46   Porträt Ehrenbürger Moltke  Nächstes Blatt
Günter Möschner
»Erst wägen, dann wagen«

Ehrenbürger Helmuth von Moltke
(1800-1891)

1870/71, im Deutsch-Französischen Krieg, avancierte der bis dahin in der Öffentlichkeit wenig bekannte, 70jährige General Helmuth von Moltke zu einer der populärsten Persönlichkeiten in Berlin, Preußen und ganz Deutschland. Zunächst nur für die Dauer des Krieges zum »Chef des Generalstabes der preußisch-deutschen Armee im Großen Hauptquartier« berufen, hatte er sich durch seine strategischen Leistungen hohes Ansehen als äußerst erfolgreicher »Schlachtendenker und Schlachtenlenker« erworben. Er hatte nicht nur großen Anteil daran, daß dieser Krieg überhaupt siegreich für Deutschland verlief, sondern auch daran, daß er in wenigen Wochen entschieden wurde und sich dadurch die Opfer in Grenzen hielten. Und dies alles, obwohl während dieses Krieges vier feindliche Heere besiegt und 20 Festungen eingenommen werden mußten. Vor allem aber trug die erfolgreiche Kriegsführung maßgeblich dazu bei, daß die Bismarcksche Politik zur Einigung der deutschen Staaten unter der Führung Preußens vollendet und am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal zu Versailles der preußische


Graf Helmuth von Moltke (nach einer Fotografie aus seinem 85. Lebensjahr)

 
König Wilhelm I. zum deutschen Kaiser und damit das deutsche Kaiserreich proklamiert werden konnten. Oft wurden deshalb als verdienstvollste Persönlichkeiten der Reichsgründung der Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes und spätere Reichskanzler Graf Otto von Bismarck und der am 28. Oktober 1870 als direkte Reaktion auf den Sieg bei Sedan in den Grafenstand erhobene Generalstabschef Helmuth von Moltke in einem Atemzuge genannt.

BlattanfangNächstes Blatt

   47   Porträt Ehrenbürger Moltke  Voriges BlattNächstes Blatt
So beispielsweise auch von der Berliner Stadtverordnetenversammlung, die beiden in einem Beschluß vom 18. März 1871 die Ehrenbürgerschaft der Stadt verlieh.

Kontra dem allmächtigen Kanzler

Allerdings hatte es zwischen Bismarck und Moltke auch erhebliche Diskrepanzen gegeben. Der Generalstabschef hatte sich nämlich ausbedungen, dem König als oberstem Feldherrn während des Krieges alle strategischen Entscheidungen allein zu empfehlen, dessen Befehle zu interpretieren, detailliert auszuarbeiten und dabei eine Einmischung der Politiker weitgehend auszuschließen. Namentlich gegenüber dem nahezu allmächtigen Kanzler war das eine sehr kühne Haltung. Doch der Kriegsverlauf bestätigte den Standpunkt Moltkes, den er schon zehn Jahre vorher niedergeschrieben hatte: »Man umgebe aber den Feldherrn mit einer Anzahl voneinander unabhängigen Männern - je mehr, je vornehmer, je gescheiter, um so schlimmer - er höre bald den Rat des einen, bald des anderen; er führe eine an sich zweckmäßige Maßregel bis zu einem gewissen Punkte, eine noch zweckmäßigere in einer anderen Richtung aus, erkenne dann die durchaus berechtigten Einwürfe eines dritten an und die Abhilfevorschläge eines vierten, so ist hundert gegen eins zu wetten,

daß er mit vielleicht lauter wohlmotivierten Maßregeln seinen Feldzug verlieren wird.«
     Indem sich Moltke mit dieser Meinung durchsetzte, gab er zugleich dem Generalstab eine neue Funktion. Übte dieser bislang eine vorwiegend militärtheoretisch und wissenschaftlich beratende Tätigkeit aus, so wurde er nun zum oft so bezeichneten »Hirn der Armee«. Dabei handelte Moltke stets nach dem Motiv: »Erst wägen, dann wagen«. Und er erwog gründlich, bis er von der Richtigkeit seines Entschlusses fest überzeugt war. Gleichzeitig kalkulierte er ein, daß jede Entscheidung auch Unwägbarkeiten enthielt. »Der erste Zusammenstoß mit der feindlichen Hauptmacht«, so schrieb er, »schafft, je nach seinem Ausfall, eine neue Sachlage. Vieles wird ausführbar, was man beabsichtigt haben mochte, manches möglich, was vorher nicht zu erwarten stand. Die geänderten Verhältnisse richtig aufzufassen, daraufhin für eine absehbare Frist das Zweckmäßigste anzuordnen und entschlossen durchzuführen, ist alles, was die Heeresleitung zu tun vermag.« 1)
     Eine wesentliche Grundlage der erfolgreichen Strategie Moltkes bestand darin, daß er in vorzüglicher Weise die damals neuesten Erkenntnisse in der Bewaffnung, im Nachrichten- und Verkehrswesen nutzte. Mit Recht wurde er bald als der erste große Eisenbahnstratege bezeichnet.
BlattanfangNächstes Blatt

   48   Porträt Ehrenbürger Moltke  Voriges BlattNächstes Blatt
Denn mit diesem noch relativ neuen Verkehrsmittel konnten - den jeweiligen Erfordernissen entsprechend - militärische Kräfte rasch von einem Einsatzort zum anderen verlegt und gegebenenfalls an einer strategisch entscheidenden Stelle konzentriert werden, was wiederum die telegraphische Verbindung voraussetzte. Moltke sah darin neue Möglichkeiten, um die seit jeher höchste Leistung strategischer Führung zu realisieren, nämlich bisher getrennte Armeen zu einem genau berechneten Zeitpunkt auf dem Schlachtfeld zu vereinigen. Nicht zuletzt dies hatte den preußisch-deutschen Armeen in der Entscheidungsschlacht bei Sedan am 2. September 1870 den Sieg eingebracht und Moltke erstmals zum gefeierten Helden gemacht.

Wende in Konstantinopel

Der Weg dahin war Helmuth Karl Bernhard Freiherrn von Moltke nicht an der Wiege gesungen worden. Er hatte am 26. Oktober 1800 in Parchim als Sproß eines nicht gerade wohlhabenden mecklenburgischen Adelsgeschlechts das Licht der Welt erblickt. Sein Vater war zunächst preußischer Offizier, dann zeitweilig Gutsbesitzer im dänischen Herzogtum Holstein und hatte es schließlich in dänischen Diensten bis zum General gebracht. Meist fern von der Familie, führte er mit Helmuths Mutter, einer Beamtentochter aus Lübeck, keine glückliche Ehe.

Sie lebte mit ihren acht Kindern in bescheidenen Verhältnissen und mußte es annehmen, als sich dem Sohn Helmuth mit elf Jahren eine Freistelle an der Landeskadettenakademie zu Kopenhagen bot.
     An der Schule ging es hart, spartanisch und herzlos zu, aber sie vermittelte ihren Zöglingen eine gediegene Ausbildung. Nach dem Examen wurde Helmuth von Moltke für ein Jahr Page am dänischen Königshof und danach Sekondeleutnant in der dänischen Armee. 1821 führte ihn eine Urlaubsreise nach Berlin zu dem Entschluß, in preußische Dienste überzutreten. Das wurde ihm auch genehmigt, aber er mußte noch ein preußisches Offiziersexamen ablegen. Von seinem Dienst in Frankfurt/Oder wurde er bald zu einem dreijährigen Kurs an die Kriegsakademie in Berlin geschickt. In dieser Zeit eignete sich Moltke hauptsächlich im Selbststudium auf mehreren Gebieten enorme Kenntnisse an. Danach wieder nur kurzfristig in Frankfurt/Oder tätig, kommandierte man ihn zur topographischen Abteilung des Großen Generalstabes. Als ihm 1835 eine halbjährige Urlaubs- und Bildungsreise nach Konstantinopel gestattet wurde, trat in seinem Leben eine Wendung ein. Dort nämlich bat ihn der türkische Kriegsminister, als militärischer Berater in der Türkei zu bleiben. Da um diese Zeit ohnehin die Abkommandierung einiger preußischer Offiziere für eine solche Tätigkeit in der Türkei ausgehandelt wurde, nahm Moltke das Angebot an.
BlattanfangNächstes Blatt

   49   Porträt Ehrenbürger Moltke  Voriges BlattArtikelanfang
Den Höhepunkt seines Wirkens bildete hier die Teilnahme am Feldzug gegen die Kurden, wobei Moltkes Ratschläge jedoch nicht befolgt wurden und der Feldzug ein unglückliches Ende nahm.
     Aber nicht nur auf militärischem Gebiet, auch als Reiseschriftsteller bewies Moltke außergewöhnliches Talent. Noch heute sind seine Beschreibungen der Türkei und Italiens lesenswert.
     Nach seiner Rückkehr nach Preußen setzte Moltke seine Laufbahn als Generalstabsoffizier fort. Sie wurde nur durch seine Tätigkeit als persönlicher Adjutant des Prinzen Heinrich von Preußen 1845/46 in Rom unterbrochen. Durch sein Wissen und Können stieg Moltke danach auf der Stufenleiter des preußischen Generalstabes stetig weiter aufwärts, bis er 1858 als Generalmajor zum Chef des Generalstabes ernannt wurde. In den Kriegen gegen Dänemark und Österreich, insbesondere in der Schlacht bei Königgrätz, bewies Moltke sein außergewöhnliches strategisches Talent, was ihn 1870 schließlich an die Spitze des Generalstabes der Armee im Großen Hauptquartier führte.
     Nach dem Krieg von 1870/71 blieb der inzwischen zum Generalfeldmarschall berufene Graf Helmuth von Moltke in seiner Funktion. Neben seiner praktischen Tätigkeit verfaßte er zahlreiche militärhistorische, militärtheoretische und militärpolitische Schriften und Reden, letztere vor allem auch als Abgeordneter des Reichstages und des Preußischen Herrenhauses.
Faktisch noch inmitten der Arbeit, verstarb Helmuth von Moltke fast 91jährig am 24. April 1891.

Quelle:
1 Moltke. Leben und Werk in Selbstzeugnissen. Briefe, Schriften, Reden. Ausgewählt und eingeleitet von Max Horst, Bremen 1956, S. XII

Bildquelle
Eduard Vehse: Illustrierte Geschichte des Preußischen Hofes, des Adels und der Diplomatie vom Großen Kurfürsten bis zum Tode Kaiser Wilhelms I., 2. Band Stuttgart Franck'sche Verlagshandlung, 1901

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/1996
www.berlinische-monatsschrift.de