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Hans-Heinrich Müller
Eine Parade der Produktion

Die Berliner Gewerbeausstellung von 1896

Am 1. Mai 1896 wurde im Treptower Park eine Ausstellung eröffnet, die als »Große Berliner Gewerbe-Ausstellung« in die Geschichte eingegangen ist. Sie war der Ersatz einer geplanten Weltausstellung, die Kaiser Wilhelm II. infolge »politischer Komplikationen« verweigert hatte, wobei er sich auf die ablehnende Haltung einflußreicher Wirtschaftsverbände, der Reichsregierung und des Reichstages stützen konnte. 1) In seiner Überheblichkeit lehnte er eine Weltausstellung ab, weil er einen Wettbewerb seiner Hauptstadt mit London oder Paris für aussichtslos hielt. »In Berlin ist nichts«, wie er an Reichskanzler Caprivi schrieb, »was den Fremden fesselt, als die paar Museen, Schlösser und die Soldaten.« 2) Doch dem Berliner Bürger- und Unternehmertum, repräsentiert im »Verein Berliner Kaufleute und Industrieller«, geleitet von Fritz Kühnemann, Ludwig Max Goldberger und dem Baumeister Bernhard Felisch, gelang es schließlich nach Überwindung etlicher Hindernisse und Bereitstellung finanzieller Mittel vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Hochkonjunktur,


eine lokale, eine »Berliner« Ausstellung durchzusetzen, auf der gezeigt werden konnte, daß »Berlin nicht nur die größte Stadt des deutschen Reiches ist, sondern auch Zeugnis von seinem Fleiß und seinen Fortschritten auf allen Gebieten seines rastlosen Schaffens ablegen« konnte. 3) Durch die Hereinnahme einer Kolonial- und Fischereiausstellung und die Teilnahme von Firmen aus ganz Deutschland erhielt die Berliner Ausstellung ein nationales Gepräge, das nicht selten zu einem nationalistischen Szenario ausartete.
     Die Eröffnung der Ausstellung, die unter dem Protektorat des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen stand und zugleich als 25jähriges Jubiläum Berlins als Reichshauptstadt gefeiert wurde, war eine pompöse Schau. Der Kaiser, der erst kürzlich verkündet hatte, daß »Deutschlands Zukunft auf dem Wasser« liege, war mit dem Dampfboot »Alexandria« unter wehender Kriegsflagge von Potsdam an die Spree gekommen und wurde von zahllosen Booten des »Berliner Rudervereins« und 21 Salutschüssen empfangen. Noch pompöser ging es auf dem Gelände des Treptower Parks zu. Schon die Ausstellungsfläche von 917 000 Quadratmetern war weit größer als die aller bisherigen Weltausstellungen in London, Paris, Wien, Sydney oder Chicago. Die Besucher staunten über die Hallen, Pavillons, »Paläste« und Restaurants in allen Stilarten, verziert mit Türmen, Kuppeln, Säulen und Ornamenten aller Art. Man hatte bekannte Architekten und Bildhauer gewonnen.
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Bruno Schmitz (Kaiserdenkmale auf dem Kyffhäuser, der Porta Westfalica und auf dem Deutschen Eck in Koblenz) hatte das Hauptgebäude, in der die Industrie untergebracht war, und das Hauptrestaurant als »vornehmes Wasserschloß« geschaffen. Wasserbecken, Gartenschauen, Springbrunnen, Plastiken, Wasser- und Stufenbahnen fanden den Beifall der Besucher.
     Verwirrend war das »grenzenlose Vielerlei« 4): Werkzeugmaschinen, Dampfkessel, Möbel und ganze Zimmereinrichtungen, Haushaltsgeräte, Feldgleisanlagen, Elektrizität in den verschiedensten Anwendungsgebieten, Musikinstrumente, Papierfabrik, Pumpenwerke, Hebezeuge, neueste Eisenkonstruktionen, Porzellan, Schlosserei, Spinnerei und Weberei, Spiritusbrennerei und Brauereieinrichtungen, Dampfpflüge und Dreschmaschinen, Lokomobile und Kältemaschinen, Treibhäuser und Tropenhaus, Baumschulen, Fotoapparate, Schreibmaterialien, Konfektion, Kunstschmiedearbeiten, Galanteriewaren, Telefonapparate und ein ganzes Telefonamt, Kutschwagen, Schiffsmodelle, Motorboote, Sportgegenstände, Filteranlagen auf einem Rieselfeld und vieles andere mehr. Man konnte sich über Krankenpflege, Volkswohlfahrt, Volksbäder, Volkserziehung, Hygiene und im Stangenschen Reisebüro über »Gesellschaftsfahrten« informieren. Wer vom »Gewerbe« genug hatte, konnte sich
im Vergnügungspark amüsieren, an Alpenlandschaften, Wasserfällen, schlesischer Gebirgsbaude, an Alt-Berlin, historischen Trachten erfreuen, in einer Bodega, Osteria, Spreewaldschänke oder in beliebigen Kneipen eine Verschnaufpause einlegen; er konnte in der Sonderausstellung »Kairo«, dieser »feenhaften Schöpfung aus dem Morgenland«, die Cheopspyramide besteigen, Mocca im »arabischen Labyrinth mit dem Café du Serail« schlürfen und »arabisches Leben« beobachten, wofür er aber zusätzliches Eintrittsgeld berappen mußte. 5) Oder man lauschte der »Weltmusik«. 800 Musiker, Sänger und Sängerinnen aus aller Welt unterhielten die Gäste. Der Vergnügungspark und die Sonderschauen, die das Flair einer Weltausstellung vortäuschten, zogen die Besucher oft mehr an als die eigentliche Gewerbeausstellung.
     Das Gewerbe, wie Industrie auch genannt wurde, bot durchaus beachtliche Neuheiten und Fortschritte, manifestierte die Leistungskraft und -fähigkeit der Berliner Wirtschaft, der Großbetriebe und des Großkapitals. Das Handwerk war kaum vertreten, es konnte die hohen Pachtgebühren für die Ausstellungsstände am wenigsten aufbringen. Die chemische Industrie wartete mit Anilinfarben auf, stellte pharmazeutische Präparate oder Fotomaterialien zur Schau. Neuheiten gab es in der Elektrizität und Beleuchtungsindustrie zu bestaunen.
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Das Hauptausstellungsgebäude
 
Die polygrafische Industrie präsentierte leistungsstarke Rotations- und Schnellsetzmaschinen im Zeitungspalast des Berliner Lokalanzeigers, der die Besucher und Aussteller auch mit den täglichen »Ausstellungs-Nachrichten« versorgte. Die Feinmechanik und Optik zeigte neuentwickelte chirurgische, zahnärztliche und nautische Instrumente, Feinmeßgeräte und Mikroskope, Feldstecher und die ganz neuen Röntgen-Apparate und Röntgenbilder. Ein Glanzpunkt der »kapitalistischen Industrie-Parade« war zweifellos ein mit einer Borsigschen Dampfmaschine gekoppelter Dynamo von Siemens & Halske.
     Prunk und Köstlichkeiten vereinten sich in der »Halle des Appetits«, wo die Berliner Nahrungsmittelindustrie ihre Kreationen zur Schau stellte. Der Hoflieferant Nietsch aus der Friedrichstraße hatte sein »appetitliches Stilleben« und Präsentkörbe aufgestellt, die in alle Welt gingen, bei deren Anblick Arbeitern und Benachteiligten der Gesellschaft wohl manch ungutes Gefühl aufgekommen sein mag.
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Die Firma Hildebrandt offerierte köstliche Desserts, täuschend nachgemachtes Marzipan-Frühstück und führte die maschinelle Pralinenherstellung vor. Bei einer »elektrischen Wurstfabrik« konnte man zuschauen, wie Schweine zu Salami und anderen Würsten verarbeitet wurden. Wo es kostenlose Proben gab, da drängte sich die Menge, besonders in der Fischkost-Halle des Seefischer-Vereins. Viele Besucher bedienten die selbsttätigen Getränke- und Speiseautomaten, um ihren Durst oder Hunger für wenig Geld zu stillen. - Es gab viel zu sehen, viel zu bestaunen und viel zu bewundern, und aufmerksame Besucher oder kritische Betrachter hatten auch nach fünf oder sechs Tagen noch keinen vollständigen Überblick über die große Schau gewonnen.
     Mit der »Parade der Produktion«, mit ihrer »Prunkrevue«, die in dem »Pracht-Album« der Berliner Gewerbeausstellung nachempfunden werden konnte, mit ihrem »Riesenjahrmarkt«, wie Kritiker zum Beispiel im sozialdemokratischen »Vorwärts« die Gewerbeausstellung bezeichneten, hatten sich die Berliner Unternehmer eine Welt nach ihrem eigenen Bilde geschaffen. Sie stilisierten die Ausstellung zu einem »Fest der Arbeit« des »tüchtigen und zuverlässigen Kaufmanns- und Gewerbestands«, wie es Kommerzienrat Goldberger in einer der Festtagsreden aussprach. 6)
Von dieser Parade der Produktion blieben allerdings diejenigen ausgeschlossen, die mit ihren Händen, ihrem Fleiß und mit ihren Erfahrungen die ausgestellten Güter geschaffen hatten - die Arbeiter. Das fiel sogar Friedrich Naumann auf, dem christlich-sozialen Theologen und Verfechter nationaler, imperialer Kolonial- und Weltpolitik und eines »sozialen Kaisertums«, als er in seinen »Ausstellungsbriefen« schrieb: »In der Ausstellung denkt man nicht an den Arbeiter. Er ist der Untergrund, aber er wird verdeckt. Hin und wieder steht ein Arbeiter und bedient vor dem Publikum seine Maschine, aber der Arbeiter im ganzen ist - glänzend vergessen. Es ist eigentlich unerhört, daß man auf einer Gewerbeausstellung sich so wenig um die Arbeiter kümmert wie in Berlin ... In dieser Hinsicht ist die Berliner Ausstellung grausam wie der ganze Kapitalismus.« 7)
     Die Gewerbeausstellung, auf der etwa 4 000 Aussteller ihre Produkte darboten und die über sieben Millionen Besucher aus Berlin, aus Deutschland und dem Ausland anzog, schloß am 15. Oktober ihre Pforten. Sie war ein Spiegelbild der wilhelminischen Zeit, in der Fortschrittsgläubigkeit, Liberalität, Ernsthaftigkeit und Fragwürdiges, Leistung und Stolz, Kunstfertigkeit und Geschmacklosigkeit, Prunk und Kitsch, Säbelrasseln, »Arbeit für das Vaterland«, Kolonialpolitik und Streben nach Weltgeltung und Weltmachtpolitik sich zu einem bunten Kaleidoskop verschmolzen.
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Nachdem die Tore geschlossen waren, wurden die Ausstellungshallen abgerissen, Wasserbecken zugeschüttet. Es blieb ein zertrampelter Park zurück, zu dessen Wiederherstellung es Jahre bedurfte. Die finanziellen Erwartungen der Ausstellungsorganisatoren hatten sich nicht erfüllt. Trotz des großen Besucherandrangs mußten zwei Millionen Mark aus dem »Garantiefonds« entnommen werden, um die Verluste zu decken. Was blieb, war die aus Anlaß der Gewerbeausstellung erbaute Oberbaumbrücke, die Elektrifizierung der Pferdebahnen mit der Errichtung des Ring-Bahnhofes Treptow, die Abtei (auf der heutigen Insel der Jugend) und das in Jena gebaute Riesenfernrohr in der Archenhold-Sternwarte. Die »Große Berliner Gewerbeausstellung« war zugleich ein Abschied von dem Gedanken einer Weltausstellung in Berlin. Dieses »Mittelding zwischen einer wissenschaftlichen, technischen und gewerblichen Demonstrationsstätte und einem den Fremdenverkehr anziehenden Sensations- und Vergnügungsbetrieb« wurde international, wie der bekannte Wirtschaftsjournalist Felix Pinner schrieb, »allmählich zu Tode gehetzt und verlor an Zugkraft«. Fachausstellungen wurden zukunftsweisend, die allerdings vom »Drang nach Wirkung«, von der Bekundung eines ehrgeizigen Glänzenwollens« ebenso beherrscht blieben wie vom Drang nach guten Einnahmen. 8) Quellen und Anmerkungen:
1 Zur Vorgeschichte der Ausstellung vgl. K. Lüders: Das Projekt einer Weltausstellung in Berlin 1885, In: Preußische Jahrbücher, Bd. 44, 1879, S. 614 ff.; Berlin und seine Arbeit. Amtlicher Bericht der Berliner Gewerbeausstellung 1896, zugleich eine Darstellung des gegenwärtigen Standes in der gewerblichen Entwicklung, Berlin 1901; E. Reuter: Berliner Weltausstellungspläne und ihre Realität. Die Große Berliner Gewerbeausstellung 1896 im Treptower Park, In: Berlinische Monatsschrift, H. 5, 1992, S. 4 ff.
2 Berlin und die Provinz Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg.: H. Herzberg, Berlin 1968, S. 84
3 Amtlicher Führer der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 6; vgl. auch Groß-Berlin 1896/97, S. 15
4 F. Naumann: Ausstellungsbriefe, Berlin 1909, S. 9
5 Amtlicher Führer, a. a. O., S. 198
6 Pracht-Album. Photographische Aufnahmen der Berliner Gewerbeausstellung 1896, S. 26
7 F. Naumann, a. a. O., S. 47
8 Zit. nach: A. Lange: Das Wilhelminische Berlin, Berlin 1984, S. 63, die auch eine ausführliche Beschreibung und politische, gesellschaftliche und soziale Analyse der Gewerbevorstellung vornimmt.

Bildquelle: Amtlicher Führer durch die Berliner Gewerbe-Ausstellung, Berlin 1896

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/1996
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