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Victor Auburtin
Auf den Spuren Friedrich Wilhelms IV.

Am Anfang dieses Jahres 1911 haben wir ein Jubiläum gefeiert, das an ein merkwürdig heimliches und doch schicksalschweres Datum unserer Geschichte erinnerte: die fünfzigste Wiederkehr des Sterbetages Friedrich Wilhelms IV. Das heißt: eigentlich hat man dieses Jubiläum gar nicht gefeiert, denn Friedrich Wilhelm IV. ist bei uns nicht sehr beliebt, und man redet - allerdings mit einigen guten Gründen - nicht gern von ihm.
     Er ist keiner von den Jubelmonarchen, und in einer Festrede zur Grundsteinlegung des Invalidenheims ließe er sich nicht anbringen, weder als Schlachtenlenker noch sonstwie. Und ein Denkmal hätte er auch nie bekommen, wenn bei uns die Denkmalmacherei nicht immer gleich in Serien oder so gewissermaßen im Ramsch betrieben würde.
     Aber er war der einzige Monarch Preußens, der die Kunst wahrhaft verstanden hat, und deshalb lieben ihn die wenigen und Stillen, die so etwas angeht. Und deshalb hatte ich es längst vor, ihm in diesem Jubiläumsjahre in seinem Potsdam einen Besuch zu machen, und habe diesen Plan nun in pfingstlichen Tagen ausgeführt.

     »Nur in Potsdam und in den einsamen Haveldörfern ist er wirklich populär geworden«, schreibt Heinrich v. Treitschke, der diesen König nicht liebte und mit seiner ganzen eisbärenhaften Tolpatschironie auf ihn losdrischt. Ach ja, nur in dem stillen Lande konnten die guten Seiten dieses Mannes verstanden werden.
     Zwei seiner Schlösser sehen von den Bergen weit über das Havelland; der Bau auf dem Pfingstberg und fern und groß da drüben die Orangerie auf den Bornstädter Hügeln. Sie ähneln sich im Stil und in der ganzen architektonischen Gebärde, noch mehr aber in ihrer fast traumhaften, fast wahnwitzigen Nutzlosigkeit. Spiegelnde Luftgebilde, durch nichts mit unseren Bedürfnissen verbunden; ein zitternder Sommerspuk. Schließ die Augen und öffne sie wieder, und es wird verschwunden sein.
     Das Schloß auf dem Pfingstberg ist etwas ganz Kurioses. Zwei mächtige Türme, dazwischen weitläufige Mauern, Arkaden und ein vermoderndes großes Wasserbecken. Ist es eine Kulisse, ist es ein halbfertiges Schloß, nicht zu Ende geführt in der Unruhe zweideutiger Zeiten? Ich sehe im Reisehandbuch nicht nach und will es nicht wissen.
     Es bleibe mir Fabelland. Jetzt, in diesem unerhörten Frühling, liegt es verwunschen da, umsponnen von Holunderblüte und einsamem Kuckucksruf ...
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Unter den kleinlichen Spielereien, an denen Rokokofürsten des 18. Jahrhunderts sich erfreuten, war auch die mit den Orangenbäumen. Man ließ sich aus Italien ein paar solcher Bäumchen kommen, die trieben dann im Frühjahr einige ärmliche Blüten und warfen im Sommer ein paar kümmerliche haselnußgroße Früchte ab. Und daran hatte man dann sein erlauchtes Spaßvergnügen.
     Für diese Schnurrpfeiferei baute Friedrich Wilhelm das ungeheure Schloß der Orangerie da oben auf den Hügeln hin. Mit Türmen, endlosen Fronten, hallenden Höfen, hohen Gewölben, mit weithinausgeschobenen Terrassen, mit murmelnden Brunnen und römischen Sarkophagen. Eine kolossale Zwecklosigkeit; so traumverloren schön, so berückend, so dämonisch in seiner Verlassenheit, wie nur das ganz Zwecklose und Widersinnige sein kann.
     Es ist merkwürdig, wie ähnlich in Charakter und Haltung sich diese Fürsten sind, die das Schicksal in Revolutionszeiten stellte. Karl I. von England, Ludwig XVI. von Frankreich und der IV. Friedrich Wilhelm in Preußen. Alles im Kern schwache Menschen, die durch martialisches Auftreten und despotisches Dreinblicken über die Haltlosigkeit ihres Herzens hinwegtäuschen wollten. Karl ließ sich von seinem van Dyck in den kühnsten Posen malen, mutig zu Pferd, mit dem Harnisch angetan ... aber er war sofort immer zu jedem Kompromiß bereit.
Ludwig liebte es, den Kopf stolz in den Nacken zu werfen - jenen unglücklichen Kopf - und den ersterbenden Untertan mit wohleinstudiertem Adlerblick zu durchbohren ... und in seinem Herzen saß das große Zagen.
     Hier vor dem Orangerieschlosse steht Friedrich Wilhelms Marmorbild, von Blaeser geschaffen. Aufrecht, fest auftretend, in der Uniform, wie ein General, der nicht mit sich spaßen läßt. Aber selbst in der Härte des carrarischen Marmors läßt sich das nervöse Zittern um diese Augen erkennen und das Irrlichterlieren einer Seele, die jede günstige Gelegenheit verpassen wird.
     »Flackernd, meist zerstreut, absorbiert, gedankenvoll erregt«, so schildert ihn, nicht billigend, Caroline v. Rochow, die eine Aufrechte, eine Preußin war.
     Wir, die Söhne der Generation von 1870, nennen seine Zeit eine Epoche des Tiefstandes. Olmütz, die nicht benutzte Gelegenheit der Revolution, den Pietismus, die Demütigung auf dem Pariser Kongreß, das verscherzte Prestige ... das können wir ihm nicht vergessen. Aber diese Zeit des Niedergangs war eine Zeit leuchtender Kunstblüte, und als der energielose Mann in Sanssouci residierte, da gingen die Männer des Geistes hier ein und aus, daß der kümmerliche Kulturglanz des alten Fritzenhofes weit überstrahlt wurde: Schinkel, Stüler, Rauch, Cornelius, Savigny, die Brüder Grimm;
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und alle diese köstlichen Villen hier herum wurden gebaut, die Pergolen, die Friedenskirche, die sich in dunklen Teichen spiegelt; noch bei den abendlichen Tees am Hofe wurde aus Goethes Prosa vorgelesen; und auf dem Rasen des Parkes spielte Madame Elise Rachel die Phaedra von Racine.
     In dem kleinen, entzückend unter hohen Kastanienbäumen versteckten Schlößchen Charlottenhof wohnte der Mann der Zeit, Alexander v. Humboldt. Den besuchte der König oft von Sanssouci aus, und dann gingen beide stundenlang Arm in Arm unter den Kastanien und zwischen weißen Hermen und sprachen von den großen Fragen der letzten Weltweisheit. Wie gesagt: eine Zeit schmachvollen Tiefstandes. Potsdam hat sich seit jenen Tagen kaum verändert. Ein gütiges Geschick bewahrt es vor allzu kaiserlichen Einfällen, vor Puppenalleen und Ausforstungen, und so liegt es heute noch versonnen da und träumt von jener Zeit, die so kurz erst vergangen ist, und die uns heute schon so rätselhaft erscheint.
     Nur die Schauspieler auf dieser Bühne sehen jetzt ein wenig anders aus. Die Philosophen sind verschwunden, dafür wandeln bunte Offiziere auf allen Parkwegen, Truppen marschieren, Ordonnanzen eilen, tausend Verbotstafeln weisen den Bürgersmann in die gebührenden Schranken zurück, und vom fernen Übungsplatze her krachen ununterbrochen die Salven der Schießübung.
Wir können beruhigt sein: die Zeit von Olmütz wird nicht wiederkommen. Aber sobald auch nicht die Zeit, da Preußens König Arm in Arm mit dem Philosophen unter Kastanienbäumen spazieren geht.
     (Aus: »Berliner Tageblatt« vom 6. Juni 1911 - Mittagsausgabe, S. 1)
Auburtin-Interessierte verweisen wir auf die im Arsenal-Verlag erscheinende Werkausgabe.
 

Die neuen Straßenmelder

Das Berliner Polizeipräsidium hat schon seit langem die Elektrizität in seine Dienste gestellt. Vor nahezu dreiviertel Jahrhunderten schuf der Polizeipräsident v. Hinckeldey eine selbstständige Berufsfeuerwehr und errichtete nach den Plänen von Werner Siemens die erste Telegraphenanlage für Polizei- und Feuerzwecke. Nicht weniger als 4 1/2 Meilen Telegraphen-Erdkabel wurden damals verlegt. Heute ist das Kabelnetz, das für die Zwecke des Polizeipräsidiums und seiner mannigfaltigen Aufgaben dient, auf 400 km gewachsen. Daneben wird in weitestem Maße von der Funkentelegraphie Gebrauch gemacht.

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Trotz dieses weiten Ausbaues ist in der technischen Vervollkommnung der Einrichtungen der Nachrichtenübermittlung, wie Telegraphendirektor Dr. Tramm vom Polizeipräsidium gestern vor Vertretern der Presse ausführte, noch heute kein Abschluß erreicht. Immer nachdrücklicher machte sich das Verlangen geltend, auch an Standorten der Verkehrsposten, auf großen Plätzen, an wichtigen Straßenkreuzungen möglichst schnell Nachrichten gelangen zu lassen.
     Einmal will man die unterwegs befindlichen icherheitsmannschaften von wichtigen Vorkommnissen unterrichten, ihnen die Möglichkeit geben, weitere Hilfe zu ihrer persönlichen Sicherheit herbeizurufen, etwaige Beobachtungen an ihre zuständigen Dienststellen weiterzugeben. Zum anderen sollen auch die Bürger Gelegenheit haben, von jederzeit zugänglichen Stellen Hilfe herbeizurufen. Solche Einrichtungen hat die Firma Siemens und Halske bereits vor zwei Jahrzehnten in Amerika geschaffen. Dort haben selbst kleinere Orte Polizeimelderanlagen. 1907 wurde den gesamten Polizeipräsidenten Deutschlands eine Probeanlage vorgeführt. Sie fand ungeteilten Beifall, aber es erfolgte weiter nichts. 1911 wiederholte man die Vorführungen mit dem gleichen Mißerfolg. Nun hat sich endlich das Berliner Polizeipräsidium entschlossen, eine Polizeimelderanlage von der Firma Siemens u. Halske ausführen zu lassen.
     Deren Direktor Bügler gab die Erläuterungen der Anlage, die im Polizeiamt Mitte, Am Molkenmarkt 1, in einem Telegraphenzimmer sehr übersichtlich untergebracht ist.
Hier ist die Zentraleinrichtung, die zum Polizeibezirk Mitte gehörenden 25 Revierwachen sind mit einem kleineren Empfangsapparat ausgerüstet, und in den Straßen des Bezirks sind zunächst dreißig sogenannte »Polizeimelder« verteilt. Man hat sie entweder an den Häusern oder an Beleuchtungsmasten angebracht. Ein entsprechend ausgestaltetes Leitungsnetz verbindet die Melder und die Revierwachen mit dem Polizeiamt Berlin-Mitte. So ein Polizeimeldekasten, wie man ihn z. B. an einem Mast am Spittelmarkt sieht, enthält im Innern ein Laufwerk mit Typenscheibe.
     In der einfachsten Weise kann man mit Hilfe dieser Typenscheibe sich mit dem Polizeiamt Mitte in Verbindung setzen. Wird die Scheibe umgedreht, so erscheint die Nummer des Melders auf dem Papierstreifen des Empfangsapparates im Polizeiamt Mitte in besonderer Lochung. Dies Zeichen ruft polizeiliche Hilfe herbei. Aber nicht nur ein Zeichen kann gegeben werden, sondern auch eine ganze Reihe bestimmter Vorzeichen, aus denen man sofort schließen kann, was der Anrufende will. Neben der Registrierung durch Lochung hat man noch Licht- und Glockensignale, die sämtlich elektrisch betätigt werden.
     -oe-
(Aus: »Vossische Zeitung«, Nr. 138, 21. März 1924, S. 2)
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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