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Ute Zscherpel
Alexandrowka - eine russische Kolonie in Potsdam

»Es ist Meine Absicht, als ein bleibendes Denkmal der Erinnerung an die Bande der Freundschaft zwischen Mir und des Hochseeligen Kaisers Alexander von Rußlands Majestät, bei Potsdam eine Colonie zu gründen, welche ich mit den, von Seiner Majestät Mir überlassenen Russischen Sängern als Colonisten besetzen und Alexandrowka benennen will.« Diese königliche Order vom 10. April 1826 wurde zur Geburtsurkunde einer kleinen russischen Siedlung in der Nähe des Nauener Tores in Potsdam, die den Besucher noch heute in ihren Bann zieht.
     Bereits 1812 hatte General Yorck mit einem preußischen Hilfskorps an der Seite Napoleons in Kurland 500 russische Kriegsgefangene gemacht, von denen 62 zur Bildung eines Soldatenchores ausgesondert wurden. Doch ein Jahr später hatte sich die Kriegslage geändert, aus Feinden waren Verbündete geworden. Zar Alexander I. schenkte die einstigen Gefangenen kurzerhand Friedrich Wilhelm III., der sie in die Leibkompanie des 1. Garderegimentes zu Fuß eingliederte, wo sie mit den Truppen - als Unbewaffnete - bis nach Paris zogen.

1825 gab es nur noch 12 russische Sänger. Ausgelöst hatte die großherzige Absicht, eine Kolonie zu gründen, die Heirat der Prinzessin Charlotte, älteste Tochter Friedrich Wilhelms III., mit dem Sohn Alexanders I., Nikolaus (ab 1825 Zar Nikolaus I).
     Mit der Gesamtleitung des Projektes wurde Oberst Röder beauftragt. Für die Bauausführung war Hauptmann Snethlage verantwortlich, der schon in Nikolskoje in Berlin-Wannsee das russische Blockhaus errichtet hatte. Die landschaftsarchitektonische Gestaltung übernahm Peter Joseph Lenné, der, den Wünschen des Königs entsprechend, der Anlage die Form eines russischen Andreaskreuzes gab. Mit acht paarweise an den Kreuzarmen angeordneten Gehöften, vier weiteren in der Mitte und einem dreizehnten Haus im Zentrum, in dem der Aufseher der Kolonie, ein preußischer Feldwebel, wohnte.
     Am 2. April 1827 konnten die Sänger in ihre ein- oder zweigeschossigen russischen Blockhäuser mit den dazugehörigen Stallgebäuden und Gärten einziehen. Sie fanden alles Nötige für das Leben einer Familie vor. Bedingung für den Einzug war, daß die Sänger verheiratet waren. Dann erhielten sie das Nutzungsrecht für die Anwesen, das auf die männlichen ehelichen Erben überging, wenn sie sich zur griechisch-orthodoxen oder evangelischen Kirche bekannten. 1830 trat der russische Soldatenchor zum letzten Mal auf, 1861 lebte keiner der Sänger mehr.
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Frei werdende Stellen wurden von Angehörigen des 1. Garderegiments zu Fuß besetzt, die ebenfalls nur das Nutzungsrecht erhielten.
     Auf dem damaligen Minenberg wurde für die Kolonisten eine Kapelle errichtet, die orthodoxe Kirche des »Heiligen Alexander Newski«. Nach dreijähriger Bauzeit wurde die mit fünf Zwiebeltürmen versehene Kirche 1829 eingeweiht. Nach Plänen des Petersburger Architekten Wassili P. Stassow übernahm Snethlage die Bauausführung, Karl Friedrich Schinkel zeichnete für die Innenausstattung, Lenné für die Gestaltung der Außenanlagen.
Die Ikonen kamen aus russischen Werkstätten.
     Neben der Kapelle wurde für den Kirchenältesten ein weiteres Blockhaus errichtet, das mit einer russischen Teestube versehen war, in der sich der König mit seinem Gefolge häufig aufhielt. Nur zwei Familien, die Schischkoffs und Grigorieffs, konnten über die Jahrhunderte hinweg bis heute ihr Haus halten. Darüber geben Namensschilder unter dem Schnitzwerk der Galerien der einzelnen Blockhäuser Auskunft.

Bildquelle: Berlin und seine Umgebungen im neunzehnten Jahrhundert, Gropius-Verlag, Berlin 1832


Haus in der russischen Kolonie
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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