101   Nachrichten aus dem alten Berlin   Nächstes Blatt
alle diese köstlichen Villen hier herum wurden gebaut, die Pergolen, die Friedenskirche, die sich in dunklen Teichen spiegelt; noch bei den abendlichen Tees am Hofe wurde aus Goethes Prosa vorgelesen; und auf dem Rasen des Parkes spielte Madame Elise Rachel die Phaedra von Racine.
     In dem kleinen, entzückend unter hohen Kastanienbäumen versteckten Schlößchen Charlottenhof wohnte der Mann der Zeit, Alexander v. Humboldt. Den besuchte der König oft von Sanssouci aus, und dann gingen beide stundenlang Arm in Arm unter den Kastanien und zwischen weißen Hermen und sprachen von den großen Fragen der letzten Weltweisheit. Wie gesagt: eine Zeit schmachvollen Tiefstandes. Potsdam hat sich seit jenen Tagen kaum verändert. Ein gütiges Geschick bewahrt es vor allzu kaiserlichen Einfällen, vor Puppenalleen und Ausforstungen, und so liegt es heute noch versonnen da und träumt von jener Zeit, die so kurz erst vergangen ist, und die uns heute schon so rätselhaft erscheint.
     Nur die Schauspieler auf dieser Bühne sehen jetzt ein wenig anders aus. Die Philosophen sind verschwunden, dafür wandeln bunte Offiziere auf allen Parkwegen, Truppen marschieren, Ordonnanzen eilen, tausend Verbotstafeln weisen den Bürgersmann in die gebührenden Schranken zurück, und vom fernen Übungsplatze her krachen ununterbrochen die Salven der Schießübung.
Wir können beruhigt sein: die Zeit von Olmütz wird nicht wiederkommen. Aber sobald auch nicht die Zeit, da Preußens König Arm in Arm mit dem Philosophen unter Kastanienbäumen spazieren geht.
     (Aus: »Berliner Tageblatt« vom 6. Juni 1911 - Mittagsausgabe, S. 1)
Auburtin-Interessierte verweisen wir auf die im Arsenal-Verlag erscheinende Werkausgabe.

Die neuen Straßenmelder

Das Berliner Polizeipräsidium hat schon seit langem die Elektrizität in seine Dienste gestellt. Vor nahezu dreiviertel Jahrhunderten schuf der Polizeipräsident v. Hinckeldey eine selbstständige Berufsfeuerwehr und errichtete nach den Plänen von Werner Siemens die erste Telegraphenanlage für Polizei- und Feuerzwecke. Nicht weniger als 4 1/2 Meilen Telegraphen-Erdkabel wurden damals verlegt. Heute ist das Kabelnetz, das für die Zwecke des Polizeipräsidiums und seiner mannigfaltigen Aufgaben dient, auf 400 km gewachsen. Daneben wird in weitestem Maße von der Funkentelegraphie Gebrauch gemacht.


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Trotz dieses weiten Ausbaues ist in der technischen Vervollkommnung der Einrichtungen der Nachrichtenübermittlung, wie Telegraphendirektor Dr. Tramm vom Polizeipräsidium gestern vor Vertretern der Presse ausführte, noch heute kein Abschluß erreicht. Immer nachdrücklicher machte sich das Verlangen geltend, auch an Standorten der Verkehrsposten, auf großen Plätzen, an wichtigen Straßenkreuzungen möglichst schnell Nachrichten gelangen zu lassen.
     Einmal will man die unterwegs befindlichen Sicherheitsmannschaften von wichtigen Vorkommnissen unterrichten, ihnen die Möglichkeit geben, weitere Hilfe zu ihrer persönlichen Sicherheit herbeizurufen, etwaige Beobachtungen an ihre zuständigen Dienststellen weiterzugeben. Zum anderen sollen auch die Bürger Gelegenheit haben, von jederzeit zugänglichen Stellen Hilfe herbeizurufen. Solche Einrichtungen hat die Firma Siemens und Halske bereits vor zwei Jahrzehnten in Amerika geschaffen. Dort haben selbst kleinere Orte Polizeimelderanlagen. 1907 wurde den gesamten Polizeipräsidenten Deutschlands eine Probeanlage vorgeführt. Sie fand ungeteilten Beifall, aber es erfolgte weiter nichts. 1911 wiederholte man die Vorführungen mit dem gleichen Mißerfolg. Nun hat sich endlich das Berliner Polizeipräsidium entschlossen, eine Polizeimelderanlage von der Firma Siemens u. Halske ausführen zu lassen.
     Deren Direktor Bügler gab die Erläuterun
gen der Anlage, die im Polizeiamt Mitte, Am Molkenmarkt 1, in einem Telegraphenzimmer sehr übersichtlich untergebracht ist. Hier ist die Zentraleinrichtung, die zum Polizeibezirk Mitte gehörenden 25 Revierwachen sind mit einem kleineren Empfangsapparat ausgerüstet, und in den Straßen des Bezirks sind zunächst dreißig sogenannte »Polizeimelder« verteilt. Man hat sie entweder an den Häusern oder an Beleuchtungsmasten angebracht. Ein entsprechend ausgestaltetes Leitungsnetz verbindet die Melder und die Revierwachen mit dem Polizeiamt Berlin-Mitte. So ein Polizeimeldekasten, wie man ihn z. B. an einem Mast am Spittelmarkt sieht, enthält im Innern ein Laufwerk mit Typenscheibe.
     In der einfachsten Weise kann man mit Hilfe dieser Typenscheibe sich mit dem Polizeiamt Mitte in Verbindung setzen. Wird die Scheibe umgedreht, so erscheint die Nummer des Melders auf dem Papierstreifen des Empfangsapparates im Polizeiamt Mitte in besonderer Lochung. Dies Zeichen ruft polizeiliche Hilfe herbei. Aber nicht nur ein Zeichen kann gegeben werden, sondern auch eine ganze Reihe bestimmter Vorzeichen, aus denen man sofort schließen kann, was der Anrufende will. Neben der Registrierung durch Lochung hat man noch Licht und Glockensignale, die sämtlich elektrisch betätigt werden. -oe-(Aus: »Vossische Zeitung«, Nr. 138, 21. März 1924, S. 2)
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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