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Fußtour vom Treptower Park nach Rixdorf

Fußtouren durch Berlin

Auf der 5 Kilometer langen Tour können Großstadtatmosphäre und ländliche Idylle unmittelbar nebeneinander erlebt werden.
     Ausgangspunkt ist der Treptower Park. Vorbei an der evangelischen Bekenntniskirche geht es durch die Elsenstraße in den Bezirk Neukölln. Dem Landwehrkanal folgend, erreichen wir über die Karl-Marx-Straße Rixdorf, die Wiege Neuköllns. Einzelne Kolonistenhöfe, die älteste noch existierende Schmiede Berlins und die Dorfkirche vermitteln hier Spuren dörflicher Vergangenheit.
     Wer alles in Ruhe betrachten will, sollte knappe drei Stunden für diese Tour einplanen.
     Wir beginnen unsere Wanderung am S-Bahnhof Treptower Park. (1) Wer sich Zeit nimmt, kann zuerst einige Schritte in den Treptower Park tun. Er wurde 1876 nach Plänen des ersten Berliner Gartenbaudirektors Gustav Meyer auf einem 93 Hektar großen Wiesenterrain an der Oberspree angelegt. An seinen Erbauer erinnert eine Marmorbüste auf rotem Granitsockel von Albert August Manthe (1890) auf der Denkmalwiese östlich des S-Bahnhofs.

Wer direkt das Ziel ansteuern will, der geht die Elsen- und Kiefholzstraße entlang und erreicht in der Plesser Straße 3/4 die evangelische Bekenntniskirche. (2) Diese Kirche ist ein in die ältere Häuserzeile einbezogener Klinkerbau von Curt Steinberg (1930) in expressiven Formen. Die Mitte wird durch eine große rechteckige Portalnische mit Treppenaufgang betont. Eine ornamentierte Rahmung zeigt christliche Symbole und das Schriftmosaik »Bekenntniskirche«. Den Gemeinderaum im Untergeschoß ziert seit 1980 eine Orgel, die aus der Zeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts stammt und ehemals in der Dorfkirche in Lieske bei Spremberg gestanden hat.
     Wieder zurück in der Elsenstraße, finden wir dort, versehen mit den Nummern 29/29 a und 31/32, fünfgeschossige Putzbauten mit Satteldach und erkerartigen Ausbauten unter Verwendung von Klinkern. (3) Sie wurden 1927/28 nach einem Entwurf von Walter Borchard für die »Bau- und Spargenossenschaft Groß-Berlin GmbH« in vorhandene ältere Bebauung eingefügt.
     An der Kreuzung Elsen-/Heidelberger Straße verlassen wir den Bezirk Treptow und gelangen in den Bezirk Neukölln, wobei eine Stelle passiert wird, wo die Mauer verlief. Wir überqueren nunmehr den Neuköllner-Schiffahrtskanal und gehen am Weigangufer entlang, biegen in die Elbestraße und erreichen die Karl-Marx-Straße. (4)
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Die Nummern 77-79 gehören dem Amtsgericht Neukölln. Das Gebäude entstand 1899-1901 nach Entwürfen von Paul Thoemer; der Erweiterungsbau wurde 1910-1912 angefügt.
     Einige Meter weiter befindet sich in der Karl-Marx-Straße 83-85 das Rathaus Neukölln. 1905-1909 von Reinhold Kiehl für die damals selbständige Stadt Rixdorf (ab 1912 Neukölln) erbaut, präsentiert es sich mit Werksteinverkleidung und plastisch gestaffeltem hohem Giebel zur Straße.
     Mehrfache Erweiterungsbauten stammen von 1910, 1912/13 (Kiehl), 1950 (Eichler) und 1955/56 (Freese). Der 70 Meter hohe Turm trägt eine Uhr und über der in mehrere Galerien gestaffelten Spitze eine Glücksgöttin. Die Stelle des kriegszerstörten Amtshauses von 1879 wurde durch Grünanlagen mit Wasserspielen zum Rathausvorplatz umgestaltet.
     Dort, wo die Richardstraße abzweigt, verlassen wir die Karl-Marx-Straße und gelangen zum Stadtbad Neukölln in der Ganghoferstraße 3-5. (5) Mit einem Kostenaufwand von 1,8 Millionen Mark wurde es von Baurat Kiehl 1914 errichtet.
     Das Gebäude hat eine hundert Meter lange, markant gegliederte Straßenfront. Die große Schwimmhalle ist im Stil frühchristlicher Kirchen mit Mosaiken (Puhl & Wagner) und hohen Travertinsäulen ausgestattet. Gleich danach: der Atriumhof. Dort befindet sich das 1897 vom Ortslehrer Emil Fischer gegründete Heimatmuseum mit reichhaltigem Material zur Geologie, Geschichte und Kulturgeschichte Neuköllns und seiner Ortsteile.
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     Eine Attraktion unserer Wanderung stellt das Böhmische Dorf (Richardstraße/ Kirchgasse) dar. (6) Es handelt sich um eine 1737 gegründete Kolonie böhmischer Glaubensflüchtlinge. Das denkmalgeschützte Dorf ist das einzige von etwa 200 zum Zwecke der dichteren Besiedlung Preußens gebauten Dörfern, das in großen Teilen erhalten ist.
     Das Böhmische Dorf ist 250 Meter lang, mit neun giebelständigen Doppel-Bauernhäusern auf Grundstücken von 14 Meter Breite und etwa 40 Meter Tiefe. Scheunen und Ställe können besichtigt werden. Noch heute strahlen sie ein ländliches Flair inmitten der Großstadt Berlin aus. Am Beginn der seit den 20er Jahren kaum veränderten Kirchgasse steht das von Alfred Reichel 1912 errichtete Denkmal Friedrich Wilhelms I., der als Begründer des Böhmischen Dorfes gilt. Denkmal und Inschrift stammen von »dankbaren Nachkommen der hier aufgenommenen Böhmen«. Es zeigt auf Reliefs Szenen der Vertreibung aus der ursprünglichen Heimat und der Ansiedlung in Rixdorf.
     Noch beeindruckt vom Böhmischen Dorf, sind wir inzwischen auf dem Richardplatz (7) angelangt, dem einstigen Dorfanger von Deutsch-Rixdorf. Hier gab es bereits im 14. Jahrhundert die ersten Höfe des damals dem Johanniterorden gehörenden Dorfes. Sehenswert im Mittelpunkt des Platzes die Dorfschmiede, deren älteste Teile aus dem Jahre 1797 stammen.
Daneben einige Häuser (Nr. 6, 18, 24 und 25) mit klassizistischen Fassaden. Sie vermitteln einen Eindruck von der Bebauung in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Anwesen Richardplatz 18 befindet sich seit 1894 der Fuhrbetrieb Gustav Schöne mit alten Kremsern, Hochzeitskutschen usw.
     Unübersehbar die Bethlehems-Kirche (8), Richardplatz 22 - die Dorfkirche von Rixdorf. Sie entstand Anfang des 15. Jahrhunderts - später als alle anderen Dorfkirchen um Berlin herum - als einschiffige Feldsteinkirche. Der einfache Kirchenraum weitet sich gen Osten und findet in einem dreiseitig umschlossenen Chor seinen Abschluß. 1885 bis 1887 erfolgten Umbau und Erneuerung der baufälligen alten Kirche. Seither dient sie der Böhmisch-Lutherischen Bethlehems-Gemeinde als religiöse Stätte. Ihre heutige Gestalt erhielt sie in den Jahren 1939 bis 1941. Die Turmvorhalle wurde so angebaut, daß sie äußerlich das Schiff bruchlos fortsetzt. Das Dach wurde vorgezogen und abgewalmt - der Turm wirkt nun wie ein überdimensionierter Dachreiter.
     Im Winkel Karl-Marx- und Kirchhofstraße erblicken wir die evangelische Magdalenenkirche, (9) die 1877-1879 von Bohl in Backstein noch fast völlig im Berliner »Rundbogenstil« erbaut worden ist.
     Wieder auf die Karl-Marx-Straße eingebogen, stoßen wir nun direkt auf den »Böhmischen Gottesacker«. (10)
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Hier befinden sich die Grabstätten der drei böhmischen Einwanderergemeinden. In der Kirchhofmauer sind alte Grabsteine mit tschechischen Inschriften zu sehen. Die Evangelische Brüdergemeine begeht hier am Ostersonntag bei Sonnenaufgang in der den Brüdergemeinen überall auf der Welt eigenen Form die Feier des »Osterganges« zum Kirchhof, wie er 1731 erstmals in Herrnhut abgehalten wurde.
     Hier endet unsere Wanderung, wobei wir nicht vergessen wollen, daran zu erinnern, wie aus Rixdorf Neukölln wurde.
     Die erste urkundliche Erwähnung von Rixdorf stammt aus dem Jahre 1360: Am 26. Juni erfolgte die Gründung von »Richardsdorf« durch die Umwandlung eines dem Johanniterorden gehörenden Hofes in ein Dorf, das 14 Familien mit zusammen fast 1 000 Angehörigen Platz bot.
     Richardsdorf (in den Urkunden Rigerstorpp, Richerstorp, Richstorf, später Riecksdorf und dann Rixdorf) wurde am 23. September 1435 an Berlin und Cölln verkauft und ging 1543 in den alleinigen Besitz von Cölln über. Nachdem sich Berlin und Cölln im Jahre 1709 vereinigt hatten, kam Richardsdorf als Kämmereidorf unter die Verwaltung des Magistrats der neuen Gesamtgemeinde.
     1737 wurde dann ein neues Blatt in der Geschichte des Dorfes aufgeschlagen: Die Böhmen kamen und gründeten das »Böhmische Dorf«, wie aus einem Lageplan von 1738 hervorgeht.
Der Name Rixdorf wurde allerdings amtlich erst 1797 eingeführt. Das alte Richardsdorf hieß nun Deutsch-Rixdorf - im Unterschied zu Böhmisch-Rixdorf.
     Ein königlicher Erlaß verfügte die Vereinigung beider Dörfer zum 1. Januar 1874.
     Seit der Jahrhundertwende gab es in Rixdorf Bestrebungen, den als anstößig empfundenen Ortsnamen zu ändern. So fand sich denn in einer Eingabe an den Magistrat auch der Hinweis, man begegne überall der Auffassung, »daß Rixdorf ein Ort sei, in dem kein anständiger Mensch leben könne«.
     Am 18. Januar 1912 beschlossen die Rixdorfer Stadtverordneten mit großer Mehrheit die Annahme des Namens »Neukölln«, den Wilhelm II. einige Tage später genehmigte.

Karte: LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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