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Bernd Siegmund
26. Mai 1821:
Schinkel macht es schön

Sonnabend, wir schreiben den 26. Mai 1821, den ganzen Vormittag über schon strömen die Menschenmassen zum Gendarmenmarkt. In der Nacht hatte Generalintendant Graf von Brühl alle Gerüste und Zäune entfernen lassen, endlich haben die Berliner freie Sicht auf das schöne, neue Schauspielhaus. Einige Stunden noch, dann wird es feierlich eröffnet werden. Vergessen ist der rabenschwarze 29. Juli 1817.
     An diesem Unglückstag liefen im »Nationaltheater« am Gendarmenmarkt die Proben zu Friedrich Schillers Schauspiel »Die Räuber«. Gegen 12.00 Uhr mittags vertrieb Geschrei die Stille des Platzes. Aufgeregt rannten Menschen hin und her, gestikulierten, zeigten auf das »Nationaltheater«. Rauch drang aus dem Gebäude, dann schlugen Flammen hoch: Feuer!
     Die sofort herbeigerufene Feuerwehr fuhr mit mehreren Spritzenwagen auf und bemühte sich nach Kräften, den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Das Feuer war vermutlich in den Werkstätten unter dem Dach entstanden. In kürzester Zeit fraß es sich durch das Haus.


Wie Zunder brannten die Kostüme und die auf dem Dachboden gelagerten Dekorationen. Schließlich stürzte die Dachkonstruktion ins Gebäude, Funken flogen durch die Luft, nackt standen die verrußten Mauern. Alle Bemühungen waren umsonst. Das Wasser, das die Flammen töten sollte, verdampfte wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Mit Hilfe tatkräftiger Berliner gelang es, ein Übergreifen des Feuers auf die umliegenden Gebäude zu verhindern. Das »Nationaltheater« aber, von Carl Gotthard Langhans in den Jahren 1800/01 erbaut, brannte bis auf die Grundmauern ab.
     Schrecklich war die Bilanz der Katastrophe: Ein Schauspieler war ums Leben gekommen, 10 000 Kostüme verbrannt. Ebenso sämtliche Dekorationen. Auf rund 900 000 Reichstaler wurde der Gesamtschaden geschätzt. Obwohl die Brandursache nie restlos geklärt wurde, gingen sechs Maschinisten und fünf Hilfsarbeiter erst einmal in den Arrest. Man warf ihnen vor, »bei einem unbedeckten Lichte gearbeitet und dieses vielleicht brennen gelassen« zu haben. So jedenfalls äußerte sich ein Augenzeuge.
     Richtig gemocht hatten die Berliner das »Nationaltheater« nie. Im Volksmund wurde es spöttisch »Koffer« genannt.
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Tatsächlich ähnelte das dem Gebäude aufgesetzte, gerundete Dach einem gewaltigen Koffer.
     Nun stand Berlin also ohne »Koffer« da. Fünf Tage nach der Katastrophe teilte Wilhelm von Humboldt seiner Gattin in einem Brief diese brandaktuelle Nachricht mit. Und er fügte hinzu: »Es wird dem König selber verdrießen, doch ist es so übel nicht, und er selbst wird sich nachher darüber freuen. Denn es war ein schlechtes Kunstwerk, und wenn man Schinkel machen läßt, wird es jetzt schön werden.«
     Und man ließ Schinkel machen. Doch so einfach, wie uns dieser Satz weismachen möchte, war die Lage nicht. Neid und Mißgunst verhinderten eine zügige Arbeit. Hauptdarsteller auf der Intrigantenbühne war Graf Carl von Brühl, Generalintendant der »Königlichen Schauspiele«. Zwar hatte er einerseits seinem König Friedrich Wilhelm III. (1797-1840) den Geheimen Oberbaurat Schinkel persönlich vorgeschlagen, andererseits aber wollte er gerne selbst.


Das von Schinkel erbaute Königliche Schauspielhaus
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Wenigstens den Innenausbau, der Graf fühlte ein Architektenherz in seiner Brust schlagen. Und da für gewöhnlich sein Wunsch den anderen Befehl war, rechnete er mit keinerlei Widerstand. Genau der trat ein: Karl Friedrich Schinkel bot ihm die Stirn.
     Er verlangte einen vollständigen Auftrag von Se. Majestät »zur Bearbeitung des Projekts in allen seinen Details mit der Zusicherung ..., daß mir die obere Leitung der Ausführung des Baus in Hinsicht auf die strengste Beobachtung aller Formen des von mir entworfenen Plans übertragen werden soll«. »Das heißt«, schrieb er an von Brühl, »man muß sich einmal darüber rein aussprechen, ob man Zutrauen zu einem Künstler habe, für den Gegenstand, oder nicht. Im ersten Fall muß ihm vollkommen freie Hand gelassen werden, im zweiten muß man sehen, wo man einen anderen Meister bekommt.« - Brühl war klug genug zu erkennen, wann ein Spiel verloren war.
     Am 2. April 1818, fast neun Monate nach dem Brand, erhielt Karl Friedrich Schinkel den königlichen Zuschlag: »Ich beauftrage Sie daher, nach diesen Bestimmungen über das Innere des zu erbauenden Hauses eine vorerst nur hingeworfene Zeichnung zu entwerfen und selbige einzureichen, damit Ich beurteilen kann, ob selbige Meiner Idee und Anordnung, von welcher Ich auf keine Weise abgehe; entspricht.
Der Bau sollte jetzt schon seinen Anfang haben, und Ich erwarte deshalb diesen Plan sobald als solches möglich ist.«
     Am 28. April legte Schinkel fünf Blätter mit kurzen Erläuterungen vor. Auf ihnen ist in perspektivischer Darstellung das Innere und Äußere des Hauses zu sehen, der Grundriß des unteren und mittleren Geschosses sowie mehrere Details von geometrischen Fassaden und Profilen. Die Blätter gefielen dem König. Nur die Wagendurchfahrt unter der Freitreppe sollte breiter werden, forderte er. Kleinigkeit! Der Bau konnte beginnen.
     Vier Aspekte wollte Schinkel verwirklicht sehen:
» - die Zweckmäßigkeit des Inneren in Betreff des guten Hörens, Sehens, des Theaterdienstes, der bequemen Aus- und Eingänge;
- die Schönheit des Inneren und Äußeren;
- die Feuersicherheit, wozu die überall so häufigen Unglücksfälle dieser Gattung von Gebäuden uns vorzüglich auffordern;
- die möglichste Sparsamkeit bei diesen Anordnungen.«

Schinkel ging von einer funktionellen Dreiteilung des Hauses aus. Mit dem eigentlichen Theater als Zentrum. Den Konzert- und Ballsaal verlegte er in den Süd-, den Funktionsteil in den Nordflügel.

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Er übernahm die von Langhans vorgegebene städtebauliche Einordnung des Gebäudes und verwendete die übrig gebliebenen Mauern und Fundamente. Mit einem Geniestreich erfüllte er den erklärten Wunsch des Königs, der die vom Brand unzerstörten ionischen Säulen am Neubau verwendet sehen wollte. Schinkel ließ sie kannelieren und gestaltete mit ihnen auf der Freitreppe einen Portikus, über dessen Tympanon er den Hauptgiebel plazierte.
     Bei der künstlerischen Ausgestaltung des Hauses, für die Schinkel selbst zahlreiche Entwürfe lieferte, suchte er die Mithilfe namhafter Berliner Bildhauer und Maler. Die plastischen Arbeiten am Außenbau lieferten Christian Daniel Rauch und Friedrich Tieck, die Malereien in den Innenräumen sind u. a. von Wilhelm Hensel, August von Kloeber, Wilhelm Wach und Wilhelm Schadow. Wie praktisch Schinkel in vielen Fragen dachte, offenbarte er in einem Brief an Caroline von Humboldt vom 29. März 1819: »Die Arbeiten jeder Gattung müssen ... schon jetzt ihren Anfang nehmen, was auch recht gut möglich ist, weil die großen Plafonds ganz und derjenige Teil der Wände, der Malerei bekommt, aus Holztäfelungen besteht, die dem Schall höchst vorteilhaft sind; und hierauf können die Malereien sämtlich in Ölfarbe mit den dazu nötigen Bildhauer- und Vergolderarbeiten vorher ganz fertig gemacht werden und zwar mit großer Bequemlichkeit der Maler, die alles zuhause arbeiten können.
Die übrigen Verzierungen der Wände, die in Reliefs und Figuren aus Stuck bestehen, sind sämtlich ebenfalls vorzuarbeiten, so daß mit dem Moment, wo man die Mauern trocken genug findet, der ganze innere Schmuck plötzlich angebracht und das Gebäude schnell vollendet werden kann.«
     Ende 1819 war der Rohbau fertig, Ende 1820 der innere Ausbau, am 10. Februar 1821 wurde der Konzert- und Festsaal mit einem »unmaskierten Subskriptionsball« eröffnet, und am Sonnabend endlich, wir schreiben den 26. Mai 1821, ist das Schauspielhaus an der Reihe. Ganz Berlin nimmt Anteil an dem festlichen Ereignis. Um 6 Uhr abends beginnen die Feierlichkeiten. Nach der Ouvertüre zu Glucks Oper »Iphigenie in Aulis« wird ein Prolog vorgetragen, den Goethe eigens für die Weihe geschrieben hat. Darin würdigt er Schinkels Leistung mit den Worten:
»Was ich gewollt, gefordert und befahl,
es steht, und übertrifft mein Wollen hundertmal.«

Bildquelle:
Der Bär, Nr. 3/1882

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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