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Jutta Schneider
Zwischen Rathaus und Preußenkönigen

Carl David Kircheisen
Bürgermeister, Stadtpräsident und Polizeidirektor (1704-1771)

Kircheisen war der erste Stadtpräsident nach dem Erlaß des neuen »Rathäuslichen Reglements der Königlichen Residentzien Berlin« durch Friedrich II. im Jahre 1747 und Polizeidirektor schon seit 1742, als eine Neuordnung des Polizeiwesens durch den Landesherrn vom 8. Oktober in Kraft trat. Seit diesen Verordnungen ist der Polizeidirektor Berlins gleichzeitig der Stadtpräsident und wird vom König eingesetzt.
     Neben seiner Tätigkeit in der Berliner Stadtverwaltung nahm Kircheisen weitere Ämter wahr, so das eines Königlich-Preußischen Legationsrates, eines Verordneten des Directoriums der mittelmärkischen Städtekasse (Deputierter eines Kontrollorgans der Städtekasse), des Präsidenten beim Kurmärkischen Tabaksgericht sowie eines Kanonikers (Mitglied des Domkapitels) zu Wahlbeck seit 1734. 1747 wird er als Verordneter der Kurmärkischen »Landschaft« (Landratskollegium) berufen.
     Carl David Kircheisen wurde am 3. Juni 1704 in Dresden geboren.


Carl David Kircheisen

Seinen Vater, Christoph Kircheisen, Königlich Polnischer Sekretär und Geheimer Kanzlist der Sächsischen Regierung, verlor er schon mit vier Jahren. Seine Mutter, Rebecka Elisabeth, geb. Wachtler, Tochter des Bürgermeisters zu Wurzen, kümmerte sich mit großer Unterstützung ihres Vaters um den Sohn, der schon mit 15 Jahren beim Justizkommissionsrat und Amtmann Spindler in die »Justizexpedition« in Wurzen eintrat. Mit den besten Empfehlungen begann der junge Kircheisen 1722 ein Studium der Rechtswissenschaften in Naumburg und wurde danach Sekretär beim Hannoverschen Minister Huldenburg, dem er 1728 zu seinem Gesandtschaftsposten nach Wien folgte.

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1732 legte Huldenburg sein Amt aus Altersgründen nieder. Carl David Kircheisen blieb jedoch in Wien. Er erregte die Aufmerksamkeit eines anderen einflußreichen Mannes, des Grafen von Gotter, der ihn als preußischen Gesandten berief. Auch am Kaiserhof blieb er nicht unbemerkt, und man suchte ihn für den Staatsdienst zu gewinnen. Als preußischer Gesandter wurde er bei Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) bekannt und erweckte dessen ernsthaftes Interesse. Schon am 1. September 1732 ernannte er ihn zum Kriegssekretär und 1733 zum Geheimen Kriegssekretär. Wenige Wochen darauf erteilte er ihm die »Beanwartung auf die erste in Berlin erledigt werdende Bürgermeisterstelle, insbesondere auf die des Geheimen Raths Thieling«. Seinen Amtseid als Bürgermeister leistet Kircheisen am 2. Juni 1733, unterstand aber in dieser Funktion bis 1746 noch dem Stadtpräsidenten von Neuendorf, der den Vorsitz im Magistrat innehatte.
     Friedrich Wilhelm I. sah die Benennung von Ratsmitgliedern und insbesondere der Bürgermeister als sein Recht an, in das ihm niemand hineinreden durfte. Schon 1715 hatte er verfügt: »Mein Interesse ist, Bürgermeister zu setzen, die platt vor mir dependieren. Wenn Thieling oder Sennig stirbt, werde ich wieder zwei von meinen Figuren setzen.
Dann bleibe ich Herr. Sonst muß ich von die Leute dependieren, und das steht mir nicht an.« 1735 starb Werner Thieling, Bürgermeister in Berlin seit 1709, und Kircheisen bekam erst jetzt alle Rechte als Bürgermeister. Seine diplomatischen Dienste in Wien mußte er trotzdem fortsetzen. Sie waren für den König auch deshalb wichtig, weil Kircheisen mit den damals durchaus nicht populären Werbungsangelegenheiten für die »langen Kerls« der Garde des Soldatenkönigs in den österreichischen Erblanden beauftragt war.
     Sein diplomatischer Dienst in Wien erlaubte es Kircheisen, immer nur für kurze Zeit nach Berlin zurückzukommen, um seine Amtsgeschäfte als Bürgermeister zu erledigen. Auch mußte er im Auftrag des Königs weite Reisen unternehmen. Erst nach dem Regierungsantritt von Friedrich II. (1712-1786) 1740 rief dieser ihn aus Wien zurück und ließ sich persönlich über die politischen Verhältnisse am Hause Österreich Bericht erstatten. Der König schickte ihn, bevor er sich zum Einmarsch in Schlesien entschloß, zu Unterhandlungen nach Wien. Zwischendurch mußte er zur Berichterstattung nach Berlin. Erst als Schlesien besetzt wurde (Erster Schlesischer Krieg 16. Dezember 1740 bis 28. Juli 1742), wollte ihn der König ständig in seiner Nähe haben.
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Nun sollte Kircheisen eine Schlüsselstellung einnehmen. Ein Zeitzeuge, der als Berliner Stadtrat 50 Jahre nach dem Tod von Kircheisen, wie er schreibt »ergriffen von der stillen Größe dieses Mannes«, Erinnerungen in einer kleinen Schrift zusammengefaßt hat, berichtet: »Friedrich hatte den Mann erkoren, der in der Hauptstadt des Landes eine in allen Beziehungen schwierige Aufgabe lösen sollte.«
     Am 20. Februar 1742 erließ Friedrich II. die neue »Instruktion für das Polizeiwesen«, durch die er die höchste preußische Staatsbehörde mit der städtischen Polizeiverwaltung zu seinen Gunsten zu verbinden suchte. Kircheisen wurde Polizeipräsident. Im gleichen Jahr, am 11. April 1742, heiratete Kircheisen Henriette Luise Lauer, Tochter eines preußischen Artilleriehauptmannes. Mit ihr bewohnte er ein Haus an der Petrikirche. Aus dieser Ehe stammte Leopold Kircheisen (1749-1825), der später bekannte preußische Geheime Staats- und Justizminister.
     In der neuen Instruktion für das Polizeiwesen sind in 41 Paragraphen detailliert die Aufgaben und Kompetenzen der Polizei und des Polizeipräsidenten persönlich festgelegt. So heißt es z. B. im § 23, daß »verdächtige, liederliche Häuser, Keller und Schlupfwinkel ... so viel immer möglich zu stören ...« sind. Zugleich hob Friedrich II. die bisherige Aufsicht über die Polizei durch die Kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer auf und übertrug sie unmittelbar einem »königlichen Generaldirectorio«. Kircheisen wurde von nun an von allen anderen Arbeiten beim Magistrat befreit.
Das Polizeiwesen war sein Hauptdepartement, und er war zugleich Vorsitzender der Stadtverwaltung. Dem Magistrat war er über seine Arbeit keine Rechenschaft schuldig. Der Polizeidirektor, vom König selbst eingesetzt, hatte eine Sonderstellung. Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben standen ihm die Marktherren, Polizeimeister, Quartierkommissare, Marktmeister und Polizeikommissare zur Verfügung. Auch der französische Polizeidirektor wurde ihm unterstellt. Die Zahl der Polizeikräfte wurde verstärkt. Kircheisen hatte sich um das öffentliche Wohl der Stadt und die wirtschaftliche Ansiedlung neuer Industriezweige zu kümmern, um die Steuerung des Bettlerunwesens und um die Rechtsprechung über die Soldatenbevölkerung in Zivilangelegenheiten.
     Mit einem Gesetz vom 17. April 1750, dem »Revidierten General-Privilegium«, wurden auch die Juden dem Polizeidirektorium unterstellt, ihre Pflichten neu festgelegt und ihre Bürgerrechte weitgehend eingeschränkt. Die Militärbehörden erhielten einen erheblichen Einfluß auf die kommunalen Angelegenheiten, und der Polizeipräsident hatte dabei eine Schlüsselfunktion.
     Am 21. Februar 1747 erließ Friedrich II. das »Rathäußliche Reglement der Königlichen Residentzien Berlin«, eine Art Geschäftsordnung für die Stadtverwaltung nach dem Zusammenschluß der fünf Teilstädte Berlin, Cölln, Dorotheenstadt, Friedrichstadt und Friedrichswerder.
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Mit dieser neuen Stadtverfassung sollte die städtische Selbstverwaltung weiter eingeschränkt und kontrolliert werden. Die 20 Magistratsmitglieder mußten vom König bestätigt werden, der auch ihre Gehälter festlegte und die Dezernate verteilte. Die Tätigkeit des Stadtpräsidenten und der Bürgermeister wurde ebenso detailliert festgelegt wie die der übrigen städtischen Beamten.
     Kircheisen erfüllte sein Amt auch während der schwierigen Zeit des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) und zur Bewältigung seiner katastrophalen Folgen. Im Oktober 1757 besetzten österreichische Husaren die Stadt und forderten 200 000 Taler Kontributionen. Noch bedrückender verlief die Besetzung Berlins am 3. Oktober 1760 durch Russen und Österreicher. Die Stadtgemeinde mußte fast zwei Millionen Taler Kontributionen erbringen. Der Krieg brachte große Not über die Stadt. 1761, nach fünf Jahren Krieg, lebten rund 30 000 Menschen, d. h. etwa ein Drittel der Bevölkerung, von Almosen. Armenhäuser mußten eingerichtet werden. Viele gewerbliche Unternehmen wurden stillgelegt; nur die für die Armee produzierenden Textil- und Waffenfabriken arbeiteten weiter. Es kam zu Hungersnöten, und die städtischen Behörden sahen sich gezwungen, kostenlos Brot an die Bevölkerung zu verteilen.
     Am 11. Dezember 1767 wurde der spätere Nachfolger von Kircheisen, Johann Albrecht Philippi (Stadtpräsident von 1771-1791), dessen Gehilfe.
Er erhielt den Auftrag, Wege vorzuschlagen, die Polizei nach französischem Vorbild zu reorganisieren. Um die damals wegen ihrer Erfolge bei der Verhinderung und Bekämpfung von Verbrechen gerühmte Methode vor Ort kennenzulernen, reiste Philippi nach Paris und unterbreitete dem König nach seiner Rückkehr einen Plan, in dem es heißt: »Berlin müsse erfüllt werden mit Spionen der geheimen Polizei, aus allen Ständen müßten dieselben entnommen und mit großen Geldsummen bestochen werden, damit sie der Polizei Mitteilung brächten über das Leben und Treiben jedes einzelnen Bürgers, sie müßten eindringen in das Innerste der Familien ..., und auch die Briefe der Post dürften nicht länger ein Geheimnis bleiben ...« Kircheisen lehnte diesen Plan ab. Von einem Projekt solchen Aufwandes nahm auch Friedrich II. Abstand.
     Am 28. Dezember 1770, mitten in der Bearbeitung seines Jahresberichtes an den König, starb Kircheisen. Noch am Tage seines Ablebens versicherte Friedrich II. in einem Brief an Kircheisens Frau, daß der Verstorbene seinen Dienst immer zur vollen Zufriedenheit, »mit Eifer und Ehrlichkeit verrichtet« hat.

Bildquelle:
Pinselzeichnung nach einem historischen Orginal, Siegfried Schütze, Berlin, 1993

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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