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Ingrid Selmke
Die Jungfernbrücke

Die Jungfernbrücke ist die älteste noch erhaltene Brücke Berlins. Sie führt über den Spreearm Schleusengraben und verbindet die Friedrichsgracht mit der Oberwasserstraße. Seit 1798 besteht die Brücke in ihrer jetzigen Gestalt: zwei massive Seitengewölbe tragen eine Klappbrücke aus Metall und Holz im Mittelfeld.
     Die Jungfernbrücke ist auch die einzige Klappbrücke Berlins. Leider mußte sie der Zeit Tribut zahlen. Obwohl die Pylonen, Spillräder und Ketten immer gemäß den Originalvorlagen erneuert wurden, funktioniert der Mechanismus der Brücke heute nicht mehr.
     Beim Umbau der Mühlendammschleuse und der daraus resultierenden Vertiefung des Schleusengrabens 1937 bis 1939 mußte man zur Erhaltung der Jungfernbrücke aufwendige Maßnahmen ergreifen. Die Pfeiler und die Widerlager wurden drei Meter bzw. einen Meter unterbaut. Die Erneuerung der linken Seitenöffnung wurde notwendig, und man entschied sich dafür, sie durch ein Stahlbetongewölbe mit Sandsteinverkleidung zu ersetzen. Schon damals war die Jungfernbrücke übrigens ausschließlich Fußgängern vorbehalten.

Für die Entstehung des Namens Jungfernbrücke gibt es mehrere Versionen. Eine Geschichte handelt von den Töchtern der Familie Blanchet: Die Hugenotten waren geschickte Handwerker. Unter ihnen gab es eine Weißnäher- Familie namens Blanchet, die sich auch auf das Klöppeln verstand.
     Alle Blanchets waren sehr fleißig und stellten die bei den Begüterten damals so beliebten Hemden mit Spitzenjabots und -manschetten her.
     Die neun erwachsenen, aber unverheirateten Töchter hatten ihren Stand an der Brücke aufgeschlagen. Sie boten ihre Ware feil und machten gute Geschäfte. Doch man kam zu den Jungfern nicht nur, um Spitzen und Hemden zu kaufen. Sie standen im Ruf, die größten Klatschbasen von Berlin und Cölln zu sein. Wenn sich jemand über einen anderen informieren wollte, dann ging er zu den Blanchet- Töchtern, kaufte etwas oder tat so, als ob er kaufen wollte, und brachte ganz nebenbei das Gespräch auf die betreffende Person.
     Und nun erzählten ihm die Demoisellen alles, was sie wußten. Und noch ein bißchen mehr. Von diesen klatschhaften Jungfern soll die Brücke ihren Namen haben.

Bildquelle:
Berliner Kalender 1907

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Milchverkauf an der Jungfernbrücke

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/1996
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