93   Geschichte und Geschichten Ewige Rekorde  Nächstes Blatt
W. Arendt/D. Busse
»Ewige Rekorde«
made in Berlin

Seit ihrer Einweihung 1921 hatte die Berliner AVUS immer für spektakuläre rekordträchtige Automobilrennen gesorgt. Mitte der 30er Jahre hatten die Runden- und Durchschnitts-Zeiten allerdings wegen der langsamen Kurven eine Grenze erreicht, die trotz der immer schnelleren Wagen kaum noch zu unterbieten waren. So wurden Rufe laut, die AVUS mit dem Umbau der Nordkurve zu einer Steilkurve noch schneller zu machen.
     Am 30. Mai 1937 war es so weit: 300 000 Zuschauer erlebten die Premiere der AVUS-Steilwand, die mit Klinkern in Hochkant »bepflastert« war. Sie sollten einem unglaublichen Ereignis beiwohnen. In den Startreihen des Endlaufs standen vier Mercedes, drei Auto-Union und ein Maserati. Über den Materialausgang gab es keinen Zweifel, denn die technisch ausgereiften deutschen Marken galten als die schnellsten der Welt. Aber wer unter den Assen würde gewinnen? Die altgedienten wie Rudolf Caracciola und Manfred von Brauchitsch, oder die neuen, inzwischen schon zum Favoritenkreis zählenden Hermann Lang und Bernd Rosemeyer, oder ganz und gar ein Außenseiter?

     Von Brauchitsch schied wegen eines Defektes bereits in der ersten Runde aus, in der dritten Runde ereilte den bis dahin klar führenden Caracciola das gleiche Schicksal. Danach kamen für den Sieg nur noch Lang und Rosemeyer in Frage. Letzterer schraubte in diesem dramatischen Rennen den Rundenrekord auf schier unglaubliche 276,400 km/h, aber unter den von Runde zu Runde anschwellenden Zurufen »Lang, Lang, Lang« fuhr Hermann Lang das gleichmäßigste Rennen, brachte seinen Mercedes-Benz als Erster über die Ziellinie und verbuchte gleichfalls einen neuen AVUS-Rekord mit der Durchschnittsgeschwindigkeit von 261,648 km/h. 21 Jahre lang sollte auf keiner Piste der Welt in einem sportlichen Wettbewerb eine solche Zeit erreicht werden.
     Die AVUS stand damals im Zenit ihres Weltruhmes. Aber mit der späteren »Entschärfung« der Rennstrecke durch Ab- und Umbauten sowie ihrer weiteren Integration in das Berliner Stadt-Autobahnnetz verlor sie ihre Eigenschaft als Hochgeschwindigkeitskurs und damit auch die einstige Attraktivität. Die »ewigen« Rekorde von Hermann Lang und Bernd Rosemeyer erinnern jedoch bis auf den heutigen Tag an die Glanzzeit der AVUS.

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20. Juli 1984, Olympischer Tag der Leichtathletik im Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark.

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In einer knappen Woche werden in Los Angeles die Spiele der 23. Olympiade eröffnet. Der von Moskau initiierte Olympiaboykott überschattet dieses traditionelle Ostberliner Sportfest. Die sich hier eingefunden haben, Weltklasseathleten, u. a. aus der UdSSR, Polen, Ungarn, Bulgarien, der CSSR und nicht zuletzt der gastgebenden DDR, sind die Betrogenen einer starrsinnigen Politik. Sie reagieren auf den Boykott mit überragenden Leistungen. Nur: Olympische Medaillen gibt es dafür nicht.
     Als haushoher Favorit auf den Olympiasieg im Speerwerfen hatte der Potsdamer Uwe Hohn gegolten, der es nun an diesem empfindlich kühlen und trüben Juli-Sonnabend vor 22 000 Zuschauern erst recht wissen wollte. Als Hohn zum zweiten Versuch antrat, hielten die Besucher den Atem an, so als spürten sie, was da folgen sollte.
     Der Werfer konzentrierte sich lange. Dann lief er an, dann kam der Stemmschritt, dann schleuderte er das Gerät heraus, das scheinbar schwerelos flog und flog und flog, bis es weit jenseits der 100-Meter-Marke wieder der Erdanziehung gehorchte. Es fehlte nicht viel, und der Speer wäre über den Rasen hinausgesegelt. 104,80 Meter - ein schier unglaublicher Weltrekord war geboren worden. Hohn hatte den jahrelangen Wettlauf der Speerwurf-Weltelite um die 100-Meter-Marke für sich entschieden.
     Noch ahnte niemand, daß es ein Rekord für die Ewigkeit sein sollte. Ein Jahr später zog dann die IAAF diesen Speertyp aus Sicherheitsgründen aus dem Verkehr.
Würfe in diesen Bereichen konnten vom Athleten nicht mehr kontrolliert genug gestaltet werden. Ein neuer Speer mit schlechteren Flugeigenschaften kam, eine neue Rekordentwicklung begann. Auf der alten Rekordliste blieb Hohns Name für alle Zeiten der letzte. Und mit ihm der Ort des Geschehens: Berlin.

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Während die »ewigen Rekorde« der Hohn, Lang und Rosemeyer protokollarisch belegt sind, kann der folgende nur unter Vorbehalt beschrieben werden: Zwei Berliner namens Schultze und Wernicke hatten sich in den Gründerzeiten des hauptstädtischen Sports dem Dreibein-Laufen verschrieben. Bei dieser Fortbewegungsart wurde das rechte Bein des einen mit dem Linken des anderen fest verbunden. Wer da glaubt, da könne man bestenfalls humpeln, der irrt: Bei einem Sportfest 1897 in Berlin legten die beiden die 100 Yards, das sind 91,44 Meter, in 11 2/5 Sekunden zurück, was damals als Weltrekord galt.
     Da das Dreibein-Laufen sehr schnell gänzlich aus der Mode kam, fehlte es auch an Gelegenheiten, die Zeit von Schultze/Wernicke zu unterbieten. Doch da dieser »Weltrekord« nun bald 100. Geburtstag hat, sollte man ihn nicht vergessen.

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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