwähnt wird, darunter das später seinem Sohn gehörige Haus Neue Friedrichstraße 16.
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Der junge Paul Benedikt war 1766 mitbeteiligt an der Gründung der Berliner »Brennholzoctroi«, einer Gesellschaft zur Versorgung von Berlin und Potsdam mit Brennholz, und als einer ihrer Pächter erwarb er sich dabei ein größeres Vermögen, bis Friedrich der Große die Gesellschaft 1785 verstaatlichte, da ihre Teilhaber nach seiner Ansicht zu viel in ihre eigenen Taschen gearbeitet hätten.

Das Fabrikendepartement ermahnte ihn mehrmals scharf

Nach dem Tode Schmits erbte sein Sohn Simon Andreas zwar das Unternehmen, da er aber den Aufgaben nicht gewachsen war, übernahm Wolff ab 1777 die Leitung des Lagerhauses und war seit 1781 Teilhaber; nunmehr gebot er über ein Heer von etwa 5 000 Beschäftigten. Unter seiner Leitung nahm das Unternehmen einen beträchtlichen Aufschwung. In einer von Zünften, Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit, in einer von Feudalverhältnissen beherrschten Wirtschaft hat Wolff die kapitalistische Organisation der Produktion vorangetrieben und 1785 bereits einen Umsatz von annähernd 500 000 Talern erzielt. Ein Großteil der Erzeugnisse, und zwar Uniformen und Uniformstoffe, wurde nach Rußland verkauft.
     Wolff entpuppte sich als »eine wahre Fabrikanten-Seele«, wie der Minister Johann Christoph von Wöllner (1732-1800) ihn bezeichnete. 2)

Er forderte 1787 energisch die »freie Disposition über unsere sämtliche Arbeiter« 3), senkte und zahlte niedrigste Löhne und forderte harte Bestrafung aufsässiger Arbeiter, die gegen die »Gewalttaten« Wolffs protestierten. Er drohte den Webern, ihre Webstühle wegzunehmen, wenn sie nicht zu niedrigeren Löhnen arbeiten wollten. Zusammen mit den Textilfabrikanten Moses Ries und Benjamin Elias Wolff genoß er den zweifelhaften Ruhm, daß gegen ihn die meisten Beschwerden der Arbeiter gerichtet waren, weshalb er mehrmals vom Fabrikendepartement scharf ermahnt werden mußte. Allein in der Zeit von 1782 bis 1786 wurden dieserhalb elf Kabinettsorders erlassen, die aber zumeist erfolglos blieben. Wolff vertrat selbstbewußt den ausgeprägt kapitalistischen Standpunkt: »Die Weber können klagen bei wem sie wollten, er würde mit seinen Dukaten - er erklärte sich sogar bereit fünftausend Louis d'or daranzusetzen - mehr als die Weber mit ihren Bettel-Pfennigen erreichen.« 4)

Adelstitel für »gute Kenntnisse im Ökonomiefache«

Um die Produktion zu forcieren und zu rationalisieren, setzte er als einer der ersten preußischen Fabrikanten sogar schon Maschinenspindeln ein, die er jedoch bereits vor 1796 wieder abschaffte, offenbar, weil sie technisch noch nicht ausgereift waren.

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Für seine Verdienste wurde ihm der Titel eines Geheimen Kommerzienrates und Kammerrates verliehen. Am 2. Oktober 1786 erhob ihn Friedrich Wilhelm II. in Anbetracht seiner »guten Kenntnisse und Wissenschaften im Ökonomiefache« in den erblichen Adelsstand. 5) Gleichzeitig hatte er geistliche Ämter inne. Schon am 8. Januar 1771 wurde er Kanonikus (Mitglied eines Domstifts, Chorherr), 1799 zum Dechant (Kirchlicher Vorsteher) und ein Jahr später zum Dekan des Stiftes und Kapitels zu Walbeck in der Provinz Sachsen ernannt.
     Einen Großteil seines angehäuften Vermögens legte er in Grundbesitz an. Im April 1773 erwarb Wolff die Güter und Vorwerke Frankenfelde, Cawelswerder, Marienhof, Altwriezen, Alt- und Neubliesdorf am Rande des Oderbruchs und das Oderbruchetablissement Kerstenbruch, das er 1777 gegen das Gut Haselberg mit Vorwerk Rädikow unter Zuzahlung von 16 000 Talern tauschte.


Das »Hohe Haus« in der Klosterstraße um 1880
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Er verfügte über insgesamt 2 000 Hektar, die auch einem bürgerlichen Unternehmer nach preußisch-junkerlichen Idealen als standesgemäße und sichere Kapitalanlage dienten.
     Hauptsitz war Haselberg. Er ließ hier das Schloß durch Flügelbauten erweitern und gab 10 000 Taler für Möbelausstattung (Mahagoniholz) aus, errichtete Wirtschaftsgebäude aus Feldsteinen, was in der Umgebung für Aufsehen sorgte, legte einen größeren Park und Treibhäuser an, befestigte Wege und Obstbaumalleen zwischen seinen Gütern und nach Wriezen.
     Wolff betätigte sich auch hier als unternehmender und intelligenter Gutsherr und Landwirt. Nach erfolgter Separation der Gutsländereien mit den Bauernfeldern 1777 löste er sich 1781 vom System der erstarrten Dreifelderwirtschaft, um zur produktiveren Mecklenburgischen Koppelwirtschaft (Feldgraswirtschaft, bei der, im Wechsel von mehreren Jahren, etwa die eine Hälfte des Bodens als Ackerland, die andere als Weideland genutzt wird) überzugehen. Innerhalb weniger Jahre gelang es ihm, das Getreideaufkommen um etwa 25 bis 30 Prozent zu erhöhen, jährlich etwa 1 200 Tonnen Kartoffeln, eine unerhörte Menge in jener Zeit, zu ernten, allein vom Gut Frankenfeld pro Jahr etwa 63 Tonnen Klee und Kleesamen zu verkaufen und die Einnahmen aus der Woll- und Milchproduktion, die durch die Einführung spanischer Merinos und leistungsfähiger Rinderrassen und
Vergrößerung des Viehbesatzes verbessert wurden, um das Dreifache zu steigern. Die Gesamteinnahmen sind nach den Angaben der Wirtschafts- und Rechnungsbücher von 1777 bis Ende der 80er Jahre auf das Sechsfache gestiegen.
     Diese produktive Wirtschaft war durch Anwendung fortschrittlicher Wirtschaftsmethoden möglich geworden, die Wolff in England selbst kennengelernt hatte. Er beteiligte sich an einer für 1792 ausgeschriebenen landwirtschaftlichen Preisaufgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Seine Beantwortung erhielt ein Accessit, d. h. eine ehrenvolle Erwähnung der Akademie. In der auf eigene Kosten gedruckten Preisschrift beschrieb er die Einführung der »Mecklenburgischen Koppelwirtschaft« auf seinen Besitzungen, begründete ihre Anwendung in Brandenburg und hob ihre Überlegenheit gegenüber der veralteten Dreifelderwirtschaft hervor. 6) Allgemein galten die Güter von Wolff als Ausgangspunkt einer höheren landwirtschaftlichen Kultur im Oberbarnimer Kreis.

Lob vom Begründer der Landwirtschaftswissenschaft

Die vorbildliche Landwirtschaft, die Wolff auf seinen Gütern betrieb, die Parkanlagen und manche Lustbauten erschienen besuchenden Adligen wie ein »herbeigezaubertes Paradies«.

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Selbst der große Landwirt und Begründer der Landwirtschaftswissenschaft, Albrecht Thaer, fand anerkennende Worte, als er nach einer Besichtigung der Wolffschen Güter das Urteil abgab: »Vom eigentlichen Ackerbau hatte er anfangs nur beschränkte Begriffe. Aber er brachte die richtigen Grundsätze der Gewerbskunde aus dem Fabrikwesen mit hinüber zur Landwirtschaft ... Wird die Landwirtschaft auf großen Gütern mit wahrem Fabrikgeist betrieben, so wird es mit der Produktion unseres Landes, des ungünstigen Klimas ungeachtet, anders aussehen.« 7)
     Paul Benedikt von Wolff, der am 8. Mai 1805 in Haselberg verstarb, war in den Augen seiner Zeitgenossen, wie die »Spenersche Zeitung« in einem Nachruf schrieb, »ein ausgezeichnet tätiger und um den Staat sehr verdienter Mann von entschiedenen Verdiensten um die Landwirtschaft und den Gewerbefleiß überhaupt. Seine hinterlassenen ansehnlichen Güter und die Lagerhausfabrik geben die Belege dazu« 8); er war ein kapitalistischer Unternehmer in einer feudalen Zeit, der mit seinem Wirken dazu beitrug, die feudale Wirtschafts- und Sozialverfassung am Ende des 18. Jahrhunderts zu unterhöhlen.

Bildquelle:
Arendt-Torge, Berlin Einst und Jetzt, Berlin 1934

Quellen:
1 Vgl. dazu C. Hinrichs: Das Königliche Lagerhaus in Berlin, In: Forschungen zur BrandenburgischPreußischen Geschichte, Bd. 33, 1932, S. 46 ff.
2 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Rep. 92, Nachlaß Woellner, I, Nr. 8
3 H. Krüger: Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preußen, Berlin 1958, S. 250
4 Ebenda, S. 216
5 R. Schmidt: Paul Benedikt von Wolff, ein Oberbarnimer Landwirt, In: Oberbarnimer Kreiskalender, Heft 14, 1925, S. 159
6 H.-H. Müller: Akademie und Wirtschaft im 18. Jahrhundert. Agrarökonomische Preisaufgaben und Preisschriften der Preußischen Akademie der Wissenschaften (Versuch, Tendenzen und Überblick), Berlin 1975, S. 123 ff.
7 Annalen des Ackerbaues, Bd. 4, Berlin 1806, S. 467 ff.
8 R. Schmidt, a. a. O., S. 159
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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