88   Geschichte und Geschichten Zar Nikolaus II. in Berlin  
Peter Sasse
Zar Nikolaus II. trifft in Berlin ein

Eine Hochzeit im Königlichen Schloß, mit allem Prunk und Pomp - das war schon was für die Berliner im Jahre 1913. Zumal sich zur Vermählung der preußischen Prinzessin Victoria Luise gekrönte Häupter angekündigt hatten: Georg, der König von England, sowie Nikolaus II., Kaiser von Rußland - beide Verwandte des Hohenzollernhauses. So wurde denn der Besuch der Monarchen als rein familiäre Angelegenheit, der jeder offizielle politische Charakter fehlte, deklariert.
     Eine solche Verlautbarung war schon angebracht. Im Frühjahr 1913 wurde viel über die Gefahr eines Weltkrieges geredet. Und die hohen Gäste auf der einen, Gastgeber Wilhelm II., Kaiser des Deutschen Reiches, auf der anderen Seite, repräsentierten europäische Imperien, die bereits verschiedenen Bündnissen angehörten. Zwar wurden in den Berliner Blättern immer wieder versöhnliche Töne angestimmt, »daß die persönliche Aussprache der Monarchen gute Wirkungen auch für die Beziehungen zwischen ihren Völkern herbeiführen könne« (Vossische Zeitung). Aber das war Wunschdenken, die internationale Lage indes sehr ernst.

     Die anstehende Vermählung der einzigen Tochter des deutschen Kaiserpaares mit Prinz Ernst August, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, schien geeignet, alle Sorgen für ein paar Tage zu vergessen. Am 22. Mai 1913 strahlte die Sonne über den Anhalter-Bahnhof. So hatten sich die Menschen, die zu Tausenden die Straßenränder in der Nähe und gegenüber dem Bahnhof säumten, etwas Leichtes angezogen. Zur Begrüßung des Herzogs von Cumberland, dem Vater des Bräutigams, und seiner Gemahlin durften sie das Geschehen aus der Nähe betrachten. Für die Ankunft des Zaren wurde der Platz vor dem Bahnhof weithin geräumt. Pünktlich um 11.38 Uhr fuhr der russische Hofzug langsam in die Halle ein. »Die Szene, die sich jetzt abspielte, unterschied sich wenig von der vorhergegangenen. Wieder gab es eine herzliche Begrüßung; wieder erfolgte die Vorstellung des gegenseitigen Gefolges. Und dann standen eine ganze Weile die Könige von drei der mächtigsten Nationen Europas plaudernd nebeneinander; ein nicht schnell zu vergessendes Bild; der deutsche Kaiser in russischer, der Zar von Rußland und der König von England in preußischer Uniform«, berichtet die »Vossische«.
     Der Rest und eigentliche Anlaß spielte sich einen Tag später in den Räumen des Schlosses ab. Um 17.00 Uhr schloß das Paar in der Schloßkapelle den Bund fürs Leben. Ein freudiger Anlaß auch für die Jugend - Wilhelm II. hatte für Berlin und Potsdam schulfrei befohlen.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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